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# taz.de -- Und darauf einen Schnaps
> Im Brandenburger Dorf unseres Autors zwitschern sie ganz gerne einen.
> Aber im Dorf gibt es keine Brennerei mehr
Von Philipp Maußhardt (Text) und Karoline E. Löffler (Illustration)
Zwitschern sagen sie in unserem Brandenburger Dorf zum Saufen. Die alte
Inge von gegenüber zum Beispiel: „Oh, was haben wir in eurem Haus früher
gezwitschert!“ Und dann leuchten ihre 85-jährigen Äuglein und sie lacht
verschmitzt.
Nach unserem Hauskauf benötigten wir erst einmal einen eigenen
Glascontainer. Viele der Bierflaschen waren noch halbvoll, in manchen
wohnte schwarzer Schimmelpilz. Das Haus hatte nach dem Tod seines letzten
Bewohners vier Jahre lang leer gestanden. Vogler hieß der Vorbesitzer. Er
hat sich totgesoffen, sagen sie im Dorf. Sie sagen nicht: Er hat sich
totgezwitschert.
1988 trank statistisch gesehen jeder DDR-Bürger 23 Flaschen Schnaps pro
Jahr. Das war doppelt so viel wie die westdeutschen Brüder und Schwestern
jährlich an harten Getränken konsumierten. Goldbrand, Timms Saurer und
Sambalita waren äußerst beliebt, und den allgegenwärtigen Kristall Wodka
taufte der Volksmund „Blauer Würger“. Der VEB Nordhausen war schon in den
1970er-Jahren zum größten Spirituosenhersteller Europas aufgestiegen. Den
Nordhäuser Doppelkorn gibt es noch heute. Er gehört inzwischen dem
Sektkonzern Rotkäppchen-Mumm.
Kurz vor Weihnachten hatte die Freiwillige Feuerwehr unseres Dorfes im
Schlosspark einen großen Haufen Holz und Gestrüpp angezündet, man stand
drumherum und schüttete sich in kurzen Abständen den Inhalt kleiner
Fläschchen in den Rachen. Eckes Edelkirsch, Kleiner Feigling, Kräuterhexe.
Die leeren Flaschen warf man ins Feuer, „die schmelzen, die siehst du
nachher nicht mehr“, sagte einer der Feuerwehrmänner.
Anschließend ging ich noch mit ins Feuerwehrhaus, ein wenig weitertrinken,
obwohl ich wusste, dass ich es am nächsten Morgen bitter bereuen würde und
nur durch einen Heringsalat als Katerfrühstück wieder auf die Beine käme.
Es wurde noch ein lustiger Abend, an den ich mich nur insoweit erinnere,
als meine Frage, ob denn niemand einen „richtigen Schnaps“ habe, ein
längeres Streitgespräch darüber entfachte, was das sei.
Da, wo ich aufgewachsen bin, zwischen Neckar und Bodensee, hat fast jedes
Dorf eine Schnapsbrennerei. Den Rohstoff liefern die Streuobstwiesen. Es
gibt nicht nur die Williams Christbirne, die sich hervorragend zur
Destillation eignet, auch die Nägelesbirne, die Wahlsche Schnapsbirne und
Dutzende weitere Sorten werden einzeln oder als Mischung „abgebrannt“. Bei
Quitten und Äpfeln sieht es ähnlich aus, auch Zwetschge, Vogelbeere und
Schlehe – alles landet letztlich im Kupferkessel. Weil es in Ingendingen
und wie die Käffer dort alle heißen, eine Frage der Ehre ist, den Schnaps
aus dem eigenen Keller und nicht aus der nächsten Tankstelle zu holen.
In der Prignitz suchte ich bislang vergeblich in den Dörfern meiner näheren
Umgebung nach einer Brennerei. Die, die ich fand, in Wolfshagen, Gumtow
oder Marienfließ, waren längst geschlossen, halb verfallen und standen zum
Verkauf. Traurig reckten sie ihre Ziegelschornsteine in den Brandenburger
Himmel, wie ausgestreckte Zeigefinger, die daran erinnern: Schaut auf
dieses Land! Hier wurde einmal ordentlich gezwitschert. Der Grundstoff war
weniger das Obst. Im Kartoffelland Brandenburg stellte man den Alkohol
vorwiegend aus Erdäpfeln oder Getreide her.
In ein paar Jahren wird das anders sein. In ein paar Jahren wird es wieder
„richtigen Schnaps“ in der Prignitz geben. In den Elbauen hat der Nabu
schon vor ein paar Jahren damit begonnen, Tausende junger Obstbäumen
anzupflanzen. Von unserem Haus aus führt eine Allee aus Apfel- und
Birnenbäumen bis ins Nachbardorf, die Früchte sind Gemeinschaftseigentum.
Irgendwann, da bin ich mir sicher, wird jemand auf die Idee kommen, aus all
diesem Obst einen Schnaps zu brennen.
Schnaps brennen ist nämlich einfach, wenn man vorsichtig vorgeht und alles
richtig macht, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Den Kessel, das
Steigrohr und die Kühlspirale habe ich schon vor vielen Jahren aus Rumänien
mitgebracht. Das Schwierigste am Schnapsbrennen ist der deutsche Zoll. Man
darf es nicht. Jedenfalls nicht unangemeldet und ohne Genehmigung. Es ist
eine Straftat.
Aus diesem Grund brenne ich meinen Schnaps auch jenseits der deutschen
Staatsgrenze und auch nur so viel, wie ich selbst im Jahr verkraften kann.
Vor ein paar Wochen war es wieder so weit: Ich baute die Destille auf,
erhitzte ganz langsam die Maische von Quitten und Zwetschgen. Es ist jedes
Mal ein wunderbarer Moment, wenn es aus dem Röhrchen am Ende der
Kühlspirale zu tropfen beginnt und ein ungeheuerlicher Duft den alten
Ziegenstall erfüllt.
Im nächsten Winter werde ich meinen eigenen Schnaps zum Fest im Schlosspark
mitbringen. Ich werde ihn im Feuerschein bis in die frühen Morgenstunden
ausschenken und später, im Feuerwehrhaus, werden wir beschließen, eine
eigene Dorfbrennerei zu gründen, die den ersten Prignitzer Schnaps aus
heimischem Obst erzeugt. Einen Feuerwehrschnaps. Ich hoffe, ich werde ihn
noch zusammen mit Inge zwitschern können.
Ein Schwabe in der Prignitz
Kulinarisch wurde unser Autor in Frankreich und Süddeutschland
sozialisiert. An dieser Stelle berichtet er einmal im Monat, wie er sich
die Lebensmittelrealität Brandenburgs erschließt.
23 Feb 2019
## AUTOREN
Philipp Mausshardt
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