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# taz.de -- Kurdische Politikerin im Hungerstreik: „Ich setze meinen Protest …
> Am 79. Tag ihres Hungerstreiks wurde die HDP-Politikerin Leyla Güven aus
> dem Gefängnis entlassen. Wir haben mit ihr über die Haft und ihren
> Protest gesprochen.
Bild: „Ich musste dafür sorgen, dass meine Stimme auch draußen Gehör finde…
(Die Fragen, die Leyla Güven einen Tag, bevor sie freigelassen wurde,
schriftlich beantwortet hatte, wurden nach ihrer Entlassung aus der Haft
durch einige Nachfragen am Telefon ergänzt und aktualisiert, Anm.d.Red.)
taz.gazete: Frau Güven, seit 79 Tagen sind Sie im Hungerstreik. Jetzt kamen
Sie nach rund einem Jahr Haft frei. Wie geht es Ihnen damit?
Leyla Güven: Es gab keine rechtliche Grundlage für meine Haft, sie war rein
politisch. Wäre man nach rechtlichen Maßstäben vorgegangen, hätte die
Freilassung viel früher erfolgen müssen. Ja, es wäre gar nicht erst zur
Haft gekommen. Jetzt das Gefängnis zu verlassen, war nicht einfach. Aber
auch draußen kann man Widerstand leisten.
Sie fordern mit Ihrem Protest, dass die Isolationshaft von Abdullah Öcalan
aufgehoben wird. Wie kam der Beschluss für Ihren Hungerstreik zustande?
Warum haben Sie diesen Weg gewählt?
Isolation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Jeder, der sich als
Mensch bezeichnet, muss dagegen protestieren. Wenn Sie inhaftiert sind, ist
die Auswahl an Protestformen begrenzt. Ich musste dafür sorgen, dass meine
Stimme auch draußen Gehör findet. Als ich den Hungerstreik begann, wusste
ich, dass die faschistische AKP-MHP-Regierung nicht rasch handeln würde.
Uns sind sämtliche Presse- und Medienorgane verschlossen. Derzeit sind in
der Türkei alle Protestformen für mich untersagt. Egal, trotz allem ist
meine Stimme ja zu euch durchgedrungen.
Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, dass Abdullah Öcalan Besuch
erhalten kann?
Weil Herr Öcalan die Adresse für eine friedliche, demokratische Lösung ist,
die dem sozialen Frieden dient. Diese Forderung stelle ich nicht allein,
Millionen Kurd*innen stellen sie. Gemeinsam mit mir sind derzeit 249
Gefangene im Hungerstreik. Öcalan ist der politische Wille der kurdischen
Bevölkerung, darum sind seine Gesundheit und Sicherheit so wichtig für die
Kurd*innen. Er hat die Existenz der kurdischen Bevölkerung mit seinem Kampf
sichtbar gemacht und dafür gesorgt, dass sie heute akzeptiert ist. Unsere
Forderung lautet, dass die unmenschliche Isolation unverzüglich aufgehoben
wird und Herr Öcalan die Möglichkeit erhält, seine politischen Ansichten
über seine Anwält*innen der Öffentlichkeit mitzuteilen.
Werden Sie Ihren Hungerstreik fortsetzen, nun da Sie aus der Haft entlassen
wurden?
Bisher wurde unsere Forderung nicht erfüllt. In meinen Antworten auf die
Fragen, die Sie mir ins Gefängnis geschickt hatten, hatte ich betont, dass
es sich keineswegs nur um meine Forderung handelt, Millionen fordern
dasselbe. Deshalb setze ich meinen Protest fort, bis unsere berechtigte
Forderung erfüllt ist.
Wie geht es Ihnen gesundheitlich?
Heute bin ich seit 79 Tagen im Hungerstreik. Ab dem 50. Tag schwand
allmählich meine Energie. Mir setzt zu, dass mein Blutdruck auf einmal
ansteigt, dann wieder plötzlich abfällt. Ich habe mit Schwäche,
Schwindelanfällen, Magenkrämpfen und Übelkeit, extremer Empfindlichkeit
gegenüber Gerüchen, Geräuschen und Licht zu kämpfen. Mir fällt es schwer,
gezuckertes oder gesalzenes Wasser zu mir zu nehmen. Sprechen, Lesen und
Schreiben bereitet mir Mühe. Meine Zellengenossinnen halfen mir, meine
Antworten auf Ihre in die Haft gesandten Fragen aufzuschreiben. Sie
notierten, was ich ihnen diktiert habe.
Obwohl Sie als Abgeordnete ins Parlament gewählt wurden, mussten Sie ein
Jahr im Gefängnis sitzen. Bereits im vergangenen Juni wurde Ihre
Freilassung angeordnet, dennoch kamen Sie nicht frei. Wie erklären Sie
diese Situation?
Ich bin in derselben Lage wie die anderen inhaftierten ehemaligen
HDP-Abgeordneten. Unser „Verbrechen“ besteht darin, zu denken, zu reden,
die Politik der AKP zu kritisieren. Der einzige Unterschied zwischen den
Kolleg*innen und mir ist, dass sie verhaftet wurden, als sie bereits im
Parlament saßen, ich dagegen saß im Gefängnis, als ich gewählt wurde. Wenn
es nach der Verfassung ginge, müssten die HDP-Abgeordneten freigelassen
werden. Jüngst wurde sogar das Urteil des Europäischen
Menschenrechtsgerichtshofs zu Selahattin Demirtaş ignoriert. Trotz der
Urteile werden unsere Freund*innen und Kolleg*innen mit Auftragsurteilen de
facto zu Verurteilten gemacht. Der AKP-Vorsitzende Tayyip Erdoğan greift
vor aller Augen in die Gerichtsbarkeit ein.
Unterstützt die HDP Ihren Hungerstreik?
Ich habe meine Partei HDP nicht um ihre Meinung gefragt, als ich in den
Hungerstreik getreten bin. Es war mein eigener Beschluss und ich habe ihn
im Gerichtssaal verkündet. Damit erfuhren meine Parteigenoss*innen
gleichzeitig mit allen anderen davon. Dennoch stellten sich die
Ko-Vorsitzenden der Partei Pervin Buldan und Sezai Temelli, die
Abgeordneten und sämtliche Parteiorganisationen hinter mich.
Sie sind weiter im Hungerstreik. Inzwischen konnte jedoch nach zwei Jahren
Pause Öcalan seinen Bruder Mehmet Öcalan sehen…
Über meine Anwält*innen erfuhr ich, dass Herr Öcalan seinen Bruder Mehmet
Öcalan eine Viertelstunde lang sprechen konnte. Das bedeutet ja keineswegs,
dass die Isolation aufgehoben ist. Schon 2016 sind 50 kurdische
Politiker*innen, auch ich, mit derselben Forderung in den Hungerstreik
getreten. Am achten Tag des Protests brachte der Staat Mehmet Öcalan auf
die Gefängnisinsel, er durfte Herrn Öcalan besuchen. Daraufhin beendeten
wir unseren Hungerstreik. Es stellte sich aber heraus, dass die AKP die
Isolation anschließend einfach fortsetzte. Jetzt darf nicht erwartet
werden, dass ich und die anderen Gefangenen im Hungerstreik den Protest
beenden. Herr Öcalan ist gegen Hungerstreiks, die um seinetwillen
durchgeführt werden. Selbstverständlich kann er seinem Bruder gesagt haben:
„Sie sollen die Aktion beenden.“ Wir sind aber nicht der Meinung, dass
dieser Besuch die Isolation durchbrochen hat, deshalb streiken wir weiter.
Hat man von Regierungsseite Kontakt mit Ihnen aufgenommen?
Bisher hat niemand von der Regierung mit mir gesprochen. Ich habe keinerlei
Nachricht oder Information erhalten, auch nicht indirekt.
Haben sich Abgeordnete anderer Parteien im Parlament zu Ihrem Hungerstreik
geäußert?
Von der AKP und MHP erwarten wir sowieso nichts, sie halten sich mit
Nationalismus auf den Beinen. Die CHP dagegen ist eine Partei, die sich
links verortet. Vielleicht ist es gerade diese Partei, die dafür sorgt,
dass die AKP-Regierung sich überhaupt halten kann. Sie ignorieren einfach,
wie es den Kurd*innen ergeht. Wir waren zwei Abgeordnete in Haft. Die CHP
wandte sich nur wegen ihres eigenen Abgeordneten an die Regierung. Als der
freikam, tat sie so, als gäbe es da nicht noch jemanden. Ebenso ignorieren
sie den Hungerstreik, in dem sich derzeit Hunderte Gefangene befinden.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
28 Jan 2019
## AUTOREN
Hayri Demir
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