# taz.de -- nord🐾thema: Solidarischer Tofu mit einer Prise Aktivismus | |
> Dirk und sein Team stellen in der Tofurei Wendland nachhaltigen Tofu her. | |
> Das Besondere: Sie sind ein Kollektiv. In den 90ern haben sich im | |
> Wendland viele Leute angesiedelt, um gegen ein atomares Endlager in | |
> Gorleben zu protestieren, heute organisieren sie sich in kommunenartigen | |
> Gemeinden | |
Bild: Essen mit politischem Anspruch: Die Sonne der Republik Freies Wendland au… | |
Von Jana Eggemann | |
Matthias kurbelt das Fenster seines alten Autos runter. „Willst du | |
mitfahren“, fragt er die Frau am Bahngleis, die er aus dem Nachbarort | |
kennt. „Da habe ich aber Glück, sonst hätte ich warten müssen“, sagt sie, | |
als sie sich auf die Rückbank schiebt. Das Wendland ist mit öffentlichen | |
Verkehrsmitteln schlecht angebunden. Bis Dannenberg fährt noch ein Kurzzug. | |
Von da wird es schwierig, die Busse fahren nur alle paar Stunden. „Das | |
könnte echt besser ausgebaut werden“, sagt Matthias, als er das Auto auf | |
die engen Landstraßen lenkt. | |
Matthias ist auf dem Weg in die Tofurei Wendland, eine Manufaktur, in der | |
Tofu hergestellt wird. Regional, nachhaltig, ökologisch. Im kastigen Wagen | |
geht es an Wiesen und Feldern vorbei, auf der Rückbank rollen einige | |
Konserven und zwei Bierdosen hin und her. An einem alten Gasthof in | |
Meuchefitz hält Matthias, um die Frau aussteigen zu lassen. | |
## Keine Fabrik und kein Chef | |
Einst war der Gasthof Treffpunkt des Widerstands gegen das Atomprojekt | |
Gorleben. Mittlerweile wird zwar kein Atommüll mehr gebracht, aber einige | |
Aktivist*innen sind geblieben. Dadurch sind hier in verschiedenen Orten | |
Kommunen und Wohngemeinschaften entstanden. So auch in der alten Schule | |
gegenüber vom Gasthof, in der die Frau nun verschwindet. | |
Danach geht es weiter auf ein altes Hofgelände, wo Dirk bereits in der | |
kleinen Manufaktur der Tofurei wartet. Der 51-Jährige hat den Verein 2013 | |
mit seiner Freundin gegründet. Aktuell besteht die Tofurei aus einem | |
fünfköpfigen Team und organisiert sich im Kollektiv – also ohne | |
hierarchischen Strukturen. | |
„Mir war von Anfang an klar, dass ich keine Fabrik haben und Chef sein | |
möchte“, sagt Dirk. Er ist vor etwa zehn Jahren zur Kommune Karmitz im | |
Nachbarort gestoßen, lernte dort seine Freundin Christin kennen und blieb | |
irgendwann ganz. Beide wollten etwas zur Kommune beitragen. Eine Freundin | |
in der Kommune schlug vor, eine Tofurei zu gründen. | |
Man merkt schnell, dass es hier nicht nur um Tofu geht. Es ist vielmehr ein | |
linkes Lebensgefühl und ein tief verwurzelter politischer Aktivismus, der | |
sich in der Tofurei wie an so vielen weiteren Orten im Wendland | |
widerspiegelt. So hat die Kommune Karmitz eine eigene Mosterei, in der vor | |
allem Apfel- und verschiedene Gemüsesäfte regional hergestellt werden. | |
Rundherum leben Leute in Wohngemeinschaften oder Bauwägen. Mehrere Kommunen | |
betreiben außerdem Solidarische Landwirtschaft (Solawi). Es herrscht ein | |
allgegenwärtiges Gefühl von Gemeinschaft. | |
Die kommt auch der Tofurei zugute. „Am Anfang haben wir noch mit einem | |
Stabmixer in der Küche herumexperimentiert“, erinnert sich Dirk. Als es | |
dann richtig losgeht, finden die nötigen Geräte Platz in der alten Käserei | |
einer Freundin. „Passenderweise macht man Tofu ganz ähnlich wie Käse“, sa… | |
er. | |
Zuerst werden die Bohnen in einer Maschine zu Sojamilch geschreddert. Die | |
wird dann für mehrere Stunden aufgekocht, abgelassen und anschließend mit | |
Gerinnungsmittel versetzt. „Das ist beim Käse das Lab, wir benutzen | |
Magnesiumchlorid“, sagt Dirk. Durch das Gerinnungsmittel wird die Sojamilch | |
zu Quark, der im letzten Schritt mit Granitplatten und Gewichten zu Blöcken | |
gepresst wird. | |
Die Sojabohnen hat die Tofurei jahrelang aus einem ökologischen Anbau in | |
Niederösterreich erhalten. Aktuell findet ein Umbruch statt, denn das | |
Kollektiv will auf Bohnen aus dem Wendland umschwenken. Die seien | |
mittlerweile qualitativ fast genauso gut, außerdem spare man sich den | |
Transportweg aus Österreich. | |
Während Dirk spricht, wirft er einen nervösen Blick auf den Behälter in der | |
Ecke des Raums. „Miriam, schaust du mal nach der Milch“, ruft er dann. | |
Miriam trägt Gummistiefel und Schutzkleidung, Dirk darf in normaler | |
Kleidung den Produktionsraum nicht betreten. Hygienevorschriften gelten | |
auch in der kleinen Manufaktur. | |
Als Christin und Dirk 2013 anfangen zu produzieren, bekommen sie direkt | |
eine kleine Starthilfe. Ein Freund arbeitet auf dem Fusion Festival und | |
bestellt seitdem jährlich für die Aufbaucrew von mehreren Hundert Leuten | |
Tofu. Auch das Catering für den Chaos Computer Club beliefert die Tofurei | |
seit Jahren. | |
Weil man sich in den engen Gängen der Tofurei mit zu vielen Leuten nur | |
gegenseitig im Weg steht, geht es wieder ins Auto und weiter zum | |
Bauwagenplatz von Matthias, wo er mit seiner Freundin Gese, drei Kindern | |
und einer weiteren Familie wohnt. „Hier sieht es leider echt unordentlich | |
aus“, entschuldigt sich Matthias und weist auf eine riesige Grube im Boden | |
der Wiese des Bauwagenplatzes. | |
Die ist teils mit Sandsäcken ausgelegt, weitere liegen daneben. „Da wollte | |
sich einer ein Earthship bauen“. Ein Earthship ist ein nahezu autarkes | |
Gebäude, dass sich durch eine besondere Bauweise auszeichnet. Der Boden des | |
Wendlands sei jedoch zu feucht, sagt Matthias. | |
Die kleine Holzhütte in der Mitte des Bauwagenplatzes, die als | |
Aufenthaltsraum dient, wirkt hingegen solide. Darin stehen ein Holztisch | |
mit Stühlen, ein abgewetzter Sessel und ein Sofa. Auf dem lässt sich Dirk | |
nieder, während Matthias in der improvisierten Küche Sesam röstet. Der | |
kommt später in die Masse für den Sesamtofu. | |
Ein Ofen sorgt für angenehme Wärme im Raum, während der nächste | |
Regenschauer ans Fenster prasselt. Gese setzt Tee auf. Sie ist Ende 30, hat | |
15 Jahre lang in Berlin gewohnt und zog dann doch wieder zurück ins | |
Wendland. „Hier hat sich einfach eine Perspektive geboten“, sagt sie. | |
„Sowohl politisch als auch arbeitstechnisch“. Sie wirkt aufgeweckt, ihre | |
Augen hell und intelligent. Wie sie zieht es auch andere aus den | |
Großstädten ins Wendland. „Das ist auch verknüpft mit der Suche nach | |
Sinnhaftigkeit“, wirft Dirk ein. | |
## Lauter Aktivist*innen | |
Ein Sinn, der vor allem linkspolitisch geprägt ist und sich auch auf die | |
Tofurei überträgt. „Wir sind schon alle Aktivisten“, sagt Matthias. So | |
schicke man schon mal ein Soli-Paket in den Hambacher Forst. Und auch in | |
den Preisen spiegelt sich ein solidarischer Geist wieder: Jeder darf | |
zahlen, was er will. | |
Auf der Website der Tofurei ist erklärt, welcher Preis nötig wäre, um | |
zumindest die Unkosten zu decken, und welcher eine faire Bezahlung | |
ermöglichen würde. Bisher habe man damit nur positive Erfahrung gemacht: | |
„Die meisten zahlen den höchsten Preis“, sagt Dirk. | |
Das Konzept der Tofurei – regional unter fairen Bedingungen hergestellter | |
Tofu – kommt bundesweit an. „Wir liefern von Berlin bis nach München“, s… | |
Dirk. Die Anfrage wächst weiter. Auch die Fusion möchte plötzlich nicht | |
mehr hundert Kilo Tofu, sondern am liebsten eine Tonne. Gegen eine | |
Vergrößerung der Manufaktur sind aber alle. Der persönliche Charakter solle | |
nicht verloren gehen. Und auch nicht die Überzeugung hinter dem Kollektiv. | |
Doch gemeinsam entscheiden, das kann viel Arbeit machen. „Kollektiv heißt | |
auch Streit und viel Diskussion“, erklärt Dirk. „Aber es ist ein gutes | |
Gefühl zu wissen, dass es uns gehört“, ergänzt Gese. | |
16 Mar 2019 | |
## AUTOREN | |
Jana Eggemann | |
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