# taz.de -- Abweichler, Provokateur, Rechthaber | |
> Wolfgang Pohrt schrieb brillante Polemiken über die Alternativbewegung, | |
> er wies frühzeitig auf linken Antisemitismus hin. Am Freitag ist er | |
> gestorben | |
Bild: Lieber McDonald’s als Birkenstock. So treffsicher wie Wolfgang Pohrt po… | |
Von Klaus Bittermann | |
Der erste Auftritt Wolfgang Pohrts in der Öffentlichkeit war gleich ein | |
Paukenschlag. Im Dezember 1980 veröffentlichte er im Spiegel einen Verriss | |
des sehr erfolgreichen Buches „Wer soll das alles ändern“ des Mitbegründe… | |
von „Netzwerk Selbsthilfe“, Joseph Huber, über die Alternativbewegung. | |
Pohrt wies dem gutmeinenden Joseph Huber Gedankenlosigkeit, nazistische | |
Implikationen, Stammtischgerede und Sachzwangjargon nach. | |
Die linksliberale Intelligenz reagierte sofort: Robert Jungk assoziierte | |
beim „wüsten Anschlag“ Pohrts das „Attentat gegen John Lennon“, Rudolf | |
Bahro bezeichnete Pohrt als „linken Reaktionär“ und Johano Strasser | |
unterstellte ihm „neurotischen Vernichtungswillen“, was nicht wenig ist für | |
einen Mann, der nur seine Schreibmaschine im Anschlag hat. Man wurde | |
hellhörig, weil für jeden, der lesen konnte, die Polemik nicht nur | |
beneidenswert gut geschrieben war, sondern Pohrt sich auch die Mühe machte, | |
präzise zu begründen, was falsch und schief war an den Argumenten der | |
Alternativen, der Friedensbewegung, der Grünen, der Linken und der | |
Bürgerlichen. | |
Der 1945 geborene Pohrt hatte in Berlin und Frankfurt Soziologie, | |
Politologie und Psychologie studiert und bei Adorno Vorlesungen besucht. Er | |
hatte Marx, Hannah Arendt, Günther Anders, Horkheimer, Benjamin, Krahl, | |
Ambler, Balzac et al. gelesen und nahm sie nicht nur wie andere als Beleg | |
zur Absicherung der eigenen Argumente, sondern wendete sie auch produktiv | |
an. Er war zwar durch die Protestbewegung sozialisiert, aber er war weder | |
für eine der K-Gruppen anfällig noch für die Alternativbewegung. Vielmehr | |
beobachtete er in den siebziger Jahren genau den Zerfallsprozess der | |
68er-Revolte und begann sogenannte „Schubladentexte“ über die | |
Kollateralschäden der Protestbewegung zu verfassen. | |
1980 beendete er eine ihn nur frustrierende Unikarriere und arbeitete | |
stattdessen als freier Journalist und Vortragsreisender. Mit Erfolg. Denn | |
überall, wo er auftrat oder publizierte, blieben Proteste nicht aus. In | |
einem Interview sagte er einmal: „Die Leute sagen mir, was sie denken, und | |
ich sage ihnen, warum es falsch ist.“ Das war keine Hybris, sondern sein | |
Ansatz als Ideologiekritiker, als der er sich in den achtziger Jahren | |
begriff. Da sich aber keiner gern Denkfehler nachweisen ließ, gehörte er | |
zusammen mit Eike Geisel und Christian Schultz-Gerstein bald zu den meist | |
gehassten Kritikern in der Republik. | |
Als im Oktober 1981 im Bonner Hofgarten 300.000 Menschen gegen die Nato | |
demonstrierten, kritisierte Pohrt als Erster die Friedensbewegung in der | |
taz und in der Zeit (Konkret hatte abgelehnt) als „nationale | |
Erweckungsbewegung“ und erinnerte daran, dass der allseits verhasste | |
US-amerikanische „Kulturimperialismus“ in Deutschland „nicht die Barbarei, | |
sondern die Zivilisation“ gebracht habe. Er spitzte dieses Argument mit der | |
lustigen Bemerkung zu, die damals in der kulinarischen Einöde Deutschlands | |
durchaus plausibel war: „In diesem Land ist jede weitere Filiale der | |
McDonald’s-Hamburger-Kette eine neue Insel der Gastfreundschaft und eine | |
erfreuliche Bereicherung der Esskultur.“ Zeit und taz wurden mit empörten | |
Leserbriefen bombardiert, was zumindest der Zeit eine Lehre war, denn Pohrt | |
war dieser Publikationsort von nun an verschlossen. Und auch wenn Josef | |
Joffe, André Glucksmann, Henryk Broder, Dietmar Dath, Hans Magnus | |
Enzensberger oder auch Sophie Rois, Eckhard Henscheid und Wiglaf Droste | |
sich hier und da von Pohrts Arbeiten begeistert zeigten, war er für den | |
linken Mainstream ein rotes Tuch, da er nicht aufhörte, schon frühzeitig | |
den linken Antisemitismus und die nationale Identität zu zerpflücken und | |
sich in die großen Kulturbetriebsdebatten einzumischen. Pohrt hat wie kein | |
anderer „Erhellendes über das KZ-Universum geschrieben“ (Lothar Baier), er | |
legte die Motive der RAF und ihrer Anhänger genauso offen wie er für eine | |
Amnestie der Gefangenen eintrat, er machte sich über Sloterdijks | |
„Schrebergärtnerphilosophie“ lustig, bezeichnete die Hausbesetzerbewegung | |
als „Rebellion der Heinzelmännchen“ und verfolgte den Weg des Kursbuchs in | |
„die neudeutsche Klebrigkeit“. | |
Pohrt fällte ebenso lustige wie vernichtende Urteile über die deutschen | |
Großschriftsteller und schrieb gleichzeitig grandiose Essays über Balzac | |
und die Figur des modernen Flüchtlings bei Eric Ambler. | |
1989 schließlich verkündete er die „Geschäftsaufgabe als | |
Ideologiekritiker“, weil er einsehen musste, dass man „in der BRD in eine | |
Phase eingetreten war, in der es kein falsches Bewusstsein, sondern die | |
Absenz jeden Bewusstseins überhaupt gibt“. Die Republikaner waren ins | |
Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen, Pohrt verlor die Lust, den | |
Kulturbetrieb weiterhin mit Feuilletons zu beliefern. Im Auftrag Jan | |
Philipp Reemtsmas machte sich Pohrt für das Hamburger Institut an die | |
soziologische Erforschung des Massenbewusstseins der Deutschen mit dem | |
methodischen Handwerkszeug, das Adorno und Horkheimer in „The Authoritarian | |
Personality“ verwendet hatten. Er traute den autoritär strukturierten | |
Deutschen einiges zu, und wie sich in Rostock-Lichtenhagen zeigte, hatte er | |
auch da recht. | |
In den Neunzigern publizierte Pohrt fast nur noch in Konkret, | |
verabschiedete sich nach dem für ihn enttäuschenden Konkret-Kongress 1993 | |
immer mehr von der Linken und ihren Debatten, hielt sich mit | |
wissenschaftlichen Jobs über Wasser und verstummte 2004 nach dem Tod seiner | |
Frau ganz. Erst 2011 meldete er sich mit den Diskussionsbändchen | |
„Kapitalismus Forever“ und „Das allerletzte Gefecht“ zurück. Sie löst… | |
noch mal erregte Kommentare aus, seine letzten Anhänger ließ er damit | |
ratlos zurück, was auch immer seine erklärte Absicht war. | |
2014 schließlich zog er sich nach einem Schlaganfall ganz zurück, an dessen | |
Folgen er am Freitag gestorben ist. | |
Klaus Bittermann betreibt den Verlag Edition Tiamat, in dem eine | |
Wolfgang-Pohrt-Gesamtausgabe in 11 Bänden erscheint | |
24 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
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