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# taz.de -- Burning down the House
> Nie sah man so viele rotglühende Wangen: Die große Musikerin Angélique
> Kidjo verwandelt die Bühne der Hamburger Elbphilharmonie mit
> Talking-Heads-Covern in einen Dancefloor
Von Jan Paersch
Sind es nun Bustouristen, Architekturfans oder Musikfreaks, die Hamburgs
neues Opernhaus frequentieren? Ziemlich genau einen Monat nach dem
„Elbphilharmonie-Eklat“ (Hamburger Abendblatt), bei dem Hunderte Zuhörer �…
ganz offensichtlich Saaltouristen, die einfach „1 x Elbphilharmonie“
gebucht hatten – während des Free-Jazz-lastigen Konzerts von Vijay Iyer aus
dem Großen Saal flüchteten, kommt niemand auf die Idee, diese Frage zu
stellen. Der junge Congaspieler Magatte Sow spielt ein so unfassbar
rhythmisches Intro, dass schon vor dem Auftritt der Protagonistin des
Abends sicher scheint: Hier geht niemand vorzeitig. Noch bevor sie zu sehen
ist, ist ihre Stimme über die Lautsprecher zu hören, die schwere Saaltür
schwingt auf, mit gemächlichen Schritten betritt sie die Bühne: Angélique
Kidjo.
Der Programmtext behauptet, die beninische Musikerin, die seit Langem in
New York City lebt, habe sich von einer „Femme fatale des Afro-Funk zur
neuen Mama Africa gewandelt “. Eine Erläuterung dieser klischeebehafteten
Termini bleibt man schuldig; eine grobe Verallgemeinerung, hat Kidjo in
ihrer 30-jährigen Karriere doch schon Pop-, World-, Jazz- und Latin-Alben
aufgenommen, Songs von Hendrix und den Stones eingespielt und mit Bono,
Santana und Peter Gabriel musiziert. Ein globaler Pop-Star, und, laut
Umfragen mehrerer Magazine, eine der 100 einflussreichsten Frauen Afrikas.
Als junge Frau bereits hörte sie „Remain in Light“ von den New Yorker
New-Wave-Heroen Talking Heads und war überrascht, darin afrikanische
Elemente zu entdecken. 35 Jahre später hat Kidjo das Album, dessen „Once in
a Lifetime“ sie stets vor sich hingesummt hatte, in Gänze gecovert und auf
CD veröffentlicht. Es sei Zeit, den Kreis zu schließen.
Nimmt sie also eine Aneignung einer kulturellen Aneignung vor? Kidjo
widersprach: Es sei keine Aneignung, wenn man seine Einflüsse offenbare –
das sei kulturelle Erweiterung. Mit einem Schwerpunkt auf Percussion und
Stimme hat Angélique Kidjo die Songs neu arrangiert und bringt sie nun beim
einzigen Deutschland-Konzert mit einer famosen achtköpfigen Band auf die
Bühne. War das Original noch nervöser Pop-Funk mit einem eher überforderten
Schlagzeuger, tun sich bei Kidjo und Co. ganze Welten auf: In
westafrikanischen Idiomen fügt die Sängerin eigene Texte hinzu, Drummer und
Perkussionist grooven zu komplexen Afrobeat-Rhythmen, eine betörend leichte
Gitarre fliegt darüber, der Keyboarder spielt flirrende Synthesizer und
perlendes E-Piano.
Kidjo merkt man ihre 58 Jahre zu keinem Zeitpunkt an, im rotgoldenen Anzug
umtänzelt sie den Mikroständer, reißt sich alsbald das Tuch vom Kopf und
offenbart den kurzgeschorenen Schädel. Ihre Dance-Moves sind gekonnt,
irgendwo zwischen Prince und James Brown. Eine fantastische Performance,
die keinesfalls durch die Akustik im für Orchester ausgelegten Saal
geschmälert wird. Nichts scheppert, der Bass wummert wie im Technoclub.
Obendrein kreiert die Bandleaderin („I love to be the boss“) ihre eigene
Dramaturgie. Nur der Beginn mit den Uptempo-Funk-Nummern „Born under
Punches“ und „Crosseyed and Painless“, in das die Sängerin eine Zeile von
Fela Kutis Emanzipations-Hymne „Lady“ einflechtet, folgt der Reihenfolge
des Originalalbums.
Dann streut Kidjo Songs ein, die ihr am Herzen liegen: „Cauri“, ein Stück,
das die frühe Verheiratung minderjähriger Frauen anklagt, und „Pata Pata“
von der ursprünglichen „Mama Africa“ Miriam Makeba. Zuvor die Ansage: „D…
mag das erste Mal sein, dass ihr eines meiner Konzerte seht. Aber: When you
come to my show, you dance.“
Nie hat man so viele rotglühende Wangen in der Elbphilharmonie gesehen, nie
so viel Schweiß gerochen. Es wird tatsächlich getanzt, und vor dem letzten
Song kommandiert Angélique Kidjo Hunderte Zuschauer auf die Bühne, die
Bläser werden zur Marching Band und ziehen durch den Saal. Es ist ein
weiterer Song der Talking Heads: „Burning down the House“.
10 Dec 2018
## AUTOREN
Jan Paersch
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