| # taz.de -- Von Wundern und Verlierern | |
| > Zum achten Mal heißt es: Litauisches Kino goes Berlin. Im Filmprogramm | |
| > spiegeln sich die geopolitischen Grundverhältnisse quer durch alle Genres | |
| > und Epochen | |
| Bild: Digital restaurierter Perestrojka-Hit: „Children from the Hotel America… | |
| Von Barbara Wurm | |
| Für Litauen, das sich filmisch zum achten Mal in Berlin präsentiert – auch | |
| diesmal wieder in den Kinos Sputnik und Acud –, ist die transatlantische | |
| Idee zentral. Das mag überraschen bei einem Land, das über Jahrzehnte fest | |
| in sowjetischer Hand war, andererseits ist es gerade deshalb nur allzu | |
| verständlich. Im Filmprogramm, das Festivalleiterin Giedrė Simanauskaitė | |
| kuratiert hat, spiegeln sich die geopolitischen Grundverhältnisse | |
| nachgerade leitmotivisch. Und das quer durch alle Genres und Epochen. | |
| In „Miracle“ (R. Eglė Vertelytė, 2017) gibt es dabei viel zu lachen, auch | |
| weil Bernardas, Held dieser Komödie im postsowjetischen Schweine-Kolchos, | |
| Ähnlichkeiten mit Donald Trump hat (rote Krawatte und Baseballcap), mit | |
| seinem Cadillac bis in den Saustall fährt und so einen leichtvertrottelten | |
| aber durchsetzungsstarken US-Devisen-Typ abgibt. Das Leben der | |
| Kolchos-Leiterin Irena, optisch wie operativ das reinste Überbleibsel aus | |
| Sow-Zeiten (auch aus einem Kaurismäki-Film könnte sie sein), stellt der zu | |
| seinen litauischen Wurzeln zurückkehrende Investor aus Übersee gewaltig auf | |
| den Kopf, und die seit Jahren un(ter)bezahlte Koop-Belegschaft scheint dem | |
| Finanzretter ohnehin zugetan. 1992 hat es zwischen Kommunismus und | |
| Kapitalismus noch so richtig geclashed; der Stil des absurden Wunders passt | |
| also gut zur realökonomischen Landtristesse der Wendejahre (2. + 3. 11.). | |
| Auf die weiter zurückliegende Vergangenheit aber auch mit starkem | |
| US-Blinzeln schauen zwei Klassiker des litauischen Films – und nein, nicht | |
| die Exil-Film-Legende Jonas Mekas ist gemeint, der im Jahr 100 der (ersten) | |
| Unabhängigkeit seines Heimatlandes weltweit auf Festivals noch einmal eine | |
| Ehrenrunde dreht. | |
| Vielmehr holt das Berliner Festival in Kooperation mit dem Lithuanian Film | |
| Center den traurig-coolen, nun digital restaurierten Perestrojka-Hit | |
| „Children from the Hotel America“ (gedreht 1990 im wieder unabhängigen | |
| Litauen) auf die Leinwand, Raimundas Banionis vorsichtigen Verweis auf den | |
| aufständischen „Frühling von Kaunas“ 1972, der durch die Selbstverbrennung | |
| des damals 19-jährigen Romas Kalanta eingeleitet wurde – und das | |
| anschließende Verbot der Sowjetbehörden, an seiner Beerdigung | |
| teilzunehmen.Banionis belässt die historischen Ereignisse (Wegmarker des | |
| litauischen Widerstandes gegen ein Dasein als sowjetische Republik) im | |
| Hintergrund und widmet sich einer kleinen Jung-Hippie-Truppe mit Liebe zu | |
| Rock ’n’ Roll, die es sich in den Ruinen ihres „Hotels“ – mit Namen | |
| „America“ eben – einrichten und Wunschmusik-Briefe an das geheime Radio | |
| Luxemburg schreiben. Ein Freiheitstraum, der platzt und vom Love-in am | |
| Campingplatz ins Polizei- und KGB-Revier führt (5. 11.). | |
| Der zweite Klassiker ist hierzulande eine Rarität – auch diesen Kultfilm | |
| aus der kleinen Retro-Sektion gibt es bei gratis Eintritt. „Flight over the | |
| Atlantic“ wurde von Raimondas Vabalas im nochsowjetischen Jahr 1983 gedreht | |
| und verlegt das Schicksal seines Landes als Winzling zwischen den | |
| Großmächten in die Jahre 1927–33, als die litauischen Piloten Steponas | |
| Darius und Stasys Girėnas transatlantische Fluggeschichte schrieben. | |
| Im allgemeinen Patriotismus-Tohuwabohu der Zwischenkriegszeit nimmt sich | |
| ihr Heroismus fast nüchtern aus, während die im Stile der ‚real but | |
| socialist eighties‘ inszenierte Entblößung der Königsberger | |
| Bier-Hurra-Marsch-Orgien im schwarz-weiß-roten Fascho-Look einerseits und | |
| des kaugummikauenden US-Chauvinismus andererseits auch auf die große | |
| abwesende Macht (im Osten) verweisen, denn die litauische Heimat, um die es | |
| hier geht, erhebt sich gerade aus den Ruinen des russischen Imperiums … (3. | |
| 11.). | |
| Nicht von nationalpolitischen Wundern sondern von wunderbaren Verlierern | |
| erzählt dagegen der filmische Höhepunkt des Festivals, Arūnas Matelis’ | |
| neuester und von litauischer Seite ins Oscar-Rennen geschickter | |
| Dokumentarfilm „Wonderful Losers“ über den selbstlosen Kampf am Ende des | |
| Pulks: Sie sind die eigentlichen Helden des Radrennprofisports, seine | |
| „Domestiken“ und „Sancho Panzas“. Matelis porträtiert sie während des… | |
| d’Italia, zeigt ihr Fleisch, ihren Schmerz, vor allem aber ihre grenzenlose | |
| Leidenschaft und schafft ein fast metaphysisches Mikrouniversum | |
| menschlicher Existenz, das quer zu Staatsgrenzen liegt (3. + 4. 11.). | |
| Flankiert wird dieses Meisterwerk von zahlreichen Kurzfilmprogrammen (mit | |
| „By the Pool“, „Snake“ u. a.), für die LTKinoGoesBerlin mittlerweile | |
| genauso steht wie für die Einführung neuer Soundmacher – diesmal: | |
| Dreampop-Performer Junior A, der am 1. 11 im Acud Club eröffnet. | |
| Litauisches Kino goes Berlin Filmfestival: 1.–5. 11., im Sputnik und Acud, | |
| Programm: [1][www.ltkinogoesberlin.de] | |
| 1 Nov 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://ltkinogoesberlin.de/de/main/ | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Wurm | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |