# taz.de -- Die Farben der Nacht | |
> Detlef Bluhms Fotografien zeigen ein anderes nächtliches Berlin, als wir | |
> es zu kennen glauben. Sie wurden aufgenommen, wenn alles schlief. „Berlin | |
> im Glanz der Nacht“ ist vor allem menschenleer | |
Bild: Bluhm lässt seine Kamera lang belichten. Hier zu sehen ist das Alte Muse… | |
Von Jörg Sundermeier | |
Das Nachtleben in Berlin – wir kennen es. Kilometerlange Schlange vorm | |
Berghain, betrunkene Touristen vorm Brandenburger Tor, kauende | |
Imbissbesucher am Mehringdamm. Und all die Bauwerke, die in die Nacht | |
hinausstrahlenden Hochhäuser und Prachtbauten, der Funk- und der | |
Fernsehturm. Doch nun zeigt uns ein Fotobuch ein ganz anderes Nachtleben | |
von Berlin: das menschenleere. | |
Der Fotograf heißt Detlef Bluhm, bekannt durch Bücher zum Verhältnis von | |
Katzen und Menschen, zur Entwicklung des Buchmarktes und auch einige Werke | |
über Berlin. Neuerdings präsentiert er auch sein fotografisches Werk. | |
Dieses ist geprägt durch eine Besonderheit: Es sind bei Nacht aufgenommene | |
Fotos. | |
In seinem Vorwort präsentiert sich Bluhm als Entdecker, der zu manchem | |
seiner Motive nur durch Zufall fand – er war eben, wie er selbst schreibt, | |
zur richtigen Zeit am Ort. Auch seinen Leser*innen entdeckt er einiges, | |
etwa, dass das Wort Nachtleben von dem im 17. Jahrhundert geborenen | |
Pietisten Sinold geprägt wurde. | |
Oder, dass die Fotografie der Nacht unter den Nationalsozialisten verpönt | |
war, da das nicht zur Ideologie passende Nachtleben unbelichtet bleiben | |
sollte. | |
Auf seinen Fotos nun zeigt Bluhm oft Bekanntes – das Zeiss-Großplanetarium | |
etwa, den Berliner Dom, Konnopke’s Imbiß, das Olympiastadion, das Hotel | |
Avus, die Mauer. Aber auch weniger beliebte Szenerien nimmt er sich vor: | |
Schleichers Buchhandlung in Dahlem, das Grab von Loriot auf dem Friedhof | |
Heerstraße oder ein Wohnhaus in der Neuköllner Fritz-Reuter-Allee. All | |
diese Fotos wurden aufgenommen, wenn alles schlief – und für manche Fotos | |
hat sich Bluhm einschließen lassen, im Zoo, in einem Fastfoodrestaurant, im | |
Museum für Naturkunde oder der Mercedes-Benz-Arena. | |
Bluhm lässt seine Kamera lang belichten, sodass sie sichtbar werden, die | |
Farben der Nacht. Und die Stadt sieht so rein aus, selbst die Straße des | |
17. Juni oder die Karl-Marx-Allee hat er leer erwischt, ohne Autos oder | |
Menschen. Und daher schärfen seine Bilder den Blick. Der Berliner Dom | |
sieht, von der Mühlendammbrücke aus gesehen, weiterhin prächtig aus, doch | |
er wird plötzlich eingeschlossen durch die merkwürdig historisierende | |
DDR-Moderne des Nicolaiviertels und die sinnlose Rückfassade des | |
Schlossneubaus, die mit neumodisch kalter Schießschartenoptik nicht in ihr | |
Umfeld passt und dennoch versucht, nicht aufzufallen. | |
Dem Shell-Haus am Reichpietschufer oder dem Bauhaus-Archiv kommt Bluhm ganz | |
nahe und macht auch an Gebäuden, die totfotografiert sind, neue Details | |
sichtbar. Der St.-Hedwigs-Kathedrale lässt er nur das Kuppeldach, doch sind | |
die im Hintergrund wirkenden Kräne und der Fernsehturm nun Kommentare zum | |
Kreuz auf der Kirche, das christliche Symbol auf dem Dach findet sich | |
fragmentiert in der Ferne wieder und wieder. | |
Am Palasseum – dem sogenannten Sozialpalast – macht er die ziemlich | |
interessante Architektur des Skandalbaus sichtbar, indem er den überbauten | |
Bunker ignoriert und das Licht spielen lässt. | |
Bluhms Fotoauswahl ist sorgsam komponiert. Alte Kneipenräume treffen in | |
diesem Buch auf neue Hotellobbys, Sammelkästen im Naturkundemuseum sehen | |
den Arbeitswaben im Bahntower am Potsdamer Platz recht ähnlich, und ein | |
Gartenhaustor sieht man sogar auf zwei Bildern – einmal im Winter und | |
einmal im Sommer. | |
Bluhm gelingt etwas Ungewöhnliches mit seinen Nachtbildern – er macht | |
Berlin wieder sichtbar, er macht die dreckige Hauptstadt, die in den | |
letzten Jahren so sehr zum Opfer eines unkontrollierten Bauwahns wurde, | |
ansehnlich. Man will sie wieder sehen. | |
Detlef Bluhm: „Berlin im Glanz der Nacht/Berlin after dusk“. Bebra Verlag, | |
Berlin 2018. 208 Seiten, 28 Euro | |
18 Jan 2019 | |
## AUTOREN | |
Jörg Sundermeier | |
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