# taz.de -- Baro Naßlepin, Elenta und Marepin | |
> RomArchive ist ein einzigartiges europäisches Pionierprojekt. In dem | |
> digitalen Archivpräsentieren Sinti und Roma erstmals selbst ihre Kultur | |
> und Geschichte | |
Von Inga Barthels | |
Ganz Europa ist ein Meer lachender Gesichter. Das ist die Vision von Damian | |
Le Bas, einem der bekanntesten zeitgenössischen Roma-Künstler. Für seine | |
Arbeit „Back to the Future! Safe European Home 1938“ übermalte er vor | |
einigen Jahren eine Europakarte mit so vielen fröhlichen Gesichtern, dass | |
keine Grenzen mehr zu erkennen sind. „Gypsys everywhere“, schrieb er | |
daneben. Ein auf den ersten Blick heiteres Werk in bunten Farben. Doch die | |
Karte selbst stammt aus dem Jahr 1938 und warnt so auch vor dunklen Zeiten. | |
Le Bas’ Arbeit ist noch bis Sonntag in der Akademie der Künste am Pariser | |
Platz zu sehen, gemeinsam mit anderen künstlerischen Arbeiten von Sinti und | |
Roma. Anlass für die Ausstellung ist der Onlinegang des RomArchive, eines | |
einzigartigen europäischen Pionierprojekts. In dem digitalen Archiv | |
präsentieren Sinti und Roma erstmals selbst ihre Kultur und Geschichte und | |
setzen so Jahrhunderten negativer Berichterstattung und Fremdbildern eine | |
positive Selbstrepräsentation entgegen. | |
Ausgangspunkt für das Projekt war die Enthüllung des Denkmals für die im | |
Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma 2012 in Berlin. Die | |
Kulturmanagerinnen Isabel Raabe und Franziska Sauerbrey unterstützten | |
damals den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in der Planung des | |
Begleitprogramms. Dabei sei ihnen der ungeheure kulturelle Reichtum der | |
Minderheit bewusst geworden, aber auch ihre eigenen Wissenslücken, erzählt | |
Isabel Raabe. | |
Mit der Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes begannen die Frauen, zu | |
recherchieren und mit Akteur*innen aus der Minderheit zu sprechen. Sie alle | |
hätten sich vor allem eines gewünscht: mehr Sichtbarkeit. So entstand die | |
Idee eines digitalen Archivs, das auf Deutsch, Englisch und Romanes zu | |
lesen und so für die gesamte Minderheit in Europa zugänglich ist, die etwa | |
12 Millionen Menschen umfasst. | |
Ein internationaler Beirat, dem fast nur Sinti und Roma angehören, | |
diskutierte lange über strategische Ausrichtung, ethische Richtlinien und | |
Sammlungspolitik des Archivs. Schließlich entschied ein Kurator*innenteam | |
über die jeweiligen Inhalte der Sektionen, darunter Film, Musik, Literatur | |
und Bildende Kunst. Auch eine eigene Sektion über Flamenco ist zu sehen, | |
der maßgeblich von Sinti und Roma geprägt wurde. „Es war uns wichtig, | |
diesen Reichtum der Kunst und Kultur endlich einmal in den Mittelpunkt zu | |
stellen“, sagt Franziska Sauerbrey. | |
Doch nicht alle Angehörigen der Minderheit waren von Anfang an begeistert | |
von dem Projekt. „Die in Deutschland lebenden Sinti sind aus guten | |
historischen Gründen sehr darauf bedacht, ihre Kultur und Tradition zu | |
schützen“, sagt Sauerbrey. Die Vorbehalte hätten sich mit der | |
Veröffentlichung des Archivs aber zum größten Teil aufgelöst, weil die | |
Wünsche respektiert wurden. So gibt es kein einziges Dokument auf | |
Sintitikes im Archiv, da die Sinti ihre Sprache vor der Öffentlichkeit | |
schützen möchten. | |
Die Entscheidung, was ins Archiv kommt und was nicht, wurde kontrovers im | |
Beirat diskutiert. „Es ist ein Ort der Selbstrepräsentation“, sagt | |
Sauerbrey. „Jede Entscheidung hat mindestens so viel mit Politik zu tun wie | |
mit Kunst und Kultur.“ So entschied der Beirat, dass Antiziganismus keine | |
eigene Sektion gewidmet werden sollte. Wichtig war ihnen aber, die Stimmen | |
der Opfer im Holocaust hörbar werden zu lassen. Unter dem Titel „Voices of | |
the Victims“ werden bisher unerforschte Selbstzeugnisse im Archiv | |
präsentiert, jedes Zeugnis ist vorgelesen als Audiodatei zu hören. | |
Etwa der Brief von Margarete Bamberger aus Auschwitz, in dem sie ihrer | |
Schwester Grüße von „Baro Naßlepin, Elenta und Marepin“ ausrichtet. Eine | |
versteckte Nachricht auf Romanes, die übersetzt „Große Krankheit, Elend und | |
Mord“ bedeutet. Oder das Gnadengesuch eines Sinto an einen Kardinal, in dem | |
er die katholische Kirche eindrücklich bittet, die Sterilisation seines | |
Stammes zu verhindern. Vergeblich: die katholischen Bischöfe haben sich nie | |
klar gegen die Zwangssterilisierung der Sinti und Roma ausgesprochen. | |
Wichtig war dem Beirat auch, über die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und | |
Roma seit 1945 zu informieren. In der Sektion kann man beispielsweise über | |
die Roma-Frauenbewegung in Europa lesen, wie die Frauen der | |
Gitanas-Bewegung, die seit 1990 in Spanien gegen patriarchale Strukturen | |
und Antiziganismus kämpfen. Das Thema Feminismus werde immer wichtiger in | |
der Community, erzählt Isabel Raabe, besonders bei den jungen, akademisch | |
gebildeten Sintize und Romnja. Auch die queere Community innerhalb der | |
Minderheit wird lauter. So fand im August 2015 die erste internationale | |
Roma-LGBTQI-Konferenz in Prag statt. | |
Künftiger Träger des Archivs ist das European Roma Institute for Arts and | |
Culture mit Sitz in Berlin. Von Anfang an sei der Plan gewesen, das Projekt | |
nach dem Onlinegang vollständig in die Hände der Minderheit abzugeben, um | |
es weiter wachsen zu lassen, sagt Franziska Sauerbrey. Noch für fünf Jahre | |
wird es dabei von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt. | |
Die politische Dringlichkeit des Projekts sei derweil mit dem Rechtsruck in | |
Europa immer größer geworden, sagt Isabel Raabe. So freue sie sich | |
besonders, dass sie eine Anfrage aus der Villa Romana in Florenz erhalten | |
haben. | |
In Italien agitiert Innenminister Salvini aufs Übelste gegen Roma und Sinti | |
und forderte jüngst eine „Zählung“ der Minderheit. Solcher Hetze gelte es | |
dringend etwas Positives entgegenzusetzen, findet Raabe: „Wir kommen | |
wirklich genau rechtzeitig.“ | |
Ausstellungen „Akathe te Beshen“, „Roma Rising“ und „Voices of the Vi… | |
in der Akademie der Künste am Pariser Platz, täglich 1119 Uhr, bis 3. | |
Februar, 6/4 Euro Eintritt | |
RomArchive: https://www.romarchive.eu/de/ | |
2 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Inga Barthels | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |