# taz.de -- Beastie Boys in Ton und Schrift: Erinnerungen an wilde Zeiten | |
> Diesen Band muss man laut hören: Das „Beastie Boys Buch“ erzählt alles, | |
> was man wissen muss. Zugleich ist ihr Album „Paul's Boutique“ neu | |
> erschienen. | |
Bild: Rückseite der ersten Beastie-Boys-Single, 1981. Links: Drummerin Kate Sc… | |
Knapp zwei Minuten dauert es, bis wir in dem Song „Shake Your Rump“ vom | |
gerade wiederveröffentlichten Beastie-Boys-Album „Paul’s Boutique“ eine | |
Bong hören – glasklar wird hier einer durchgezogen: Yummie! | |
Möglicherweise die teuerste Bong der Welt. Auf mehrere Hunderttausend | |
Dollar belief sich die Rechnung, die Capitol Records den Jungs | |
präsentierte. So viel Geld hatten die Beastie Boys 1989 in teuren Studios | |
in Los Angeles verballert, um „Paul’s Boutique“ aufzunehmen, den Nachfolg… | |
von „Licensed To Ill“, dem ersten Nummer-eins-Album der Hip-Hop-Geschichte. | |
Diese und 100.000 andere Geschichten erzählt das gerade erschienene | |
ziegelstein-schwere „Beastie Boys Buch“. Mit jeder Seite, die man in diesem | |
Buch blättert, schießen sie wieder hoch, die blitzbunten akustischen | |
Polaroids. Niemals hätte ich gedacht, dass sich die Details so fest | |
eingebrannt haben auf meiner akustischen Festplatte: die Percussion von | |
„Funky Boss“, die asthmatische Orgel von „So Wat’cha Want“ und der | |
neunmalkluge Robocop von „Intergalactic“. | |
„Paul’s Boutique“ wurde bei seiner Erstveröffentlichung zum Teil verriss… | |
Heute aber hört man in den Tracks das grandios Verspielte dieser Marx | |
Brothers des Hip-Hop. Das könnte auch mit dem „smart-ass jüdischen Humor“ | |
der Beastie Boys zu tun haben, mutmaßt der Autor Steven Lee Beeber. Der | |
Humor der drei jüdischen Jungs aus Brooklyn bewahrt auch das Buch davor, | |
eine aufgeblasene Rockstarbiografie zu sein. Es ist stattdessen: eine | |
Monstercollage aus Bildern, Comics, Musiklisten und Essays. | |
Die Essays drehen sich um die wichtigsten Fragen der Welt – zumindest der | |
Welt musikbessesener Teenager: In welchen Club komm ich rein, wie viele | |
Buttons dürfen auf den Rucksack? So gut wie nie geht es um | |
Backstage-Schlachten oder um Celebrity-Wasteland. Dafür bekommen wir ein | |
Wimmelbild vom New York der frühen 80er, als die Beasties, angefixt von | |
Postpunk und Hardcore, auch die ersten Rap-Maxis entdeckten. Kapitel tragen | |
Überschriften wie „Der andere Typ beim Bad-Brains-Konzert“. | |
Permanent will man das Buch zur Seite legen und die Musik hören. Nach den | |
Maxis der Treacherous Three suchen. Oder Spotify anwerfen, den Namen Jimmy | |
Spicer eingeben und „Adventures of Super Rhyme“ hören, einer der Tracks, | |
der die Beasties zum Hip-Hop hat konvertieren lassen. Oder alles Geld | |
zusammenkratzen und nach New York fliegen, denn das Buch ist auch ein „Open | |
Letter to NYC“: „Ratten, Hotdogs, Pferdewetten, Kotze auf dem Bürgersteig, | |
Models mit To-go-Kaffee“, schreibt Ad-Rock. „Sogar diese bescheuerten | |
Straßenverkehrsmaschinen. Danke, Mom & Dad, dass ihr mich hier zur Welt | |
gebracht habt.“ | |
Man muss sich dieses New York wie ein wildes Mixtape vorstellen, aus jedem | |
Ghettoblaster quillt Musik. Und das Beastie-Boys-Buch fängt diese | |
Atmosphäre wunderbar ein – als sich Punk, Hardcore, Elektro, Graffiti, Soul | |
und Jazz innig küssten und daraus ein Baby entstand. Dieses Baby heißt | |
heute Hip-Hop und ist das erfolgreichste Genre der Welt. | |
Ist dieses Buch nostalgisch? Die Beasties sind sich dieser Gefahr bewusst: | |
Mit acht Mixtapes in den „Seiten und Arschtaschen“ der Hose, erzählt uns | |
Ad-Rock, wird man eine jämmerliche Figur abgeben: „Ich wäre im siebten | |
Himmel gewesen, hätte es damals iPhones gegeben.“ Waren die Beasties | |
frauenverachtend? Ihr Humor hat vor nichts und niemand haltgemacht. Im Buch | |
entschuldigen sie sich bei allen, die sie verletzt haben könnten. Aber: Es | |
waren nicht die Beasties, die Schlagzeugerin Kate Schellenbach aus der Band | |
gekickt haben. Es war der mitunter misognye Impresario Rick Rubin, ihr | |
erster Produzent, weil er Musikerinnen irgendwie „wack“ fand. Schellenbach | |
hat später immerhin mit der Band Luscious Jackson auf dem | |
Beastie-Boys-Label Grand Royal Karriere gemacht. | |
Haben wir es bei den Beasties mit einem Fall von kultureller Aneignung zu | |
tun? Ja, die drei Künstler haben afroamerikanische Musikkultur inhaliert. | |
„Kulturelle Grenzen überschreiten, das ist sehr jüdisch“, attestiert ihnen | |
Steven Lee Beeber. Sie seien „die erste weiße Gruppe“ gewesen, „die in d… | |
schwarzen Hip-Hop-Gemeinde akzeptiert wurde“. Die Beastie Boys als | |
fröhliche Borderliner, als ultrahocherhitzte Version der Samplekultur: Sie | |
haben einen Spalt in der Geschichte genutzt, um mit der Tür in unser Haus | |
zu fallen. So wat’cha want? All samples cleared! | |
„Ich vermute“, schreibt Mike D in dem Buch, „dass es für jede | |
Fan-Generation einen Moment gibt, an dem rückblickend die Zeit stehen | |
bleibt und die Energie von jedem im Raum sich auf einem Punkt konzentriert. | |
An diesem einen Abend eröffnet sich ein ganz neuer Horizont mit ungeahnten | |
Möglichkeiten.“ | |
Auch wenn dieser Spalt sich längst wieder geschlossen hat – den Horizont | |
der Möglichkeiten beschreibt das „Beastie Boys Buch“ liebevoll und | |
hoffnungslos romantisch. Man muss es laut hören. Eine teure Bong braucht es | |
dazu nicht notwendigerweise. | |
12 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartle | |
## TAGS | |
spex | |
Texas | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ende des Berliner Musikmagazins: Krach, bum! Spex kaputt | |
Am Jahresende nach 38 Jahren wird die letzte Nummer des Berliner | |
Musikmagazins „Spex“ erscheinen. Stimmen zum Ende einer Ära. | |
South-By-Southwest-Festival in den USA: Rock ’n’ Robotik | |
Das South By Southwest in Texas ist sowohl Politbühne als auch | |
Musikspektakel und Tech-Werkstatt. Traditionell geht es bei dem Festival | |
ums Ganze. |