# taz.de -- Vom Reiz des Tanzes auf dem Vulkan | |
> Mit der Ausstellung „Welt im Umbruch. Kunst der 20er Jahre“ sollten | |
> eigentlich die neuen Räume des Hamburger Bucerius Kunst Forums eröffnet | |
> werden. Nun drängen sich 175 Exponate noch im alten Haus am Alten Wall – | |
> zu wenig Raum für die großen Ambitionen der Ausstellungsmacher*innen | |
Bild: Gesellschaftskritisches Abbild der Nachkriegsgesellschaft: Georg Scholz' … | |
Von Falk Schreiber | |
Ein arg billiger Witz: Das Hamburger Bucerius Kunst Forum ist ein | |
Ausstellungshaus im Umbruch. Eigentlich war der Plan, mit der Ausstellung | |
„Welt im Umbruch“ die neuen Räume im Alten Wall zu eröffnen. Der Umzug hat | |
sich allerdings verschoben, die Präsentation deutscher Kunst der 1920er | |
Jahre findet nun noch in den alten Räumlichkeiten am Rathausmarkt statt – | |
deutlich beengter als gedacht. | |
Und dort will „Welt im Umbruch“, die mit rund 175 Exponaten umfangreichste | |
Ausstellung in der 17-jährigen Geschichte des Hauses, viel, vielleicht zu | |
viel. Sie will als Teil der 100-Jahre-Bauhaus-Feierlichkeiten einen | |
umfassenden Überblick über die Kunst der Neuen Sachlichkeit in Deutschland | |
erstellen. Sie will eine gesellschaftliche Krisensituation porträtieren: | |
die Weimarer Republik kurz vor dem Abgleiten in den Nationalsozialismus, | |
eingeschlossen die Warnung vor rechtsnationalistischen Umtrieben in der | |
Gegenwart. Sie will auch eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen | |
Fotografie und Malerei anstoßen, ein Verhältnis, das sich um 1925 radikal | |
zu wandeln begann. | |
Und nicht zuletzt will „Welt im Umbruch“ eine populäre Schau sein, die den | |
grausigen Reiz des Tanzes auf dem Vulkan umkreist – nicht umsonst greift | |
Andreas Hoffmann gleich in den ersten Sätzen des Kataloges auf die | |
Fernsehserie „Babylon Berlin“ zurück, die für das Leben der 1920er Jahre | |
mittlerweile eine Blaupause darstellt: „Vor unseren Augen entsteht ein | |
lebendiger Eindruck der Weltstadt Berlin im Rausch zwischen Ku’damm und | |
Kaschemmen, Swingmusik und Sittenpolizei, Kümmelschnaps und Kokain.“ Kann | |
man natürlich machen. Man darf sich dann aber nicht wundern, wenn die 850 | |
Quadratmeter Ausstellungsfläche ein bisschen überfüllt wirkt. | |
## Behauptete Harmonie | |
Unterteilt ist die als Kooperation von Bucerius Kunst Forum und Münchner | |
Stadtmuseum erstellte Ausstellung in sieben Kapitel, die sich mit den | |
Themen Stillleben, Selbstbildnis, Akt, Architektur und Stadtansicht, | |
Industrie und Technik, Porträt sowie politischer Montage beschäftigen. Das | |
Ergebnis ist eine extrem heterogene Ausstellung, die wild zwischen Genres, | |
Künstlern und Sujets hin- und herspringt. Freilich bekommen die Kuratoren | |
diese Heterogenität durchaus elegant zu fassen: Das Architekturkapitel etwa | |
präsentiert Reinhold Nägeles Gemälde „Weißenhofsiedlung Stuttgart bei | |
Nacht“ (1928), die realistische Darstellung eines der bedeutendsten | |
Projekte des Neuen Bauens in Deutschland. | |
Von dort führt der Gang an Karl Völkers angedeutet kritischem | |
„Industriebild“ (um 1924) vorbei, um schließlich ganz ins Kapitel | |
„Maschinenkunst und Technikkult“ einzubiegen, mit Carl Grossbergs Gemälde | |
„Der gelbe Kessel“ (1933), das die Oberflächenbegeisterung der Pop Art | |
vorwegnimmt, mit Albert Renger-Patzsch’ Fotografie „Elektrizitätswerk“, | |
durchzogen von einer Faszination für das geräuschlose Funktionieren. | |
Kuratorisch haben Katharina Baumstark (Bucerius Kunst Forum) und Ulrich | |
Pohlmann (Münchner Stadtmuseum) das Problem der Stofffülle klug gelöst, | |
auch wenn die Schau so das Phänomen einer auseinanderstrebenden | |
Gesellschaft übertüncht. | |
„Welt im Umbruch“ jedenfalls zeigt eben keine Umbruchssituation, sondern | |
behauptet eine künstlerische Harmonie. Eine Harmonie, die die Verwerfungen | |
des Ersten Weltkriegs, spürbar etwa in Barthel Gilles’ „Selbstbildnis mit | |
Gasmaske“ (1929/30), ein wenig voreilig mit der queeren Libertinage | |
gleichsetzt, die zum Beispiel die Fotomappe „Akte“ von Germaine Krull | |
(1924) prägt. | |
Und ohne Widerhaken führt dann eine direkte Verbindungslinie zu subversiver | |
Agitationskunst von unter anderem Erwin Blumenfeld („Hitler’s Mug | |
(Hitlerfresse)“, 1933) und Hannah Höch („Hochfinanz“, 1923), als ob es s… | |
um eine einzige künstlerische Bewegung gehandelt hätte. Dass hier hingegen | |
mehrere, teils vollkommen voneinander unabhängige, teils einander in | |
Opposition gegenüberstehende künstlerische Positionen gezeigt werden, für | |
solch eine Argumentation fehlt der Ausstellung schlicht der Platz. | |
Denn natürlich braucht eine auf den Publikumserfolg setzende Ausstellung | |
auch noch Raum, um die besonders prominenten Exponate ansprechend zu | |
inszenieren: Christian Schads zwischen klassizistischer Schönheit und | |
neusachlicher Entzauberung schillernder „Halbakt“ (1929). Oder Otto Dix’ | |
altmeisterlich anmutendes „Selbstbildnis“ (1931). Gerade bei den Gemälden | |
gewinnt die Präsentation so eine über den bloß kulinarischen Genuss | |
hinausweisende Qualität, eine Qualität, neben der die Fotoarbeiten | |
vergleichsweise unspektakulär wirken. | |
## Zu große Ambition | |
Das ist schade, weil der Ansatz, Fotografie und Malerei einander | |
gegenüberzustellen, originell ist. Es hat seinen Reiz, wie Hannah Höch in | |
ihrem Gemälde „Gläser“ (1927) mit Licht, Durchscheinendem, Schatten und | |
Spiegelung spielt, gerade wenn direkt daneben Albert Renger-Patzschs | |
Fotografie „Gläser“ (vor 1928) hängt: gleiches Sujet, gleiche Problemlage, | |
unterschiedliche Technik. | |
Ein Künstler, dessen Arbeit sich durch mehrere Kapitel zieht, ist der | |
Karlsruher Karl Hubbuch, der zwar nicht zu den ganz großen Namen der | |
Ausstellung zählt, der allerdings durch seine formale und inhaltliche | |
Vielschichtigkeit tatsächlich etwas spüren lässt von einer rapide | |
zerbrechenden Welt. Und so findet sich in „Welt im Umbruch“ Hubbuchs | |
großformatiger Dreifach-Akt „Die Drillinge“ (1928/29), die Fotografie | |
„Marianne Beffert im Schwimmbad“ (nach 1929), die Radierung „Die | |
Mörderzentrale“ (1922) sowie eine Reihe fotografischer Selbstporträts mit | |
seiner Frau Hilde (nach 1927). | |
Ein naturalistisches Ölgemälde, das in der realistischen Darstellung schon | |
die Verstörung des Surrealismus ahnen lässt, ein wie zufällig aufgenommenes | |
Foto, das weibliches Selbstbewusstsein, genauen Körperblick und Sport | |
verbindet, eine politische Montage, die unverblümte Kritik an Militarismus | |
und Nationalismus übt. Und eine Fotoserie, die ironisch, lustvoll, | |
verspielt Elemente von Happening und Performance vorwegnimmt. Hubbuchs | |
Leben: ein Leben im ständigen Umbruch. | |
Wie durchdacht die Kutaroren diesen ab 1935 als entartet verfemten Künstler | |
zu präsentieren wissen, das deutet jedenfalls an, was aus dieser | |
Ausstellung hätte werden können. Mit etwas mehr Platz. Oder etwas weniger | |
allumfassender Ambition. | |
Bis 19. Mai 2019, Bucerius Kunst Forum, Hamburg | |
20 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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