# taz.de -- Interview mit kongolesischem Musiker: „Istanbul hat mich ausgewä… | |
> Enzo Ikah wurde im Kongo wegen seiner regierungskritischen Musik | |
> verhaftet. Er flieht und landet in Istanbul. Heute singt er Texte von | |
> Aşık Veysel. | |
Bild: „Der einzige Weg aus diesem Loch herauszukommen ist es, einander zu lie… | |
Einer seiner Songs sollte das Leben des Istanbuler Reggaemusikers Enzo Ikah | |
von Grund auf verändern. Darin verbreitete er die Botschaft, dass Soldaten | |
keine Zivilisten töten sollten. Wegen des Songs wurde er in seinem | |
Heimatland Kongo festgenommen und gefoltert. Es gelang ihm, aus dem | |
Gefängnis zu fliehen. Sein Plan war es, nach Frankreich zu gehen. Aber er | |
landete in Istanbul, wo er gerade an seinem vierten Album arbeitet. | |
taz.gazete: Enzo, wie sind Sie zur Musik gekommen? | |
Enzo Ikah: Als ich elf Jahre alt war, in der Oberschule, habe ich das | |
Akkordeon für mich entdeckt. Als ich wieder einmal Mist gebaut hatte, | |
musste ich zur Strafe das Atelier der Schule putzen. Plötzlich hörte ich | |
die Klänge eines Akkordeons und war fasziniert. Es war einer meiner Lehrer, | |
der da spielte. Als ich anfing, ihm Fragen über das Instrument zu stellen, | |
fragte er mich, ob ich es lernen wolle. Von diesem Tag an kämpfte ich mit | |
dem Instrument statt mit meinen Freunden, und beherrschte es am Ende – | |
Klavier und Gitarre kamen dazu. | |
Ihre Kindheit muss eine schwierige Zeit gewesen sein. Sie sind bei Ihrer | |
Großmutter aufgewachsen, die Sie für eine Weile verstecken musste, warum? | |
Mein Vater war Pilot des kongolesischen Präsidenten Mobutu Sese Seko. | |
Damals hieß das Land noch Zaire. Ich habe meinen Vater nie kennengelernt, | |
aber offenbar wusste er viel über Präsident Mobutu und seine Beziehungen – | |
und das hat den Präsidenten gestört. Bei einem Angriff auf das Flugzeug | |
meines Vaters im Jahr 1983 starb er zusammen mit meiner Mutter, die als | |
Stewardess mitgeflogen ist. Ich denke, dass der Angriff vom Präsidenten | |
ausgegangen ist. Ich war damals erst vier Monate alt. Die Regierung | |
beschlagnahmte unser gesamtes Hab und Gut. Daraufhin versteckte mich meine | |
Großmutter in ihrem Dorf. | |
Als Sie 2002 nach Frankreich gezogen sind, um an der Sorbonne Französische | |
Sprache und Literatur zu studieren, waren Sie im Kongo bereits ein | |
populärer Musiker. Wie war es nach dem Studium zurückzukehren? | |
Ich bin vielen leidvollen Geschichten begegnet. In einem Krankenhaus | |
erzählte mir eine Frau von anderen Frauen, die vergewaltigt worden waren. | |
Es gab Kinderarbeiter, die Schuhe produzierten und Kindersoldaten, die ich | |
kennengelernt habe. Ich habe mir vorgenommen, ein Sprachrohr für diese | |
Menschen zu sein, was dazu führte, dass sie meine Lieder immer mehr | |
mochten. Denn sie erzählten ihre Geschichten. | |
So wie Ihr Song „Wild Soldier“. Sie wurden dafür verhaftet. Was hat die | |
Regierung an dem Lied gestört? | |
Am 23. August 2006 griffen Soldaten in der kongolesischen Hauptstadt | |
Kinshasa Zivilisten an. Das war ein Tag nach den Wahl, bei der die | |
Regierung betrogen hatte. Ich habe darüber gesungen, dass die | |
Zivilbevölkerung nicht Feind der Soldaten ist und dass es die Pflicht der | |
Armee sei, die Zivilisten zu schützen. Und dass es nichts Schlechtes sei, | |
Befehle zu verweigern, die nicht mit dem Gesetz im Einklang stehen. Das hat | |
ihnen wahrscheinlich nicht gefallen. Und da ich im Kongo bekannt bin, habe | |
ich wohl ihre Aufmerksamkeit erregt. | |
Eine Aufmerksamkeit, die Ihnen zehn Jahre Haft eingebrockt hat. Was können | |
Sie über Ihre Zeit im Gefängnis sagen? | |
Sie fanden, ich hätte in meinen Songtexten zu viel geredet, jetzt würden | |
sie dafür sorgen, dass ich nicht mehr reden könne. Drei Zähne haben sie mir | |
mit einer Zange gezogen. Ich habe die Hölle auf Erden erlebt. Seitdem habe | |
ich vor nichts mehr Angst. Der Schmerz ist mein bester Freund geworden. | |
Nach neun Tagen Haft sind Sie geflohen. Wie ist Ihnen das gelungen? | |
Im Kongo löst Geld jedes Problem. Ich habe zwei Polizisten 5.000 Dollar | |
gegeben. | |
Danach wollten Sie nach Frankreich, aber Ihnen wurde kein Visum erteilt. | |
Wie sind Sie dann in Istanbul gelandet? | |
Ich hatte nie geplant, in die Türkei zu gehen. Aber Istanbul hat mich | |
ausgewählt. Eigentlich hatte ich eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für | |
Frankreich. Aber als ich aus dem Gefängnis geflüchtet bin, gab es keinen | |
Direktflug nach Frankreich. Ich hätte mindestens drei Tage auf einen | |
Direktflug warten müssen, aber ich musste das Land sofort verlassen. Der | |
einzige Weg, nach Frankreich zu kommen, war die Reise mit Zwischenstopp in | |
Istanbul. Als ich in der Türkei ankam, fragten mich Polizisten, ob ich ein | |
Transitvisum habe. Als ich verneinte, wollten sie mich zurück in den Kongo | |
schicken. Ich habe sofort meinen Anwalt angerufen und einen Antrag auf Asyl | |
gestellt. 78 Tage habe ich im Amt für Ausländerangelegenheiten verbracht. | |
Ich habe in Busbahnhöfen und Tankstellen geschlafen und als Lastenträger | |
gearbeitet. | |
Und dennoch lieben Sie diese Stadt? | |
Ich wollte nicht in der Vergangenheit stecken bleiben, alles vergessen und | |
eine neue Seite in meinem Leben aufschlagen. Das hat geholfen. Und so fing | |
ich an, Istanbul zu lieben. Meine Vergangenheit war für mich gestorben und | |
um nicht dem Leben entrissen zu werden, klammerte ich mich an den Moment | |
und die Zukunft. | |
Sie sind Ko-Regisseur des Dokumentarfilms „Refugee, here I am“, der 2015 | |
erschienen ist und Ihr Leben und das Leben anderer Geflüchteter in Istanbul | |
zeigt. Was genau wollten Sie mit diesem Film bewirken? | |
Die Idee kam von der Regisseurin Elif Eda Tibet, ich habe mich dem Projekt | |
in einem späteren Stadium angeschlossen. Der Film versucht, Geflüchteten | |
aus aller Welt zu erklären, dass Armut eine soziale Ungerechtigkeit ist, | |
gegen die wir etwas tun können. Praktisch eine Motivation, ihr Leben zu | |
ändern. Ich bin einer von ihnen und kenne die ganze Wahrheit über das | |
Flüchtlingsdasein. Jeder kann sein Leben ändern, wenn er sich dafür | |
entscheidet. Man muss aufhören, an der Vergangenheit festzuhalten. Niemand | |
kann dein Leben für Dich ändern. Die Zukunft liegt in deiner Hand, du musst | |
aufhören davon zu träumen, dass sich irgendjemand um dich schert. | |
Wie hat Ihr Aufenthalt in der Türkei Sie musikalisch verändert? | |
Die türkische Musik hat einen großartigen, sehr typischen Sound. Aber ich | |
interessiere mich mehr für die Texte als für die Musik. Besonders die | |
unglaublichen Texte von dem Sänger Ahmet Kaya und dem berühmten blinden | |
Volksdichter und Sänger Aşık Veysel höre ich gern. Als ich den Text von | |
„Ich bin auf einem langen, schmalen Weg“ (Uzun İnce Bir Yoldayım) gelesen | |
habe, habe ich gemerkt, dass wir viel blinder sind als er. Aşık Veysel ist | |
jemand, der gelernt hat, mit dem Herzen zu sehen. Deshalb werde ich auf | |
meinem neuen Album „Obdachloses Kind“ (Evsiz Çocuk) den Song „Uzun İnce… | |
Yoldayım' singen. Außerdem plane ich eine französische Version von Ahmet | |
Kayas „Pass auf dich auf“ (Kendine İyi Bak). | |
Sie sind ein politischer Künstler. Mit Blick auf die heutige Welt – wo | |
liegt Ihrer Meinung nach das größte Problem? | |
Die größten Probleme sind Sklaverei, Kriege und Terrorismus. Die Welt ist | |
voller Menschen, die im Namen Gottes oder Allahs Kriege führen. In | |
Wirklichkeit aber stehen Gott oder Allah für Frieden und Güte. Ob du den | |
Koran liest oder die Bibel: Das Gebot lautet, dass du niemanden töten | |
sollst. Dieser ganze ideologische Schwindel hat den Planeten in eine Hölle | |
verwandelt. Und die Menschenrechtsorganisationen schauen bloß zu. Angeblich | |
besitzen wir von Geburt an Rechte, aber diese Rechte werden uns ständig von | |
irgendwem entzogen. Ich glaube, der einzige Weg aus diesem Loch | |
herauszukommen ist es, einander zu lieben. | |
Aus dem Türkischen von Judith Braselmann-Aslantaş | |
14 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Muhsin Topyıldız | |
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Kongo | |
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