# taz.de -- nordđŸthema: Wo vorher eine LĂŒcke war | |
> Sind so kleine Heime: Das âTiny House Movementâ scheint den Sprung in das | |
> Bewusstsein vieler GroĂstĂ€dter geschafft zu haben: Auch LĂŒcken zwischen | |
> HĂ€usern werden bebaut, egal wie wenig Platz da ist | |
Bild: Vorher, nachher: Am Hulsberg ist Bremens schmalstes Haus entstanden â d… | |
Von Florian Maier | |
2,60 Meter breit ist die BaulĂŒcke. 2,40 Meter die WohnflĂ€chenbreite. Kleine | |
HĂ€user sind in Bremen keine Seltenheit, gerade wenn man an das | |
Schnoorviertel denkt. Doch das schmalste Haus Bremen befindet sich 2,5 | |
Kilometer weiter â am Hulsberg. Leicht zu ĂŒbersehen, steht es im Schatten | |
eines gröĂeren Mehrfamilienwohnhauses. âEin Symbol gegen den FlĂ€chenfraĂ … | |
Bremenâ, nennt es der Architekt Wolfgang Weiss. | |
Beim Betreten des Einfamilienhauses hat man nicht das GefĂŒhl, im schmalsten | |
Haus Bremens zu stehen. Es zeigt sich eher von seiner gröĂten Seite. Durch | |
breite Fenster, vorn zur StraĂe, hinten zum Hof, steht man in | |
lichtdurchfluteten RĂ€umen. Oder besser gesagt in einem Raum. TĂŒren gibt es | |
bis auf den Eingang und den Zugang zum Bad keine. âHier drin gibt es keine | |
Möglichkeit, sich anderen Personen zu entziehen. Also ist das wohl eher fĂŒr | |
PĂ€rchen als fĂŒr Wohngemeinschaften geeignetâ, sagt Weiss, der das Haus | |
geplant hat. | |
Als Lehrer fĂŒr Design an der Wilhelm-Wagenfeld-Schule sucht er oft den | |
Kontakt zu jĂŒngeren Architekt*innen, um sich ĂŒber neue Konzepte des Wohnens | |
in urbanen RĂ€umen auszutauschen. Schon seit LĂ€ngerem ist der Wohnraummangel | |
in Bremen angekommen, die Viertel um die Innenstadt platzen aus allen | |
NĂ€hten. Das spiegelt sich in den Mieten wieder. In den letzten zehn Jahren | |
stieg der durchschnittliche Mietpreis in Bremen um 32 Prozent. | |
WeissâKonzepte sind darauf angelegt âdem FlĂ€chenfraĂ ein Ende zu bereiten… | |
Kleine, gut konzipierte Wohnungen sollen mehr Raum fĂŒr die verschiedensten | |
Gesellschaftsschichten schaffen. Wo die Politik verschlafen habe, genĂŒgend | |
gĂŒnstigen Wohnraum fĂŒr alle zu schaffen, mĂŒsse die Zivilgesellschaft | |
einspringen â und sich im Verzicht ĂŒben. | |
Traum von hohen Altbau-Decken | |
Im Bezug auf den Klimawandel scheint das Konzept durchaus sinnvoll. | |
ĂbermĂ€Ăiger Wohnraum begĂŒnstigt ĂŒbermĂ€Ăigen KohlenstoffdioxidausstoĂ, | |
beispielsweise durch vermehrtes Heizen und Materialverschwendung. Doch | |
viele Menschen scheinen nicht bereit, auf viel Platz in ihren Wohnungen zu | |
verzichten. Die groĂen Altbauzimmer mit hohen Decken sind immer noch der | |
Traum vieler Stadtbewohner, egal wie ökologisch diese Wohnungen sind. | |
Ein guter Grund auf Tiny Living umzusteigen. Minimalismus soll als | |
Gegenbewegung zu dem ganzen, bereits vorhandenen Ăberfluss verstanden | |
werden. WĂŒrden sich alle so verhalten, gĂ€be es keine Platzprobleme mehr und | |
alle wĂ€ren glĂŒcklich. Wenn die Umsetzung nur so einfach wĂ€re. Seit den | |
1920er-Jahren befassten sich Architekt*innen mit diesem Thema. So stellten | |
sich bereits Studierende und Lehrende aus dem Dessauer Bauhaus mit der | |
Frage, wie Wohnen auf kleinem Raum möglich ist. Der Minimalismus sollte | |
allerdings nicht aus reinem Verzicht, sondern auch aus kluger | |
Raumaufteilung bestehen. | |
Vertreter wie Ernst Neufert oder Martin Gropius widmeten sich dem Thema, | |
wie Wohnraum auf wenig Quadratmetern geschaffen werden könnte. Allerdings | |
stand hier die Frage nach Wohnraum fĂŒr viele Menschen im Vordergrund. | |
Neufert versuchte es mit dem Schaffen von MindestmaĂen, Gropius durch neue | |
Raumaufteilung. Beide waren durchaus umstritten, vor allem in der | |
Nachkriegszeit. Gropius wurde vorgeworfen, die Ăsthetik dem Nutzen | |
vorzuziehen und so nur Rationalismus fĂŒr Bauwerke durchzusetzen. Nicht die | |
BedĂŒrfnisse der Bewohner hĂ€tten zu diesen Grundrissen gefĂŒhrt, sondern die | |
billigste und praktischste Art des Bauens. Neufert spielte mit seinen | |
PlÀnen den Nazis in die HÀnde und wurde von Hitler sogar als einer der | |
wichtigsten Bauherren gehandelt. | |
Auch der Architekt Le Corbusier versuchte 1957 kleines Wohnen fĂŒr seine | |
Studierendenwohnheime, wie beispielsweise dem âMaison du Brezilâ, | |
praktikabel zu initiieren. Er wĂ€hlte dafĂŒr zusĂ€tzlich ein bestimmtes | |
Farbkonzept, um RĂ€ume weiter erscheinen zu lassen, obwohl man sich in einem | |
sehr schmalen Einzimmerapartment befand. SchrÀnke wie Fenster waren | |
zusĂ€tzlich mit SchiebetĂŒren versehen, um Platz einzusparen. | |
All diese Architekten haben durchaus auch heute noch Einfluss auf die | |
aktuelle Tiny-House-Bewegung. Zu dieser gehört auch der Architekt und | |
Möbeldesigner Van Bo Le-Mentzel. Er kreierte eine sogenannte | |
â100-Euro-Wohnungâ. Auf 6,4 Quadratmetern WohnflĂ€che soll alles enthalten | |
sein: KĂŒche, Bad, Schlaf-, Arbeits- und Aufbewahrungsmöglichkeiten. Das | |
Ganze lÀsst sich sogar auf einem AnhÀnger transportieren oder aufeinander | |
stapeln, um eine Art Mehrfamilienhaus zu konstruieren. Mit seinem Projekt | |
versucht er darauf aufmerksam zu machen, dass es eine Alternative zur | |
aktuellen Wohnsituation geben kann. In Europa lebt jede Person gerade | |
durchschnittlich auf ungefÀhr 45 Quadratmetern, sieben Mal so viel wie eine | |
seiner Wohnungen. Weiterhin vertritt er das Motto âKonstruieren statt | |
Konsumierenâ. Dadurch versucht er, das aktuelle Stilbewusstsein, das oft | |
auf mehr Konsum ausgelegt ist, zu verÀndern und Minimalismus als | |
lebenswerte und auch durchfĂŒhrbare Praxis einzufĂŒhren, auch beim Wohnen. | |
Umgekehrt kann es natĂŒrlich auch gehen. Der Möbelhersteller Ikea versucht | |
auf dieses Prinzip aufzuspringen, wenn er in seinen AusstellungsrÀumen | |
Wohnkonzepte mit viel Stauraum auf wenigen Quadratmetern prÀsentiert. Der | |
Verzicht gerÀt hier allerdings völlig in den Hintergrund. Hier gilt eher | |
das Motto: âKonsumieren statt Konstruierenâ. | |
Ein Haus fĂŒr 90.000 Euro | |
Andere Anbieter bieten ganze Siedlungen aus Tiny Houses an. Manchmal sogar | |
ganze Dörfer, die nur aus diesen bestehen. So beispielsweise auch an der | |
Elbe, circa 30 Minuten von LĂŒneburg entfernt. Hier soll in den nĂ€chsten | |
Jahren ein Dorf auf einem âdrei Hektar groĂen GelĂ€nde direkt hinter dem | |
Deich inmitten freier Naturâ namens Elborado entstehen, wie die Betreiber | |
und Erbauer auf ihrer Website schreiben. FĂŒr knapp 90.000 Euro plus | |
monatliche Pacht- und Betreiberkosten kann man sich ein | |
30-Quadratmeter-Haus kaufen â nicht gerade gĂŒnstig, vergleicht man es mit | |
den Kaufpreisen in der Umgebung. | |
Wo eine gute Bewegung startet, gibt es immer auch Trittbrettfahrer, die | |
versuchen, das anfangs noch Do-it-yourself-Movement zu kapitalisieren: ein | |
Lifestyle-Produkt daraus zu machen. Es gibt Baumhaushotels und Ăbernachten | |
im Tiny House in Bayern und Niedersachsen. Bei Ăbernachten in BaumhĂ€usern | |
denkt man allerdings erst mal an Kindergeburtstage auf dem Land oder an den | |
Hambacher Forst, was beides gĂŒnstiger, allerdings auch deutlich weniger | |
luxuriös scheint. Beide haben zumindest keine Badewanne, womit die meisten | |
Baumhaushotels durchaus ausgestattet sind. | |
Trotz der Kapitalisierung dieser Bewegung bietet sie eine logisch | |
funktionierende Lösung zu den aktuellen Problemen auf dem Mietmarkt an. | |
Raum kann sinnvoller aufgeteilt werden, als es bisher in deutschen | |
InnenstÀdten getan wird. Wohnraum wird auch in den nÀchsten Jahren | |
voraussichtlich knapper werden, da die Landflucht bisher weiterhin anhÀlt. | |
Voraussichtlich wachsen die StÀdte auch in Zukunft. Wolfgang Weiss plÀdiert | |
fĂŒr mehr KreativitĂ€t: âJunge Architekten mĂŒssen mehr Spielraum fĂŒr neue | |
Ideen bekommen.â Sein schmalstes Haus in Bremen hat es geschafft, neue | |
Standards zu setzen. Wo vorher noch eine ungenutzte BaulĂŒcke mit allerhand | |
MĂŒll lag, steht nun ein kleines Einfamilienhaus. | |
Dabei ist das Ganze auch noch nachhaltig gebaut. Alle Teile sind von der | |
Bauteilbörse, die Fenster beispielsweise gehörten zu einem alten | |
BehördengebÀude. Genau diese Ideen könnten sich als der Wohnbau der Zukunft | |
herausstellen. So könnte gĂŒnstiger Wohnraum fĂŒr alle entstehen, der gerade | |
dringend gesucht wird. Eine wissenschaftliche Studie der | |
Humbold-UniversitÀt in Berlin ergab, dass steigende Miet- und Wohnkosten in | |
Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehen | |
lassen. Auch wenn das schmalste Haus Bremens darauf erst mal wenig | |
Auswirkung haben wird, steht es erst mal da, so âals Symbol gegen den | |
FlĂ€chenfraĂâ. | |
17 Nov 2018 | |
## AUTOREN | |
Florian Maier | |
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