Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Identitäre Gruppierungen
> Deborah Feldman diskutierte in den Räumen der Humboldt-Universität über
> die Bedeutung von Religion und Weltanschauung für Integration
Von Inga Barthels
Die Strümpfe dicker machen. Das forderte Deborah Feldmans Rabbi, immer wenn
irgendwo auf der Welt Juden und Jüdinnen umgebracht wurden. Der Grund für
solche Attentate lag in den noch zu durchsichtigen Strümpfen, die die
Frauen seiner Gemeinde trugen, da war sich der Rabbi sicher. Und ließ immer
dickere, blickdichtere Strumpfhosen herstellen, damit so etwas nicht
nochmal passiert.
Feldman wuchs bei den chassidischen Satmar auf, einer ultraorthodoxen
jüdischen Gemeinde aus Brooklyn. Dort wurde sie zwangsverheiratet, genoss
keine weltliche Bildung, sprach ausschließlich Jiddisch. Mit 22 Jahren
schaffte Feldman den Ausstieg, seitdem hat sie zwei Bücher geschrieben.
Heute wohnt die Autorin in Berlin und ist, obwohl sie sich ihre
Spiritualität bewahrt hat, organisierter Religion gegenüber kritisch
eingestellt.
Mit Vertreter*innen religiöser und nicht religiöser Gruppen diskutierte
Feldman am Samstag über die Bedeutung von Religion und Weltanschauung für
Integration. Zu der Diskussion hatte die Humanistische Akademie unter dem
Titel „Zu viel Identität?“ in die Räume der Humboldt-Universität geladen.
Die Veranstaltung machte vor allem deutlich, wie verstrickt Fragen von
religiöser Identität, politischer Macht und Integration sind und wie
unterschiedlich die Antworten ausfallen können. Die Geschichte mit den
Strümpfen erzählt Feldman, um deutlich zu machen, warum für sie religiöse
Kleiderordnungen für Frauen immer mit Radikalität und Unfreiheit
zusammenhängen. Dazu zählt sie auch das muslimische Kopftuch.
Dem widerspricht Eren Güvercin, Journalist, Autor und Mitglied im Vorstand
der Alhambra Gesellschaft. Das Kopftuch allein sei kein Zeichen der
Radikalisierung. Dies zu behaupten sei Sarrazin-Niveau, sagt Güvercin. Er
sieht eine doppelte Entwicklung in Deutschland. Einerseits würden durch den
dominanten Diskurs seit 9/11 viele türkeistämmige Menschen „islamisiert“,
die mit Religion gar nichts am Hut haben. Gleichzeitig beobachtet Güvercin
bei türkeistämmigen Erdoğan-Anhänger*innen in Deutschland ähnliche
Gedankenmuster wie bei Pegida, die Nationalismus und Religion vermischen.
Güvercins Selbstbezeichnung als „deutscher Muslim“ stoße in beiden dieser
identitären Gruppierungen auf Widerstand.
Rolf Schieder, Professor für Theologie und Religionspädagogik an der HU,
sieht das eigentliche Problem in der „Kulturalisierung des Religiösen“.
Viele in Europa würden Religion nur noch als kulturellen Marker nutzen,
etwa Pegida mit ihrer Betonung christlich-jüdischer Werte, aber auch
Musliminnen, die das Kopftuch tragen, um ihrer Identität Ausdruck zu
verleihen. Trotzdem bleibe es wichtig, Religion zu schützen, meint
Schieder. „Das uns Gemeinsame muss auch religiös kodierbar sein.“
Helmut Fink, Vorsitzender des Koordinierungsrates säkularer Organisationen,
sieht dagegen noch immer eine religiöse Dominanz in Deutschland. Sein
Dachverband biete eine Möglichkeit auch für nicht religiöse Menschen, sich
in Gruppen zu organisieren. Für mehr Dialog und Toleranz plädiert Katja
Labidi vom Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg. Sie leitet ein
Projekt, das Geflüchtete mit ihren Berliner Nachbar*innen in Kontakt
bringt, und setzt sich für säkulare Geflüchtete ein, die in ihren
Unterkünften häufig diskriminiert und bedroht würden.
Im Dialog sieht auch Carola Roloff eine Chance. Die buddhistische Nonne ist
Gastprofessorin an der Uni Hamburg und setzt sich für Frauenrechte in
Europa ein. Wegen ihrer religiösen Kleidung sei sie schon oft diskriminiert
worden. Doch anders als Deborah Feldman sieht Roloff nicht die Abwendung
von organisierter Religion, sondern ihre Reformation von innen als Lösung,
gerade für Frauen. „Ich bin nicht bereit, Religion den Männern zu
überlassen“, sagt sie. Sie habe mit feministischen Theologinnen aller
Religion mehr gemeinsam als mit orthodoxen Buddhisten. Gemeinsam gelte es
zu kämpfen, für eine gerechtere Religionsauslegung und die Akzeptanz aller
Menschen – religiös und atheistisch.
14 Nov 2018
## AUTOREN
Inga Barthels
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.