# taz.de -- Back in the USSR | |
> Das Arsenal zeigt mit Sergej Paradschanow einen Großen des Kinos, im | |
> Russischen Haus und Delphi Lux läuft die Russische Filmwoche | |
Von Barbara Wurm | |
Die kommende Kinowoche führt „Back in the USSR“ – in gleich zwei aktuell… | |
Filmreihen. Einen Großen des kreativ-anarchischen Films würdigt das Kino | |
Arsenal: den in Georgien geborenen Armenier mit Faible fürs Ukrainische | |
Sergej Paradschanow, die quintessenzielle Figur, wenn es darum geht, das | |
Sowjetkino in seiner Vielstimmigkeit und Multiethnizität zu rekonstruieren. | |
Authentischer Lebemensch und stilbewusster Künstler in einem, war | |
Paradschanow hochverehrt: international von Antonioni bis Godard, dem er | |
als Gralshüter im „Tempel der Bilder“ galt, und in der ausklingenden UdSSR | |
von der kunstaffinen Intelligenz wie diversen Outlaw-Gruppen, für die er, | |
der Homosexuelle, zum Signifikant der Rebellion wurde. | |
Ästhetisch war Paradschanow, den die Reihe als „Grenzgänger zwischen | |
Ländern, Kulturen und Systemen“ diskutiert, solitär. Trotz klassischer | |
Filmausbildung (bei den Ukrainern unter den WGIK-Hochschullehrern, | |
Sawtschenko und Dowschenko) bog er schnell von der Autobahn des | |
SozRealismus auf visuell weitgehend unbetretene Nebenwege ab und schuf eine | |
eigenständige Filmsprache, die im Künstlerischen und Surrealen verankert | |
war, mit Bezug auf Folklore und Mythologien. | |
Sein Meisterspiel „Schatten vergessener Ahnen“ (23. + 28. 11.) legt davon | |
Zeugnis ab, Romeo und Julia in den Karpaten, als heidnische Sage inszeniert | |
und kühn montiert – ein veritabler filmischer Aufschrei im ohnehin | |
wagemutigen Tauwetter-Kino der UdSSR, von der Zensur wie wenig später auch | |
das Stillleben-Kino „Sajat Nova“ („Die Farbe des Granatapfels“) als | |
„formalistisch“ und „nationalistisch“ kritisiert. | |
Die Hommage erfasst alle erhaltenen Langfilme Paradschanows, was bei den | |
frühen 'realistischer gehaltenen Arbeiten in der Ukraine – „Andriesch“ (… | |
11.) und „Ukrainische Rhapsodie“ (22. + 27. 11.) – filmhistorisches Neula… | |
bedeutet. Das zentrale Werk „Sajat Nova“ wird in restaurierter Fassung | |
gezeigt (30. 11.). Die Filme der 1980er Jahre sind konsequente Formspiele | |
zwischen Tableau-Ekstase und Orientalismus-Exzess. | |
Ebenfalls zurück in die UdSSR holen uns auch einige aktuelle Filme der 14. | |
Russischen Filmwoche. Der Eröffnungsfilm „Spitak“ von Aleksandr Kott führt | |
ins Armenien des Jahres 1988, als ein verheerendes Erdbeben die | |
Sowjetrepublik erschütterte und – Wink ins Heute – die festgestellten | |
Weichen des Kalten Krieges auflockerte: Angesichts der Tragödie kam es | |
erstmals zu humanitären Hilfsmaßnahmen auch westlicher Organisationen. | |
## Politischer Sprengstoff | |
Diesem filmisch geradlinig inszenierten Appell an Solidarität steht mit dem | |
neuen Film von Renat Dawletjarow „Donbass: Grenzgebiet“ – beim Festival in | |
Rom angeblich eine Sensation – freilich ein „Antikriegsdrama“ gegenüber, | |
das politisch für Sprengstoff sorgen muss (weshalb die Festivalmacher*innen | |
auch betonen, dass „bemerkenswerterweise lediglich 20% der | |
Produktionskosten des Films aus staatlichen Mitteln finanziert sind“). | |
Was das konkret bedeutet, wird man am 30. 11. sehen, vorerst liest man in | |
Beschreibungen vom tragischen „Bürgerkrieg“, was angesichts der gebotenen | |
Sensibilität in Diktionsfragen bereits ein Statement ist. Zu wie viel | |
Prozent russische staatliche Mittel ins Kriegsgeschehen im Donbass fließen, | |
wird man aus dem Film wohl nicht erfahren. | |
Die Filmwoche vollführt demnach mehr denn je einen Balanceakt zwischen | |
weltpolitischer Pattstellung und Kulturauftrag. Mit (dem auch im regulären | |
Kinobetrieb angelaufenen) „Leto“ von Kirill Serebrennikow über den | |
Leningrader Underground der 80er ist ein vom System abgestrafter Schwuler | |
des Kinos dabei. Auch ein Statement vielleicht. Paradschanow saß jahrelang | |
im Lager. Der Delinquent von heute in Hausarrest. Grenzgänger der Systeme. | |
Sergej Paradschanow (20.–30. 11, Kino Arsenal). Russische Filmwoche (26. | |
11.–2.1 2., Filmtheater im Russischen Haus + Delphi Lux) | |
23 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Barbara Wurm | |
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