# taz.de -- Die Vermessung des Schlafs | |
> Mit Elektroden, Kameras und Atemmaske: Wer anhaltende Schlafstörungen | |
> hat, kann diese von Fachleuten untersuchen lassen. Eine Nacht im | |
> Schlaflabor | |
Von Stella Schalamon | |
Ob er denn noch ein bisschen Fernsehen dürfe, fragt Patient 27. Christopher | |
Hansen schaut auf die Uhr. Es ist 22.52 Uhr. Die Nacht hat sich längst über | |
das Gelände des Virchow-Klinikums, Teil der Berliner Charité, gesenkt. „Na | |
gut, zwanzig Minuten noch“, sagt Hansen. | |
Der studentische Mitarbeiter trägt ein blaues, weit geschnittenes Oberteil | |
über einer blauen Hose. Um 23 Uhr ist hier eigentlich Zapfenstreich. Dann | |
wird in den Zimmern der Patient*innen das Licht gelöscht, denn sie sollen | |
versuchen einzuschlafen. Ohne Ablenkung von Fernseher, Handy oder Buch. | |
Hansen hängt ein Gerät, in das viele bunte Kabel eingestöpselt sind, in | |
eine Vorrichtung an der Wand. Jedes Kabel führt zu Elektroden, die am | |
durchtrainierten Körper von Patient 27 aufgeklebt wurden. Drei am Kopf | |
messen die Hirntätigkeit, zwei auf den Wangen die Bewegungen der Augen, | |
zwei im Bereich des Kinns die Muskelspannung des Kiefers, zwei an der Brust | |
die Herztätigkeit und jeweils zwei an den Schienbeinen die Beinbewegungen. | |
Dazu noch zwei Gurte um die Brust und den Bauch, die die Atembewegungen | |
erkennen. Und am Zeigefinger der rechten Hand ein wabbeliger, grauer | |
Fingerhut, um den Puls und die Sauerstoffsättigung im Blut abzulesen. | |
Dann stülpt Hansen dem jungen Mann ein durchsichtiges Gummiteil über die | |
Nase. | |
Patient 27 ist beim Bund. „Die Kameraden auf der Stube haben irgendwann | |
bemerkt, dass ich in der Nacht immer wieder aufgehört hatte, zu atmen“, | |
erzählte er ein paar Stunden zuvor bei der letzten Zigarette des Tages. Das | |
passiert bei allen Menschen im Schlaf bis zu fünfmal pro Stunde, aber bei | |
den sechzehnmal von Patient 27 deutet das auf eine Schlafapnoe hin, | |
periodische Atemaussetzer, die eine chronische körperliche Belastung zur | |
Folge haben können. | |
Nun fürchtet er, dass er auf eine Atemmaske angewiesen sein wird, wie die, | |
die Hansen gerade an seinem Kopf festschnallt. Wie ein Schweinerüssel | |
umschließt das Gummiteil die Nase. Der Schlauch endet im Beatmungsgerät auf | |
dem Nachttisch. Wie man damit wohl bei Außeneinsätzen im Freien | |
übernachtet? Hansen deckt Patient 27 zu und wünscht „Gute Nacht“. Oben an | |
der minzfarbenen Wand gegenüber des Betts surrt die Kamera. | |
Patient 27 ist der letzte, der heute Abend zu Bett gebracht wurde. Auf | |
Crocs schreitet Hansen im gewohnt eifrigen Schritt zurück in den | |
Kontrollraum mit den vielen Computerbildschirmen. Elf von ihnen bilden | |
die Signale aus den Zimmern der Schlafenden ab. Auf den restlichen zeichnen | |
die Signale Linien und Wellen: Hirnströme, Augen-, Kiefer-, Atmungs- und | |
Beinbewegungen, Herzfrequenzen. | |
Bei der sogenannten Bioeichung hat Hansen zuvor getestet, ob alle | |
aufgeklebten Elektroden funktionieren. Über das Walkie-Talkie gab er den | |
jeweiligen Patient*innen Anweisungen durch. Von links nach rechts schauen, | |
blinzeln, schnarchen, die Luft anhalten und weiteratmen. Ein kleines | |
Fenster auf den Bildschirmen zeigt die Videoübertragung aus den Zimmern. | |
Immer das Bett, die Nachttische daneben. Im Bett jeweils einen Menschen. | |
Mal bis zum Kopf in die Decke eingewickelt. Mal die Beine aufgestellt. Mal | |
freigestrampelt. „Kein Wunder, dass der keinen erholsamen Schlaf bekommt“, | |
sagt Hansen, als er das sieht. | |
Patient 27 klingelt, wie abgesprochen. Auch er hat nun das Licht ausgemacht | |
und ist wenige Minuten später schon am Schlafen. Die Diagramme zeigen es. | |
Das „W“ für Wachzustand, wird schnell von „N 1“, der Einschlafphase, d… | |
„N 2“, der leichten bis mitteltiefen Schlafphase abgelöst. Beim Bund lerne | |
man sofort und überall einzuschlafen, hat Patient 27 noch erzählt. „N 3“, | |
die Tiefschlafphase ist noch auf keinem der Bildschirme zu sehen. | |
## Schwarzer Tee und Wodka | |
Auf der Station ist es jetzt ruhig. Allein die Computer im Personalzimmer | |
brummen. Das Fenster ziert eine Window-Color-Abbildung vom Sandmännchen. | |
Hansen macht sich einen Schwarztee. Kaffee trinkt er nicht. Er arbeitet | |
seit 2006 im Schlaflabor. Von seinem Arbeitsplatz in der Mitte des Zimmers | |
hat er die Monitore gut im Blick. Alle volle Stunde müssen er und sein | |
Kollege einen Zwischenstand auf den Klemmbrettern unter jedem der | |
Bildschirme protokollieren. Sie rutschen dann mit ihren Bürostühlen von | |
einem Klemmbrett zum nächsten. | |
Hansen hat schon viele verschiedene Patient*innen betreut: | |
Narkoleptiker*innen, die plötzlich mitten am Tag einnicken, andere mit | |
Ein- und Durchschlafstörungen, die meisten mit Verdacht auf eine | |
Schlafapnoe. Und dann gibt es natürlich auch solche, die Schlafwandeln, im | |
Schlaf aufstehen, anfangen zu sprechen, seltsame Bewegungen machen. Solche | |
Ereignisse werden im Schlaflabor, das schließlich eine ungewohnte Umgebung | |
darstellt, provoziert. „Ein Patient kam hier echt mal mit Wodkaflasche und | |
hat mit zwei Kumpels im Zimmer eine leise, kleine Party nachgestellt, damit | |
er dann schlafwandelt“, erzählt Hansen. | |
Alkohol ist nichts für eine gute Schlafhygiene. Ein großes Plakat im Flur | |
des Schlaflabors gibt Auskunft. Durchgestrichen sind darauf auch Nikotin | |
und Koffein, unregelmäßige Bettzeiten oder helles Licht im Schlafzimmer, | |
das die Ausschüttung des müde machenden Hormons Melatonin verhindert. | |
Hilfreich hingegen seien Entspannungsbäder, Spaziergänge oder eine heiße | |
Milch mit Honig. Und eben den eigenen Schlafrhythmus zu kennen und erst ins | |
Bett zu gehen, wenn die Müdigkeit kommt. Nur rächt sich das oft am nächsten | |
Morgen bei denen, deren Chronotyp nicht der der Frühaufsteher*innen | |
ist. | |
Dreht Hansen die Lautstärke des Computers auf, ist das regelmäßige | |
Schnarchen von Patient 5 zu hören, das über ein Mikrofon in der Nähe des | |
Kehlkopfs übertragen wird. Auf den Diagrammen ist erkennbar, dass die | |
Muskelspannung seines Kinnbereichs ab- und seine Augenbewegungen zugenommen | |
haben. Die Software zeigt, dass es sich um viele REM-Schlafphasen handelt, | |
die traumreichen Rapid-Eye-Movement-Phasen, in denen die Augen wild zucken, | |
der Rest des Körpers aber ganz schlaff bleibt. „Oft schlafen die Patienten | |
durch die Atemmaske zum ersten Mal wieder so richtig und kommen dann | |
schnell in den REM-Schlaf“, beobachtet Hansen. Denn bei jeder noch so | |
kleinen, auch unbewussten Weckreaktion, zum Beispiel durch Zucken der Beine | |
oder in Folge eines Atemstillstands, wird der Körper aus seinem | |
Schlafablauf gerissen, braucht oft lange um wieder zur Ruhe zu kommen und | |
erreicht so selten die erholsamen Tief- geschweige denn REM-Schlafphasen. | |
## Blut und Parfüm | |
Bei manchen Patient*innen wird heute Nacht Blut abgenommen. Der perfekte | |
Zeitpunkt dafür liegt zwischen 3 und 4 Uhr. Dann haben Hansen und sein | |
Kollege große Chancen, dass die Patient*innen in der für die Blutabnahme | |
sinnvollen Tiefschlafphase sind und noch nicht die frühmorgendlichen | |
Toilettengänge beginnen. Hansen bereitet die Röhrchen für die Abnahme vor | |
und klebt Namensschilder auf kleine Gefäße mit Schraubverschluss. Zwei | |
Röhrchen legt er auf ein zuvor desinfiziertes Kästchen und geht damit ins | |
Zimmer von Patientin 17. Das Licht aus dem kleinen Vorraum reicht aus, um | |
die Blutproben aus dem Ohrläppchen der Patientin zu nehmen. Auf dem | |
Nachttisch wirft eine Flasche Chanel Nº5 ihren Schatten auf ein Sudokuheft. | |
Beim Aufwachen zuckt Patientin 17 verschlafen zusammen. Die weißen Haare | |
sind zerzaust. Ihr Atem geht röchelnd. „Ich bin ja noch ganz unbedarft“, | |
bemerkt sie. Es ist ihre zweite Nacht im Labor. Nach einer weiteren | |
künstlichen Hüfte soll bald eine Herzoperation folgen. Dafür muss sie in | |
Form sein. Als sie bei einer Spazierfahrt durch den Herbstwald mit ihrem | |
Mann mitten am Tag immer wieder einschlief, waren beide beunruhigt. Sie | |
kriege auch sehr schlecht Luft. Das habe sie bis in ihre Träume begleitet. | |
Immer wurde sie darin gejagt. Mit der Atemmaske hätte sie schon viel besser | |
geschlafen. Und sie macht sich Hoffnung, bald wieder das Ehebett mit ihrem | |
Mann zu teilen. | |
Die Nacht im Schlaflabor ist kurz. Schon um 5:23 Uhr wird Patientin 17 von | |
Hansen geweckt. Ob sie geschnarcht habe? „Ein bisschen“, meint Hansen | |
ehrlich. Als alle Pflaster von der Haut entfernt sind, freut sich Patientin | |
17 auf noch ein bisschen Weiterschlafen. „Aber zuerst noch lesen!“ Sie | |
grinst. | |
12 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Stella Schalamon | |
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