# taz.de -- nord đŸ thema: Schulden fĂŒr den Job | |
> Nach und nach wird zwar die Schuldgeldpflicht fĂŒr angehende | |
> Therapeut*innen abgeschafft. Aber der Weg ist holprig und eine | |
> bundeseinheitliche Lösung fehlt noch immer | |
Bild: Rund 15.000 Euro Schulgeld zahlen werdende Physio-therapeut*innen in Brem… | |
Von Lea Schweckendiek | |
Kirsten Alpermann begann im vergangenen Oktober mit ihrer Ausbildung zur | |
Physiotherapeutin in Bremen. Wenn sie die Ausbildung und ein anschlieĂendes | |
Studium absolviert hat, will sie Sport-Physiotherapeutin werden. | |
DafĂŒr muss die 23-JĂ€hrige eine Menge Geld in die Hand nehmen. Denn noch | |
immer werden fĂŒr die Ausbildungen in der Ergo- und Physiotherapie sowie in | |
der LogopÀdie Schulgelder erhoben. Nicht nur in Norddeutschland regt sich | |
dagegen Widerstand: Deutschlandweit gehen Auszubildende fĂŒr die | |
Schulgeldfreiheit auf die StraĂe. | |
Dass Alpermann sich gerade 2018 fĂŒr die Ausbildung entschied, war kein | |
Zufall. Wie viele ihrer MitschĂŒler*innen, so erzĂ€hlt sie, baute sie mit | |
ihrem Entschluss auf ein politisches Versprechen: âIm Oktober 2018 war der | |
Debattenstand, dass das Schulgeld in den Therapieberufen zum Beginn des | |
neuen Jahres in Bremen abgeschafft wĂŒrde.â Doch dieses Versprechen wurde | |
vorerst gebrochen. Es muss trotzdem weiter gezahlt werden â rund 230 Euro | |
sind es monatlich in Bremen, hochgerechnet sind das Kosten von 15.000 bis | |
20.000 Euro fĂŒr die gesamte Ausbildung. Und die bringen viele der | |
SchĂŒler*innen in finanzielle Notlagen. âWir leben von Krediten und Bafög | |
oder von Erspartem. Einige haben das GlĂŒck, dass ihre Eltern die Ausbildung | |
zahlen könnenâ, sagt Alpermann. | |
Diese Beobachtung macht auch der Deutsche Bundesverband fĂŒr LogopĂ€die | |
(DBL). Viele, so DBL-PrÀsidentin Dagmar Karrasch, starteten mit Schulden | |
ins Berufsleben. WĂ€hrend im Bund ĂŒber eine einheitliche Lösung des Problems | |
diskutiert wird, arbeiten einige LÀnder bereits an individuellen AnsÀtzen. | |
In Niedersachsen und Schleswig-Holstein wurde die Abschaffung des | |
Schulgeldes nun durch die Bereitstellung von Landesmitteln beschlossen, | |
auch in Hamburg soll zu Beginn des nÀchsten Schuljahres kostenlos | |
ausgebildet werden. | |
In Bremen werden derweil LösungsansÀtze gesucht. Immer wieder scheint der | |
Beginn der Schulgeldfreiheit zum Greifen nahe â doch der Prozess ist | |
undurchsichtig, das kritisiert auch Alpermann: âWir wissen nie so richtig, | |
wie der Stand der Dinge ist, was beschlossen wurde oder noch auf der Kippe | |
steht.â | |
In Bremen organisieren sich die SchĂŒler*innen deshalb, demonstrieren vor | |
Sitzungen der Gesundheitsdeputation, stellen Fragen an die Senatorin, | |
versuchen Druck zu machen. Auch in Hamburg gibt es Proteste, obwohl eine | |
politische Lösung bereits versprochen ist. Eine Demonstration der | |
Initiative âTherapeuten am Limitâ brachte rund 300 Betroffene auf die | |
StraĂe. Das Versprechen zu schulgeldfreiem Lernen ab September reicht ihnen | |
nicht. âWir erleben ja nicht nur Ungerechtigkeit, wenn die SchĂŒler*innen | |
der Therapieberufe Geld fĂŒrs Lernen zahlen mĂŒssenâ, sagt Michael Schiewack, | |
Sprecher der Initiative. Auch nach der Ausbildung sei die Arbeitssituation | |
schwierig, viele stiegen deshalb wieder aus dem Beruf aus. | |
âRund 60 Prozent der Therapeut*innen legen frĂŒher oder spĂ€ter ihren Beruf | |
niederâ, sagt Schiewack. Werde die Ausbildung durch hohe Kosten dann noch | |
unattraktiv gestaltet, entstehe ein groĂes Versorgungsloch durch | |
Nachwuchsprobleme. âWir haben durchaus genug Patient*innen, aber die | |
Therapeut*innen fehlen.â Die Politik habe sich schon vor Jahrzehnten aus | |
diesem Prozess zurĂŒckgezogen, schiebe die Verantwortlichkeit auf die | |
Krankenkassen oder andere Akteur*innen. âEs geht hin und her: Der Bund | |
erwartet Handeln von den LĂ€ndern, die LĂ€nder eine Vorgabe vom Bund und so | |
regt sich nichts.â | |
Den Ursprung dafĂŒr, dass ausgerechnet in den Therapieberufen noch Schulgeld | |
gezahlt werden muss, sieht Schiewack zum Teil in eben dieser | |
Unverantwortlichkeit. Die sei der Grund dafĂŒr, dass die Ausbildung meist an | |
privaten Schulen stattfinde. Das denkt auch Karrasch: âEs gab eine LĂŒcke in | |
der Versorgung mit staatlichen Schulen, in die private TrÀger eingesprungen | |
sind.â Schon lange, sagt sie, hĂ€tte der Staat fĂŒr die Ausbildung aufkommen | |
mĂŒssen. | |
Kirsten Alpermann plant, nach der Ausbildung noch ein Studium | |
anzuschlieĂen. Sie will damit ihre fachliche Qualifikation ausbauen. Denn | |
auch hier wirft die Ausbildung Probleme auf. Denn die rund 15.000 Euro sind | |
nicht das Ende der Investitionen: âDie Ausbildung allein berechtigt noch | |
gar nicht zur Anwendung aller Methoden,â sagt der ausgebildete | |
Ergotherapeut Schiewack. Wolle man seinen Patient*innen eine umfangreiche | |
Behandlung ermöglichen, fielen zahlreiche kostenpflichtige Weiterbildungen | |
an. âDa kommt man hochgerechnet auf noch mal so hohe Kosten.â | |
Im internationalen Vergleich zeigt sich ein weiteres Problem: âEuropa- und | |
Weltweit werden unsere Berufe nur noch hochschulisch vermittelt. Wollte ich | |
im Ausland arbeiten, wĂŒrde meine Ausbildung nicht reichenâ, sagt Alpermann. | |
Deutschland liege mit den Standards weit zurĂŒck. Forderungen nach einer | |
Akademisierung der Therapieberufe werden laut. âDie Ausbildung an der Uni | |
ist moderner, es werden neue Methoden gelehrtâ, sagt Schiewack. | |
Nicht nur der Ausbildungsstand der Therapeut*innen wÀre von der | |
Akademisierung betroffen. âWenn wir wenig studierte Therapeuten und | |
LogopĂ€den haben, können wir kaum hochschulische Forschung anstellenâ, sagt | |
Karrasch. Die jedoch brauche es zur Entwicklung des Berufes und der | |
Behandlungsmethoden. Dass die Methodik in der schulischen Ausbildung oft | |
veraltet ist, beweist ein Blick in die Unterrichtsinhalte. Michael | |
Schiewack etwa belegte Handwerksunterricht in seiner Ausbildung zum | |
Ergotherapeuten. âDa haben wir Körbe geflochten und gebastelt. Viel | |
sinniger als das wÀre doch eine moderne methodische Ausbildung im | |
therapeutischen Handwerkâ, sagt er. PrĂ€ventive MaĂnahmen etwa wĂŒrden noch | |
kaum gelehrt. | |
Drei Jahre dauert eine therapeutische Ausbildung. Eines davon begleitet ein | |
vormittĂ€glicher Klinikdienst, eines ein therapeutisches Praktikum. âIm | |
Prinzip zahlen wir im zweiten und dritten Jahr sogar noch Geld dafĂŒr, dass | |
wir arbeitenâ, sagt Alpermann. Die Kliniken bauten auf die kostenlose | |
Arbeitskraft der Auszubildenden. âIm Prinzip wĂ€re da sogar eine VergĂŒtung | |
angebrachtâ, sagt sie. So weit gehen die Forderungen der SchĂŒler*innen | |
bislang aber kaum â sie wollen vorerst lediglich nicht mehr draufzahlen | |
mĂŒssen. | |
Kirsten Alpermann und ihre MitschĂŒler*innen versuchen, ĂŒber den politischen | |
Prozess in Bremen informiert zu bleiben. âWir kriegen oft einzelne Infos, | |
hÀppchenweise. Etwa dass dem Klinikverbund Gesundheit Nord jetzt wohl 51 | |
Prozent unserer Schule gehören.â Die physiotherapeutische Schule gehörte | |
zunÀchst der Bremer Heimstiftung, einem BildungstrÀger der Pflege und | |
Therapieberufe. Mit der Angliederung an KrankenhÀuser könnte jetzt eine | |
Krankenkasse die Ausbildung bezuschussen. | |
âDie Krankenkassen pochten bundesweit auf das Einhalten einer Regelung, | |
nach der Ausbildungsfinanzierungen im Gesundheitsbereich nur an ein | |
Krankenhaus gezahlt werden dĂŒrfenâ, erklĂ€rt Vera Wanetschka, Schulleiterin | |
der Schule fĂŒr LogopĂ€die in Bremen. Dies beinhalte die Möglichkeit einer | |
Finanzierung, wenn das Krankenhaus mit 51 Prozent die TrÀgerschaft einer | |
Bildungseinrichtung hĂ€lt, wie es nun nach Informationen der SchĂŒler*innen | |
in Bremen geschehen sein soll. | |
Der neue Stichtag fĂŒr den Erlass des Schulgeldes sei nun der erste April. | |
Sollte alles gut gehen, könnte das Geld fĂŒr die Monate seit Januar sogar | |
rĂŒckerstattet werden. Zufriedenstellend ist die Situation fĂŒr die | |
Auszubildenden trotzdem nicht. Dass es keine bundeseinheitliche Lösung | |
gibt, zeigt auch an der Bremer Schule bereits Folgen: Viele dĂ€chten ĂŒber | |
einen Schulwechsel in ein anderes Bundesland nach, sagt Alpermann. âWieso | |
nicht in Schleswig Holstein oder in Hamburg zur Schule gehen, wenn dort | |
schon nicht mehr gezahlt werden muss?â | |
Die Gefahr der Abwanderung sieht auch Schiewack: âWenn nicht ĂŒberall in | |
Deutschland die gleichen Grundvoraussetzungen herrschen, suchen sich die | |
Auszubildenden eben das Bundesland mit den besten Voraussetzungen aus.â | |
2 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Lea Schweckendiek | |
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