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# taz.de -- „Der Druck, gut zu schlafen, ist extrem gestiegen“
> Es gibt viele Regeln für gesunden Schlaf. Aber braucht es dafür wirklich
> immer ein kuscheliges Bett und acht Stunden Schlaf am Stück? Und schlafen
> wir heute tatsächlich schlechter als früher?
Interview Stella Schalamon
taz am wochenende: Frau Ahlheim, müssen wir schlafen lernen?
Hannah Ahlheim: An Babys kann man gut sehen, dass schlafen erlernt ist.
Wenn sie auf die Welt kommen, dann schlafen sie noch nicht acht Stunden
nachts. Es ist ein Kampf, bis sie so schlafen, wie die Gesellschaft das von
ihnen will.
Woher kommt die Idee des gesunden Acht-Stunden-Schlafs?
Der amerikanische Historiker Arthur Roger Ekirch behauptet, dass vor der
Industrialisierung zweiphasig geschlafen wurde. Man hatte den ersten Schlaf
gegen Abend, ist dann noch mal wach geworden, hat sich unterhalten, vor
sich hin geträumt und ist dann wieder eingeschlafen. Die Uhrzeit und somit
ein getakteter Tag setzten sich erst im 19. Jahrhundert durch. Damit
festigte sich auch die Idee vom Acht-Stunden-Schlaf. Es ist wahnsinnig
schwierig, das endgültig zu belegen, weil wir nur so wenige Quellen darüber
haben. Aber sicher ist: Schlaf ist kulturell geprägt. In Japan schlafen
viele Menschen beispielsweise in mehreren Bröckchen über den Tag verteilt.
Deshalb ist es auch völlig legitim und sozial anerkannt, tagsüber mal
einzuschlafen.
Dafür muss man dann auch nicht zwingend im Bett liegen.
Das mit dem Bett hat sich radikal geändert. Nicht jede Kultur hat überhaupt
Betten. Matratzen waren früher aus Stroh oder Gras. Später gab es die
einen, die sagten, man dürfe im Schlaf nicht verweichlichen, müsse auf
harten Rosshaarmatratzen schlafen. Aus dem Daunenbett wolle man ja sonst
gar nicht mehr raus oder kriege Fantasien. Das hatte also auch viel mit
Angst vor Sexualität zu tun. Und dann gab es die Gegenbewegung, die einem
die weiche Matratze und das Traumkissen zum Wegträumen versprach.
Die Monetarisierung von Schlaf also?
Die Matratzenindustrie kann alles bespielen. Ihre Konsumpalette wurde immer
breiter, und eine Individualisierung fand statt: Eheleute mit
unterschiedlichen Schlafgewohnheiten brauchten unterschiedliche Matratzen.
Und dann kam natürlich die Frage auf, ob man in einem Doppelbett schläft
oder in getrennten Betten.
Wie änderte sich die Vorstellung von gutem Schlaf in den letzten
Jahrhunderten?
Im 19. Jahrhundert war die Idee von Schlaf die Idee von absoluter Ruhe. Man
ging davon aus, dass das Gehirn so gut wie tot ist. Erst dann schlafe man
wirklich gut. Träume wären hingegen ein Zeichen dafür, dass der gute Schlaf
gestört ist, weil da doch noch etwas im Kopf funkt. Dann kam Sigmund Freud,
der sagte, Träumen sei sogar wichtig, um gesund zu bleiben. Dann fing man
an, die Aktivität des Gehirns zu vermessen, und sah, dass es im Schlaf
durchaus wach ist. Das änderte die Idee von Schlaf ganz grundlegend.
Einfach mal tot, nicht auf der Welt, in Gottes Hand oder abgeschaltet sein
funktionierte nicht mehr.
Schlafen wir heute wirklich schlechter als früher?
Was sich in den letzten einhundertfünfzig Jahren verändert hat, ist, dass
wir viel mehr Regeln haben, wie wir gut schlafen sollen. Gleichzeitig gibt
es viel mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über den Schlaf. Der Druck,
dass wir gut schlafen, damit wir fit sind für unseren Job und unseren
Alltag, ist extrem gestiegen. Allein die Schlaftracker auf unserem
Smartphone, die uns morgens sagen, ob wir gut geschlafen haben oder nicht –
das ist Stress!
Stress, den sich die Menschen früher nicht gemacht haben?
Im späten 19. Jahrhundert gab es schon einmal eine Aufregung um
Schlaflosigkeit. Die Ideen waren dieselben wie heute: Die Welt mit der
neuen Technik ist zu schnell, wir sind alle so nervös, verlieren unsere
Natürlichkeit. Im Zweiten Weltkrieg merkte man dann, dass es den Soldaten
nicht gutgeht, wenn sie nicht mehr schlafen können. Die hatten psychische
Probleme und Zusammenbrüche. Man fing an, Experimente mit Schlafentzug zu
machen, und behandelte gleichzeitig mit Schlafkuren, bei denen man die
Leute drei Tage auf Schlafmittel durchschlafen ließ.
Von wann sind die ersten Schlafmittel?
Seit Jahrhunderten gibt es klassische Schlafmittel, wie Bäder nehmen, kalte
Wickel, natürliche Drogen. Chemische Schlafmittel gab es erst im späten 19.
Jahrhundert und in den 1920er, 1930er Jahren. Es kamen immer wieder neue
Präparate auf, bei denen sich ein paar Jahre später herausstellte, dass sie
süchtig machen. Schlafmittel gehören nach wie vor zu den meistgekauften
Arzneimitteln überhaupt.
Ist der Kapitalismus eigentlich schuld an unseren Schlafproblemen?
Dass im Kapitalismus der selbstbestimmte, verträumte Schlaf immer mehr
verloren zu gehen scheint, ist ein starkes Argument. Gleichzeitig merkt
man, dass man den Leuten ihren Schlaf nicht einfach wegnehmen kann. Die
hängen daran.
12 Jan 2019
## AUTOREN
Stella Schalamon
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