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# taz.de -- Wer profitiert davon, dass Oleg Kolodjukleidet?
> Das Blut eines Ukrainers soll gewaschen werden, aber sauber ist am Ende
> nur das Geld, das kriminelle Zwischenhändler mit gefälschten
> Dialyseprodukten verdienen. Ein deutscher Pharmakonzern arbeitet mit
> ihnen zusammen
Bild: Oleg Kolodjuk (vorne) im Dialyse-Zentrum in Schitomir
Aus Kiew, Schitomir, Saporoschje, Neu-Ulm, Ulm, Herbrechtingen und Berlin
Bernhard Clasen, Daniel Schulz und Steffi Unsleber
## 1. Blut, Angst und manipulierte Produkte: die Patienten
An einem warmen Tag im Mai 2017 sitzt Oleg Kolodjuk im Saal eines Kiewer
Hotels und kämpft mit seiner Nervosität. Nierenkranke aus der ganzen
Ukraine haben sich hier versammelt, zu einer Pressekonferenz. Sie sind
wütend, denn sie haben einen Verdacht: Die Filter und Konzentrate, mit
denen bei der Dialyse ihr Blut gereinigt wird, wurden manipuliert und
verschmutzt und machen sie noch kränker. Dabei sollen sie doch von B. Braun
stammen, dem großen deutschen Pharmakonzern.
Es kann in der Ukraine gefährlich sein, sich zu laut zu äußern, vor allem,
wenn man damit Menschen auf die Füße tritt, die in mächtigen Positionen
sind. Oligarchen etwa, denen Firmen gehören, aber auch Ärzten, die
Stationen leiten und die entscheiden, wer tagsüber an die Dialyse darf und
wer nachts muss, wenn kein Bus mehr fährt.
Oleg Kolodjuk weiß das, er hat aber trotzdem beschlossen, an die
Öffentlichkeit zu gehen. Denn was hat er schon zu verlieren? Er ist Mitte
fünfzig und krank, seit 15 Jahren reinigen die Nieren sein Blut nicht mehr
richtig, seit 10 Jahren ist er auf Dialyse angewiesen. Drei Mal die Woche
geht er dafür ins Krankenhaus in Schitomir, in der nördlichen Ukraine. Bei
der Dialyse wird das Blut seinem Körper entnommen, an einer Membran
gereinigt und schließlich zurück in seinen Körper gepumpt. Würde Kolodjuk
nicht zur Dialyse gehen, würde sein Körper langsam vergiftet werden.
Dialyse ist keine angenehme Prozedur, sie belastet den ohnehin geschwächten
Körper – aber Kolodjuk spürt, dass seit einigen Monaten etwas anders ist
als sonst. Er fühlt sich elend nach der Dialyse, er hat Schüttelfrost,
seine Haut juckt unerträglich. Mit seinem Krückstock kratzt er sich dann am
Rücken. Nach der Behandlung kann er oft nicht schlafen. Er hat starke
Kopfschmerzen, seine Beine tun ihm weh. So erzählt er es bei einem weiteren
Treffen außerhalb der Pressekonferenz.
Mediziner, denen wir diese Symptome schildern, halten sie für plausibel.
Sie sprechen in diesem Zusammenhang von einem Endotoxinschock, der
eintritt, wenn die verwendeten Produkte nicht steril sind. Dieser Zustand
fühlt sich an wie eine schwere Grippe, kann aber auch tödlich sein.
Er habe sich die Etiketten des verwendeten Säurekonzentrats genauer
angesehen, erzählt Kolodjuk. Er bemerkt, dass es aus der Türkei stammt. Die
Schläuche und Filter, durch die die Lösung geleitet wird, kommen aus
Ägypten. Und nicht aus Deutschland, wie es die Klinik versprochen hatte.
Das kommt ihm komisch vor.
Er macht Fotos davon. Er findet auch einen Lagerraum voller Kanister aus
türkischer Produktion. Auch sie fotografiert er. Die Fotos liegen der taz
vor.
Als die Schläuche platzen und einige Patienten viel Blut verlieren, macht
er keine Fotos mehr. Aus Angst vor den Ärzten, denen das mit den Fotos gar
nicht gefällt.
Was geht im Krankenhaus von Schitomir vor?
Um ein Dialysegerät zu betreiben, braucht man Verbrauchsmaterialien, also
Filter, Schläuche, Nadeln, aber auch Säurekonzentrate. Es gibt in der
Ukraine mehrere internationale Firmen, die Geräte und Verbrauchsmaterialien
für die Dialyse bereitstellen. Eine davon ist die deutsche Firma B. Braun.
An die Geräte von B. Braun kann man – im Gegensatz zu anderen Maschinen auf
dem Markt – auch Schläuche und Filter anderer Firmen anschließen. Das macht
die Maschinen für zwielichtige Geschäftsleute interessant, die mit der
Dialyse Geld verdienen wollen.
Unsere Recherchen haben ergeben, dass Zwischenhändler von B. Braun zwar mit
der deutschen Qualität werben, aber tatsächlich oft billige und mangelhafte
Verbrauchsmaterialien an die Krankenhäuser liefern. Viele Patienten, die
diese Produkte erhalten, haben heftige Beschwerden nach der Dialyse.
Um ein Medizinprodukt in ein ukrainisches Krankenhaus zu bringen, ist es
nötig, vorher an einer öffentlichen Ausschreibung teilzunehmen. Das tun,
im Auftrag von B. Braun, ukrainische Zwischenhändler. Gewinnen sie die
Ausschreibung, wird das Krankenhaus damit ausgestattet. Verlieren sie, dann
nicht.
Die Verbindung zwischen B. Braun und den Zwischenhändlern ist eng. Aus den
Dokumenten, die wir für diese Recherche gesichtet haben, geht eine
vertragliche Beziehung zwischen ihnen hervor. In verschiedenen
Autorisierungsbriefen bestätigt B. Braun für jeden Händler einzeln, dass
dieser berechtigt ist, für eine bestimmte Ausschreibung Produkte von B.
Braun anzubieten. Außerdem bestätigt B. Braun, dass die Zwischenhändler die
Maschinen von B. Braun kostenlos warten werden. Die Zwischenhändler
unterschreiben Dokumente in der Ukraine „im Auftrag“ von B. Braun.
Und so lautet das Motto der Pressekonferenz in Kiew: „B. Braun raus aus der
Ukraine“.
Oleg Kolodjuk erhebt sich aus einer der hinteren Reihen des Saales und
stützt sich auf seinen Krückstock. „Seit 2014 verwenden wir in unserem
Krankenhaus die Maschinen von B. Braun“, setzt er an.
Anfangs war alles in Ordnung, erzählt er. Doch schon bald haben die
Patienten statt der deutschen Verbrauchsmaterialien ukrainische, türkische
oder ägyptische Produkte bekommen. „Und dann hat es angefangen: Die Röhren
sind geplatzt, Blut lief aus. Die Patienten hatten am ganzen Körper
Juckreiz, vermutlich eine allergische Reaktion. Andere Patienten bekamen
Knötchen unter der Haut, an den Füßen und den Händen.“
Kolodjuk hat sich einer Patientenorganisation in Schitomir angeschlossen,
inzwischen leitet er sie, obwohl er offiziell nur stellvertretender
Direktor ist. Der Leiter ist vor Kurzem gestorben. „Deshalb bleibe ich
Stellvertreter“, sagt Kolodjuk. „Die Chefs sterben immer.“
Auf der Pressekonferenz sprechen auch andere Patienten aus vielen Teilen
der Ukraine. Sie kommen aus der Hauptstadt Kiew und der Industriestadt
Saporoschje im Osten, Vertreter aus Lwiw in der Westukraine werden per
Skype zugeschaltet. Ihre Geschichten ähneln sich. Andrey Chodakowski von
der Patientenorganisation in Saporoschje zeigt Fotos von den Etiketten.
Darauf sieht man, dass mehrere Herstellungsorte angegeben sind: die
Ukraine, England, Ägypten.
Der Ablauf, so die Darstellung der Patientenvertreter, war in allen Städten
ähnlich: Die Zwischenhändler kamen und warben in den Krankenhäusern mit der
deutschen Qualität. Viele Ukrainer vertrauen Medizinprodukten aus
Deutschland sehr viel mehr als einheimischen Präparaten. Am Anfang lief es
meistens eine Weile gut. Doch dann begannen die Zwischenhändler damit,
billige Materialien aus Ägypten und der Türkei zu liefern. Sie rechneten
trotzdem die teuren Produkte ab. Manchmal verpackten sie die Billigprodukte
auch um und schickten sie mit einem gefälschten Logo von B. Braun in die
Krankenhäuser. Das ist für die Patienten besonders gefährlich, denn danach
sind die Produkte nicht mehr steril, es droht eine Blutvergiftung.
Der ukrainische Geheimdienst, der im Gegensatz zum deutschen auch
ermittelt, leitete im Jahr 2015 Untersuchungen ein. Das geht aus einem
Brief hervor, der der taz vorliegt. Ein Offizier des Geheimdienstes schrieb
in diesem Brief an das ukrainische Büro von Interpol, eine Firma namens
Medikalgrup Ukraine kaufe über Tochterfirmen Verbrauchsmaterialien ein und
lasse sie in eigenen Produktionsstätten umverpacken und als eigene
Erzeugnisse markieren. Dabei werde die Verpackung geöffnet und die Waren
würden verschmutzt. Das könne zu einer Infizierung von Patienten während
der Hämodialyse führen. Patienten hätten Angst um ihr Leben.
Diese Firma, die Medikalgrup Ukraine, vertrete die Interessen des deutschen
Unternehmens B. Braun auf dem Gebiet der Ukraine, schreibt der Offizier des
Geheimdiensts. Er bitte Interpol, dem Geheimdienst mitzuteilen, ob das
Unternehmen B. Braun ihre Zwischenhändler im Sinne der
Antikorruptionspolitik kontrolliert habe und wenn ja, auf welche Art und
Weise.
## 2. Nichts sehen, nichts sagen: der deutsche Konzern B. Braun
Weiß B. Braun davon, was die Zwischenhändler in der Ukraine treiben?
B. Braun ist ein weltweit tätiger Konzern mit Sitz im nordhessischen
Melsungen. Das Unternehmen stellt Medizin- und Pharmaprodukte her. Wer sich
in deutschen Arztpraxen umsieht und darauf achtet, stellt schnell fest: B.
Braun ist überall. Die Firma ist ein Standardausstatter, sie liefert alles,
vom Desinfektionsmittel bis zum Herzkatheter. 2017 hatte das Unternehmen
einen Umsatz von 6,8 Milliarden Euro.
Bereits vor 25 Jahren war der Konzern in einen Medizinskandal verwickelt:
Für das Medizinprodukt Lyodura, das aus getrockneten Hirnhäuten hergestellt
und bei neurochirurgischen Operationen als Pflaster fürs Gehirn verwendet
wurde, hatte das Unternehmen Hirnhäute menschlicher Leichen illegal auf dem
Schwarzmarkt erworben. Das für Autopsien zuständige Personal hatte die
Hirnhäute entfernt, ohne dass die Angehörigen davon wussten, und in großen
Mengen an B. Braun verkauft. Oft stammten diese Hirnhäute von kranken
Menschen. Dadurch haben sich etliche Patienten, die das Medizinprodukt
erhalten hatten, mit der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit infiziert, die tödlich
verläuft. Der Konzern musste Entschädigungen an die Opferfamilien zahlen.
Eine Tochter des Unternehmens ist B. Braun Avitum. Diese Firma ist
spezialisiert auf Dialyseprodukte und hat Niederlassungen in ganz Europa.
Sie ist im Gegensatz zum Mutterkonzern in der Ukraine nicht vertreten.
Deshalb arbeiten sie dort mit Zwischenhändlern zusammen.
Einer dieser Zwischenhändler ist die Medikalgrup Ukraine, die zu einem
größeren Firmenkonglomerat gehört.
Ist die Medikalgrup damit der offizielle Vertreter für Dialyseprodukte von
B. Braun in der Ukraine? Nein, sagt die Pressestelle von B. Braun. Die
Medikalgrup schrieb allerdings auf ihrer Facebookseite im Sommer 2018 auf
Ukrainisch: „Die ,Medikalgrup Ukraine‘ GmbH ist ein Produzent und
offizieller Vertreter in der Ukraine der Firma B. Braun Avitum AG;
Deutschland.“ Nach unseren Nachfragen bei B. Braun und der Medikalgrup
wurde die Seite gelöscht – wir haben allerdings Screenshots davon.
Auf einem Dokument, das der taz vorliegt, unterschreibt die Direktorin der
Medikalgrup Ukraine im Auftrag von B. Braun Avitum. Die Medikalgrup Ukraine
wird darin „bevollmächtigter Vertreter“ genannt. Gültigkeit: bis Oktober
2020.
Wir stellen mehrere Anfragen an B. Braun, die erste im Juni 2017, die
letzte im Dezember 2018. Die Antworten unterscheiden sich nicht sonderlich.
Man wisse nichts von den Vorwürfen gegen die Medikalgrup Ukraine, gibt die
Pressestelle jedes Mal zurück: „Uns ist derzeit nicht bekannt, dass bei der
Anwendung von Fremdprodukten mit Dialysegeräten von B. Braun Probleme
aufgetreten sind.“
Das stimmt jedoch nicht. Laut den Briefen, die uns vorliegen, weiß B. Braun
mindestens seit drei Jahren von den Missständen und den Beschwerden
darüber.
Bereits im April 2016 wandte sich die Patientenorganisation „Gemodializ
Kiew“ in einem Brief an B. Braun. „Seit 2015 liefert die Firma Medikalgrup
Ukraine Säurekonzentrate aus ukrainisch-türkischer Produktion an fünf
städtische Krankenhäuser“ in Kiew, schreibt die Organisation auf Englisch.
„Der Gesundheitszustand der Patienten verschlechtert sich dramatisch, wenn
diese Lösungen benutzt werden. Wir haben uns an lokale Behörden gewandt,
aber die Lösungen werden weiter benutzt. Wir bitten Sie, dieses Problem zu
klären, das das Leben von Patienten bedroht.“
Die Antwort von B. Braun folgt umgehend, ebenfalls auf Englisch: „Wir
verstehen, dass sich ,die Gesundheit von Patienten verschlechtert hat‘,
nachdem Lösungen aus ukrainisch-türkischer Produktion verwendet wurden“,
schrieb Holger Seeberg, heute Vorstand bei B. Braun Avitum, damals
zuständig für weltweite Verkäufe und für Marketing. Da die Produkte nicht
von B. Braun stammten, würden sie keine Haftung übernehmen. „Wir hoffen,
dass wir Ihre Anfrage zu Ihrer vollen Zufriedenheit beantworten konnten“,
schrieb er noch.
Aus Dokumenten, die der taz vorliegen, geht hervor, dass zwei leitende
Angestellte von B. Braun schon 2015 über die Vorwürfe gegen ihre
Zwischenhändler in der Ukraine informiert waren. Auf die Vorwürfe gingen
sie nicht ein. In der Zwischenzeit litten die Patienten.
Man kann dem Konzern nicht zum Vorwurf machen, dass korrupte
Zwischenhändler in der Ukraine den Namen von B. Braun benutzen, um sich
Vorteile zu verschaffen. Oder dass diese Zwischenhändler ihre eigenen
gepanschten Produkte als Originalprodukte von B. Braun in die Krankenhäuser
schicken. Sehr wohl kann man B. Braun aber vorwerfen, dass der Konzern
weiterhin mit seinen Zwischenhändlern zusammenarbeitet, obwohl er weiß,
dass es mit ihnen ein Problem gibt. Er hätte Druck ausüben können. Oder die
Zusammenarbeit beenden. Stattdessen gibt B. Braun auch noch drei Jahre nach
Bekanntwerden der Vorwürfe vor, davon nie gehört zu haben.
Und immer noch werden Partnerfirmen der Medikalgrup Ukraine autorisiert,
für B. Braun in der Ukraine tätig zu sein. Die jüngsten
Autorisierungsbriefe stammen aus dem Januar 2019.
Gegenüber der Presse agiert B. Braun verschlossen. In der Antwort an die
Patientenorganisation in Kiew im Jahr 2016 gibt der Konzern bereitwilliger
Auskunft. Die Medikalgrup Ukraine dürfe für B. Braun an Ausschreibungen in
der Ukraine teilnehmen, bestätigte B. Braun. Außerdem werden Mitarbeiter
der Medikalgrup Ukraine in technischen Trainings von B. Braun geschult:
„Einige Angestellte der ukrainischen Firma ,Medikalgrup Ukraine‘ haben an
verschiedenen technischen Trainings von B. Braun in der Vergangenheit
teilgenommen und sind von B. Braun zertifiziert, Installationen und
Serviceleistungen nach dem Verkauf vorzunehmen“, schrieb Holger Seeberg von
B. Braun Avitum.
Die Chefärztin eines Krankenhauses in Saporoschje, die mit den Maschinen
von B. Braun arbeitet, zeigt der taz den Vertrag ihrer Klinik mit der
Medikalgrup Ukraine; ihr Name und ihre Unterschrift stehen darunter; der
andere Unterzeichner ist Wadim Kinjak, der Geschäftsführer der Medikalgrup
Ukraine. Im Vertrag geht es um die Lieferung von Maschinen von B. Braun,
Verbrauchsmaterialien kommen von der Partnerfirma Bilimed. Herausgeben
wollte die Ärztin den Vertrag nicht. Auf eine Anfrage ans städtische
Gesundheitsamt, der taz bitte diesen Vertrag zukommen zu lassen, fordert
uns das Amt auf, den Vertrag bei der Medikalgrup Ukraine direkt anzufragen.
Die Ärztin, die uns das Dokument gezeigt hat, wird wenig später entlassen.
Wir möchten gerne mit der Medikalgrup Ukraine über die Vorwürfe und ihre
Zusammenarbeit mit B. Braun sprechen. Doch das ist schwierig.
## 3. Niemand zu Hause: die ukrainischen Zwischenhändler
Die Arbeit an diesem Text begann bei der Pressekonferenz in Kiew im Mai
2017. Sie dauerte fast zwei Jahre und umfasste die Recherche im
ukrainischen und deutschen Handelsregister und in
Ausschreibungsdatenbanken, in den Datenbanken der Offshore Leaks und der
Panama Papers. Wir haben mit zahlreichen Patientenvertretern in der Ukraine
gesprochen, mit Menschen, die im Gesundheitsmarkt in Deutschland und in der
Ukraine tätig sind, mit Ärzten, der ukrainischen Polizei, dem Geheimdienst,
dem Gesundheitsamt, der deutschen Polizei, diversen Staatsanwaltschaften
und mit Vertretern der betroffenen Firmen.
Außerdem haben wir Reisen zu den Krankenhäusern in der Ukraine unternommen,
in denen von Unregelmäßigkeiten bei der Dialyseversorgung berichtet wurde.
Verschiedene Menschen in der Ukraine, die sich mit dem Thema gut auskennen,
stellten uns Dokumente zur Verfügung, aus denen ersichtlich wird, wie das
Geld geflossen ist, das durch die Korruption generiert wurde, und wo es
versteckt wird. Diese Dokumente prüften wir, soweit es möglich war, auf
ihre Echtheit. Die Recherche hat uns schließlich bis nach Zypern geführt
und ins bayrisch-schwäbische Grenzgebiet.
Wer zum Gesundheitsmarkt in der Ukraine recherchiert, taucht ein in ein
Dickicht an Firmen. Immerhin wurden seit den Maidan-Protesten eine Reihe
von öffentlichen Datenbanken gegründet, die man durchsuchen kann. So soll
die Korruption bekämpft werden. Es gibt verschiedene Handelsregister, aber
auch eine Datenbank für öffentliche Ausschreibungen namens „Prozorro“ –…
auf Deutsch so viel heißt wie „transparent“. Die Bewerber, die Gewinner,
ihre Unterlagen und die Autorisierungsbriefe, alles ist dort frei
zugänglich.
Arbeitet man sich durch diese Autorisierungsbriefe der
Dialyse-Ausschreibungen, so wird schnell deutlich: Für den deutschen
Konzern B. Braun ist in der Ukraine nicht nur die Medikalgrup Ukraine
tätig, sondern eine ganze Reihe von Firmen. Sie heißen: Bilimed, Topservice
Medtechnika, Good Look GmbH und Index Ltd.
Hauptakteur ist, nach allem, was wir wissen, die Medikalgrup Ukraine.
Hinter dieser Firma haben sich zwielichtige Geschäftsleute versammelt, die
gemerkt haben, dass sie mit korrupten Deals im Medizinmarkt viel Geld
verdienen können.
Direktorin war bis 2016 Irina Savosta. Auf ihrer Facebookseite kann man
ihre Reisen nach Deutschland verfolgen, unter anderem an den Firmensitz von
B. Braun, nach Melsungen. Sie wurde inzwischen ersetzt durch Wadim Kinjak.
Savosta und Kinjak reagieren auf Anfragen nicht.
Da der Name der Medikalgrup Ukraine in der ukrainischen Presse inzwischen
mit korrupten Geschäften in Verbindung gebracht wird, ist die Firma seit
einigen Jahren dazu übergegangen, ihre Geschäfte hauptsächlich über die
Partnerfirma Bilimed abzuwickeln.
Die Medikalgrup Ukraine, Bilimed und Topservice Medtechnika gehören einem
Firmenkonglomerat an. Zu dem Schluss kommt ein Kiewer Gericht, nachdem die
Geschäftsräume von Bilimed durchsucht wurden. Die Firmen treten allerdings
bei Ausschreibungen als Konkurrenten auf. Im ukrainischen Handelsregister
sind sie unter verschiedenen Adressen registriert.
Fährt man diese Adressen ab, stellt man schnell fest: Die meisten stimmen
nicht. Die Adressen führen in Wohngebiete, nirgendwo hängt ein
Firmenschild. Unter der offiziellen Adresse der Medikalgrup sitzt zumindest
eine Rezeptionistin, aber kein Firmenvertreter ist anwesend.
Tatsächlich residieren alle drei Firmen in der Oksamitowastraße 9 in
Kiew-Swiatoschinski, stellt das Gericht fest. Eine Straße, die in ein
Gewerbegebiet in einem Vorort von Kiew führt. Hier befinden sich viele
lagerhallenartige Gebäude. Das Gelände ist eingezäunt. Nirgendwo stehen die
Namen der Firmen. Außen hängt nur ein Schild mit dem Namen „Dopomoga-1“.
Das ist der Firmenname, der immer wieder auf den Billigprodukten der
Medikalgrup Ukraine auftaucht.
Im Foyer sitzt ein bärtiger Pförtner. Auf die Frage, ob hier Bilimed,
Topservice Medtechnika und die Medikalgrup Ukraine ihren Sitz haben, nickt
er. Ein Gespräch mit der Geschäftsführung kommt aber nicht zustande. Eine
Mitarbeiterin von Bilimed erscheint und sagt, der Direktor von Bilimed
könne nicht mit uns sprechen, er sei unterwegs und das Handy sei aus. Der
Direktor von Topservice Medtechnika sei in Korea. Und von der Medikalgrup
Ukraine sei ebenfalls niemand da. Auch telefonisch können wir die
Firmenvertreter nicht erreichen. Die, die das Telefon abnehmen,
versprechen, ein Gespräch mit der Leitung herzustellen, reagieren aber auf
weitere Kontaktversuche nicht mehr.
Wir fahren zur Niederlassung von B. Braun in Kiew. Dort ist man nicht
direkt für Dialyseprodukte zuständig, sondern für das ganze Geschäft von B.
Braun in der Ukraine. Vor Ort gelingt es uns, für den nächsten Tag ein
Gespräch mit dem Chef zu vereinbaren. Wenig später interveniert die
Pressestelle von B. Braun aus Deutschland per Mail und sagt das Gespräch
wieder ab. Man sei bereit, Fragen schriftlich zu beantworten.
Wir listen detailliert die Vorwürfe gegen die Zwischenhändler von B. Braun
auf und bitten um eine Stellungnahme. Die Antwort von B.Braun lautet,
wieder einmal: „Über die von Ihnen genannten Vorwürfe gegen bestimmte
ukrainische Distributoren ist uns nichts bekannt.“
Die Sprecherin verweist auf die E-Mail, mit der sie das Gespräch abgesagt
hat. „Nach unserem aktuellen Stand gibt es keine weiteren Erkenntnisse zu
unserer Beantwortung hinzuzufügen“, schreibt sie. Wir weisen sie darauf
hin, dass die Pressestelle uns in dieser Mail angeboten hatte, Fragen
schriftlich zu beantworten. Daraufhin reagiert sie nicht mehr.
## 4. Einflussreiche Kräfte und Geschenke: die Konkurrenz
Wer sofort zu einem Treffen bereit ist, ist die Firma Renart, die
ukrainische Vertretung des deutschen Medizintechnikherstellers Fresenius –
also die Konkurrenz. Sergij Sumin, der Chef von Renart, ist Arzt. Er nimmt
sich zwei Stunden Zeit. Währenddessen drückt er alle Anrufe weg. Er
beobachte die Praktiken der Medikalgrup schon lange, sagt er. Das Verhalten
von B. Braun erklärt er sich so: „B. Braun verkauft seine Geräte an die
Mittelsfirmen. Wenn die Geräte verkauft sind, ist B. Braun draußen, hat
sein Geschäft gemacht. Was danach passiert, interessiert B. Braun nicht
mehr.“ Anschließend verleihe der Zwischenhändler die Geräte kostenlos an
Krankenhäuser, mit der Auflage, dass der Vertragspartner zusichern müsse,
Verbrauchsmaterialien nur bei diesem Zwischenhändler zu kaufen. Die ersten
beiden Lieferungen seien noch von B. Braun. Anschließend gehe man zu
billigeren Materialien über. Irgendwann werde ein zusätzlicher „Vertrag zur
Qualitätssteigerung“ abgeschlossen. Dieser Vertrag sei dann in keiner
öffentlichen Datenbank mehr zu finden. Und in diesem Vertrag sei
festgehalten, dass man auch Materialien anderer Hersteller kaufen könne.
Im Moment gebe es in der Ukraine Versuche von einflussreichen Kräften,
Fresenius vom Markt zu drängen, sagt Sumin dann noch. „Fresenius zwingt
nämlich die Nutzer, nur eigenes Verbrauchsmaterial zu verwenden. Da ist
nicht viel Spielraum für Korruption.“
Wir können auch mit Vertretern einer Firma sprechen, die früher einmal mit
B. Braun zusammengearbeitet hat. Diese Vertreter haben um Anonymität
gebeten. Sie sagen, sie hätten Angst; in der Ukraine könne sie niemand
schützen. Außerdem möchten sie ihre laufenden Geschäfte nicht gefährden.
Nennen wir sie Firma X. Firma X schloss 2011 einen Exklusivvertrag mit B.
Braun, gemeinsam eröffneten sie eine Dialysestation. Aber der
Ländervertreter von B. Braun war unzufrieden, dass Firma X nicht schnell
genug expandierte. Nach taz-Informationen wünschte er sich 30 Prozent
Marktanteil. Als die Firma das nicht schaffte, verweigerte B. Braun ihr die
Autorisierung. Damit durfte die Firma keine Produkte von B. Braun mehr in
der Ukraine vertreiben. Stattdessen begann B.Braun 2014, mit der größeren
Firma Medikalgrup Ukraine zusammenzuarbeiten, um einen besseren Zugang zum
ukrainischen Markt zu bekommen.
Die Dialysestation der Firma X wurde ab 2015 von der Medikalgrup Ukraine
mit minderwertigen Verbrauchsmaterialien beliefert. Die Patienten hatten
heftige allergische Reaktionen, erzählen Vertreter der Firma X. Die
Kanister mit den Dialyselösungen, die die Medikalgrup Ukraine geliefert
hatte, waren löchrig, die Flüssigkeit lief aus. Die Firma X verschenkte
schließlich alle Verbrauchsmaterialien, die sie noch von B. Braun hatte, an
die Patienten.
Der taz liegt dazu ein Brief der Patientenorganisation „Gemodializ Kiew“ an
die Firma X vor. „Wir wenden uns an Sie mit der dringenden Bitte,
humanitäre Hilfe zur Verfügung zu stellen und zwar insbesondere ein
Säurekonzentrat und eine Bicarbonatkartusche“, schreibt die Leiterin der
Patientenorganisation, Oxana Nagornitschewska. „Das Befinden von mehr als
zwanzig Patienten, bei denen fragwürdiges Verbrauchsmaterial der Firma
Dopomoga und der Firma Medikalgrup angewandt wurde, verschlechtert sich.“
Sie beschreibt weiter, dass es den Patienten im Frühjahr 2016 viel besser
ging, als sie schon einmal kostenlose Verbrauchsmaterialien von der Firma X
erhalten hatten. „Die Schmerzen in den Beinen und Muskeln waren
zurückgegangen“, schreibt Nagornitschewska. „Jucken, Übelkeit und Schwäc…
bei der Hämodialyse waren ausgeblieben.“
Die Firma X hat nach taz-Informationen mehrmals versucht, B. Braun über die
Missstände und den schlechten Ruf ihrer Zwischenhändler zu informieren.
VertreterInnen der Firma trafen sich 2015 mehrfach am Firmensitz von B.
Braun in Melsungen mit den Ländervertretern zu Gesprächen, die schließlich
scheiterten. 2016 beendete die Firma X die Zusammenarbeit mit B. Braun.
## 5. Verfahren eingestellt: die Ermittlungs-behörden
Nach allem, was wir wissen, dauert der Betrug der Zwischenhändler bis heute
an. Die ukrainische Polizei und der Geheimdienst haben Ermittlungen
aufgenommen, sie dann aber ziemlich schnell wieder eingestellt.
In den vergangenen Jahren gab es mehrere Durchsuchungen in den
Geschäftsräumen der Medikalgrup Ukraine und ihrer Partnerfirmen. Die
ukrainische Polizei bestätigt, dass sie vorgerichtliche Ermittlungen wegen
Machtmissbrauch eingeleitet hat. Die Ermittlungen wurden jedoch
eingestellt. Weitere Informationen will die Polizei aufgrund des
Datenschutzes nicht herausgeben. Sie nennt jedoch den Polizisten, der
damals die Ermittlungen geleitet hat: Stanislav Serebriak.
Wir besuchen eine Bürgersprechstunde von Serebriak, um ihn auf die
Ermittlungen anzusprechen. Der Polizist ist ein bulliger Mann um die 40, er
trägt ein graues, ziviles Jackett. An die Ermittlungen könne er sich nicht
erinnern, sagt er. Er müsse ins Archiv schauen.
Wir machen mit seiner Assistentin, die neben ihm sitzt, einen Termin aus,
für nächste Woche. Zum vereinbarten Termin kommt Serebriak nicht. Wir
diskutieren so lange mit seiner Assistentin, bis ein anderer Polizist mit
uns redet, der behauptet, er habe mit dem Fall Medikalgrup nichts zu tun
gehabt.
Auf dem Dokument, das er uns zeigt, um zu demonstrieren, dass die
Ermittlungen eingestellt worden sind, steht allerdings sein Name. Der
Polizist sagt uns, es habe keine ausreichenden Verdachtsmomente für weitere
Ermittlungen gegeben. Wir würden gern die Dokumente im Archiv zu der
Ermittlung sehen. Er verspricht uns, sich zu melden, doch wir hören wieder
wochenlang nichts.
Wir fragen bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Kiew nach. Die teilt
uns Anfang 2019 nach Wochen mit, sie ermittle in dem Fall wieder. Dann
jedoch bekommen wir auch von dort die Ansage: Es gebe keine ausreichenden
Verdachtsmomente für Ermittlungen.
Wir versuchen auch, das Krankenhaus und das medizinische Lager in Schitomir
zu besichtigen, wo Oleg Kolodjuk seine Dialyse erhält und wo ihm die
Unregelmäßigkeiten aufgefallen sind.
Das ist allerdings nicht so leicht. Nachdem wir einen Tag lang vor seinem
Büro gewartet haben, teilt uns der Chef der Gesundheitsbehörde im Herbst
2018 mit, dass man nur mit einer Genehmigung des Chefs der
Bezirksverwaltung von Schitomir das Krankenhaus, die Gesundheitsbehörde und
das medizinische Lager besuchen dürfe. „Das ist kein Problem“, sagt er,
„die erhalten Sie in wenigen Tagen.“ Ein halbes Jahr später haben wir immer
noch keine Genehmigung erhalten, trotz mehrerer Rückfragen und Anschreiben,
auch von der Chefredaktion.
## 6. Eine große weiße Villa: die Zwischenhändler in Deutschland
Zeit, einen anderen Rechercheweg einzuschlagen. Zurück nach Deutschland.
Aus den Dokumenten in der ukrainischen Ausschreibungsdatenbank geht hervor,
dass B. Braun 2016 eine weitere Firma zwischengeschaltet hat, die das
Dialysegeschäft in der Ukraine betreuen soll. Es ist die deutsche Good Look
GmbH.
In den Dokumenten heißt es: „Durch diesen Autorisierungsbrief autorisieren
wir, B. Braun Avitum AG, Hersteller von Dialysegeräten und
Verbrauchsmaterialien für die Dialyse, […] hiermit die Good Look GmbH […],
dritte Parteien zu autorisieren, an öffentlichen Ausschreibungen auf dem
Gebiet der Ukraine […] teilzunehmen.“
Uns liegen drei dieser Autorisierungsbriefe vor, für die Jahre 2017, 2018
und 2019. Der jüngste ist bis zum 31. Dezember 2019 gültig.
Die Good Look GmbH sitzt in Neu-Ulm. Auf ihrer Homepage good-look.biz gibt
die Firma an, dass sie mit medizinischen Geräten handelt und in der Ukraine
und in Kasachstan eigene Dialysezentren betreibt. Hinter der Firma steht
die Familie Klöpfer. Eingetragen als Geschäftsführerin war zuerst die
Mutter, dann einer der beiden Söhne, danach der andere. Diese Firma ist an
dem, was in der Ukraine passiert, wesentlich näher dran als der
Braun-Konzern.
Einer der Söhne, der zwischendurch Geschäftsführer der Good Look GmbH war,
ist auch Inhaber der Firma Index in der Ukraine. Auch diese Firma ist
autorisiert, für B. Braun in der Ukraine an Ausschreibungen teilzunehmen.
Wir fragen bei der Good Look GmbH an, ob ihr die Vorwürfe gegen die von ihr
beauftragten Zwischenhändler bekannt sind. Und wenn ja, warum sie weiter
mit ihnen zusammenarbeitet.
Die Antwort kommt kurz und knapp, von einem Vertreter der Firma: „Zu den
aufgeführten Vorwürfen bzw. angeforderten Auskünften werden wir keine
Aussagen tätigen.“
Auf eine zweite E-Mail erhalten wir keine Antwort mehr. Kurz darauf löscht
Eduard Klöpfer, einer der Söhne, sein Facebook-Profil und die Homepage der
Firma geht für einige Monate offline.
Wir fahren nach Neu-Ulm. Die Firmenadresse führt in eine Villengegend,
direkt am Ufer der Donau. Die Familie wohnt in einer dreistöckigen weißen
Stadtvilla mit großem Garten und einer Mauer, die das Haus von einem
Grünstreifen mit Bäumen trennt. Auf der Klingel steht der Name der Familie
und der Name der Firma.
Eduard Klöpfer steigt aus seinem Auto, als wir gerade vor dem Haus stehen.
Wir sprechen ihn an, er bittet uns hinein. Offenbar hält er uns für
Geschäftsleute. Als er auf dem Weg zur Tür hört, dass wir Journalisten
sind, sagt er nicht mehr viel. Er lässt seinen Hund in den Vorraum, in dem
wir warten, spricht kurz mit seinem Bruder, der jetzt Geschäftsführer der
Firma ist, auch eine ältere Frau kommt in die Diele und begutachtet uns.
Schließlich schicken sie uns fort, man habe jetzt keine Zeit. Wir lassen
unsere Kontaktdaten da, aber niemand meldet sich bei uns.
An den beiden anderen Adressen, unter denen die Firma mal registriert war,
stoßen wir auf Wohngebäude – in der Fußgängerzone von Ulm und in einem
Gewerbegebiet in Herbrechtingen, im Osten Baden-Württembergs.
Unter dem Namen „Good Look GmbH“ findet man im Internet verschiedenste
Firmen und Adressen in der Gegend um Ulm. Familie Klöpfer hat wohl auch mal
mit Scheibenputzmittel gehandelt, daher der Name der Firma. Dann mit
Melasse, mit einem Proteinpulver für definierte Bizepse, mit italienischer
Mode.
Als wir nach mehr Informationen zu der Familie suchen, finden wir eine
weitere irritierende Meldung: Im Herbst 2018 hat einer der Brüder auch noch
ein Musiklabel gegründet. Es heißt: „Friends with money“.
Co-Besitzer ist der Rapper Shindy. Shindy hat lange mit Deutschlands
bekanntestem Rapper Bushido zusammengearbeitet, dessen Label nach einem
Streit mit dem Berliner Clanchef Arafat Abou-Chaker aber verlassen. So
erzählt er es in „Boa“, dem Magazin des Fußballspielers Jérôme Boateng.
Shindy soll jetzt laut Szenekennern mit dem Al-Zein-Clan zusammenarbeiten.
Was Familie Klöpfer mit all dem zu tun hat, ist unklar.
## 7. Wo kann man sein Geld verstecken? DieSpur nach Zypern
Folgt man der Spur des Geldes, das bei den krummen Dialysegeschäften in der
Ukraine verdient wird, landet man zuerst in Litauen und schließlich in
Zypern. Offenbar nutzen die ukrainischen Zwischenhändler ein Netz aus
weiteren Alibifirmen, um ihr Geld in der Europäischen Union zu waschen.
In dem Brief vom März 2015 an Interpol schrieb der Offizier des
ukrainischen Geheimdiensts, dass die Medikalgrup Ukraine mit zwei Firmen
zusammenarbeite: Ipson Holdings Limited mit Sitz in Zypern und Pro Buono
mit Sitz in Litauen. Diese Firmen werden von der Medikalgrup Ukraine
benutzt, um umverpackte Produkte auszuführen und zu einem wesentlich
höheren Preis wieder einzuführen.
Rechnungen, die der taz vorliegen, zeigen, dass die Medikalgrup Ukraine
Produkte von B. Braun an die Firma Pro Buono in Litauen verkauft – unter
anderem Kartuschen mit einem Pulver, das für die Dialyse benötigt wird. Die
Kartuschen kosten 4 Euro pro Stück. Dasselbe Produkt kauft die Medikalgrup
Ukraine von der Ipson Holdings Limited mit Sitz in Zypern wieder ein – für
5 Euro pro Stück. Dieses Schema findet sich auch bei anderen Produkten. So
kann die Medikalgrup durch die hohen Stückzahlen der Produkte Zehntausende
Euro Gewinn machen. Es ist anzunehmen, dass so Hunderttausende Euro
gewaschen wurden.
Die Medikalgrup verkauft also Waren nach Litauen und kauft sie aus Zypern
zu einem erhöhten Preis wieder ein. Der Sinn der ganzen Prozedur: Geld nach
Zypern schaffen, in das Steuerparadies der Europäischen Union, wo es von
einer Briefkastenfirma verwaltet wird.
Zypern ist für Kriminelle aus postsowjetischen Staaten ein beliebter Ort,
um Geld zu verstecken – das hat man auch bei der Veröffentlichung der
Panama Papers gesehen.
Geld der Medikalgrup Ukraine landet also bei einer Firma namens „Ipson
Holdings Limited“. Diese Firma wurde 2013 gegründet, kann man auf der
Website OpenCorporates nachlesen. „Direktor“ ist die Firma „S. I. Cylaw
Services Limited“, der Sekretär ist ein gewisser Stelios Ieronymides.
Dokumente, die uns von der Süddeutschen Zeitung aus dem Fundus der Panama
Papers zur Verfügung gestellt wurden, belegen, dass Ieronymides als
Strohmann für viele Firmen auftritt. Er hat auch den Vertrag mit der
Medikalgrup Ukraine unterzeichnet. Die Firma „S. I. Cylaw Services Limited“
gehört zu einem Firmennetz um die Firma „Stelios Ieronymides & Accociates
LLC“.
Dieses Schema, Firmen in Firmen, wie bei einer Matrjoschka-Puppe, wird
gerne genutzt, um Besitzverhältnisse zu verschleiern – auch das wurde bei
den Recherchen rund um die Panama Papers deutlich. Das Geld, das die
Medikalgrup Ukraine verdient, landet auf verschlungenen Wegen bei Stelios
Ieronymides.
Wer ist dieser Mann? Auf Anfrage der taz reagiert er nicht, allerdings ist
kurz darauf auf seiner Homepage wesentlich weniger zu lesen als zuvor. Wir
haben jedoch Screenshots angefertigt.
Laut seinem Blog wurde er in Nikosia geboren, der Hauptstadt Zyperns. Er
ist Politiker, war im Stadtrat von Nikosia und Vize-Bürgermeister. Kurz saß
er auch im zypriotischen Parlament, 2011 schaffte er den erneuten Einzug
nicht.
1985 gründete er eine Anwaltskanzlei. Diese Kanzlei hat Ableger in Moskau,
Kiew, Riga, Tallinn, London und weiteren Städten.
Die Firma wirbt damit, dass Zypern das Land in Europa mit den niedrigsten
Steuern ist – „manchmal bis zu 0 Prozent“. „Das günstige Steuersystem
Zyperns, das umfangreiche Netzwerk von Doppelbesteuerungsabkommen, die
Mitgliedschaft in der Europäischen Union, bietet großartige Möglichkeiten,
Geschäfte zu machen – besonders in Zentral- und Osteuropa und in
CIS-Ländern“, den postsowjetischen Staaten, heißt es auf der Homepage. Die
Firma biete die „Gründung und Registrierung von Firmen“ an, die „Verwalt…
von Bankkonten“, „grenzüberschreitende Transaktionen“ und vieles mehr. S…
hat außerdem zwei Mitarbeiterinnen, die für russischsprachige Kunden
zuständig sind.
Das Geschäft von Stelios Ieronymides basiert darauf, dass er das Vermögen
seiner Kunden verwaltet und die wahren Besitzer einer Firma verbirgt.
Ungefähr ein Drittel aller Mittel, die der ukrainische Staat für die
Dialyse von Patienten ausgibt, landet auf Offshore-Konten, hat das
ukrainische Online-Medium Naschi Groschi ausgerechnet, das sich vor allem
mit Korruption beschäftigt. Etwa 350 Millionen Griwna pro Jahr gingen so
verloren, ungefähr elf Millionen Euro. Dieses Schema ist auch dafür
verantwortlich, dass in der Ukraine viele Patienten keine Dialyse erhalten,
weil das Geld für sie nicht reicht.
In Zypern endet also die Spur. Oleg Kolodjuk leidet, weil jemand daran viel
Geld verdient, auch dank einer Steueroase in der Europäischen Union.
## 8. Epilog: Wie geht es Oleg Kolodjuk?
Eineinhalb Jahre nach der Pressekonferenz treffen wir Oleg Kolodjuk wieder,
diesmal in Schitomir, seiner Heimatstadt. Es ist ein kalter Tag, aber die
Sonne scheint. Kolodjuk hat als Treffpunkt das Restaurant Zolotaja Arka
vorgeschlagen.
Er kommt in einer Outdoor-Jacke zur Tür herein, das silbrige Haar trägt er
kurz. Wären da nicht die blassen Lippen und das leicht wächserne Glänzen
der Haut, könnte man ihn für einen sportlichen älteren Mann halten.
Es geht ihm heute besser als vor einem Jahr, denn sein Auftritt bei der
Pressekonferenz hatte Folgen: Ein ukrainischer Fernsehsender ist nach
Schitomir gekommen und hat über die Zustände in der dortigen
Gesundheitsversorgung berichtet.
Danach erhielten die Patienten im Krankenhaus wieder Produkte in der
Verpackung von B. Braun. Kolodjuk glaubt, dass es Originalprodukte sind,
denn seine Beschwerden haben nachgelassen. „Ich glaube, die haben Angst
bekommen“, sagt er.
Die Patientenorganisation „Nadeschda“, „Hoffnung“, wollen die Mitglieder
nicht aufgeben, sagt er. Wenn sie wieder mit billigem Verbrauchsmaterial
versorgt werden, wollen sie schnell reagieren und die Behörden informieren.
„Wir haben gemerkt, dass wir zusammen stark sind.“
B. Braun wirft er vor, dass die Firma aus Deutschland ihre Zwischenhändler
in der Ukraine nicht kontrolliere. „Sie kümmern sich nicht um das, was hier
passiert“, sagt Oleg Kolodjuk. Und ergänzt: „Wir Patienten sind ihnen
egal.“
Das Firmengeflecht aus Medikalgrup Ukraine, Topservice Medtechnika und
Bilimed ist weiterhin auf dem ukrainischen Markt aktiv und nimmt an
Ausschreibungen teil. Vor einigen Monaten hat Bilimed eine in Schitomir
gewonnen, in Oleg Kolodjuks Heimatstadt – die Firma soll das örtliche
Krankenhaus im Jahr 2019 mit Pulverkartuschen und Filtern für Maschinen von
B. Braun beliefern.
Es geht dabei um 31.653.184 ukrainische Griwna, etwa eine Million Euro.
Bernhard Clasen ist Ukraine-Korrespondent der taz.
Daniel Schulz leitet das Ressort Reportage und Recherche.
Steffi Unsleber ist Redakteurin im Recherche-Ressort.
Mitarbeit: Irina Serdyuk und Volodymyr Kukhar
Wissenschaftliche Beratung:
Professor Jan-Christoph Galle
9 Mar 2019
## AUTOREN
Daniel Schulz
Steffi Unsleber
Bernhard Clasen
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