# taz.de -- Gierige Grimassen | |
> Regisseur Helge Schmidt war in die Recherchen zum Cum-Ex-Skandal | |
> eingeweiht. Die komplexen Finanzverbrechen hat er in einen entlarvenden | |
> Theaterabend übersetzt | |
Bild: Fesselnde Einblicke in eine entfesselte Parallelwelt: Mit wenigen Mitteln… | |
Von Katrin Ullmann | |
Vielleicht ist es die Geschichte einer Verführung, als hätte „Benjamin | |
Frey“ – so heißt der erste Kronzeuge bei den Cum-Ex-Prozessen nicht | |
wirklich, aber in allen Medienberichten – einen Pakt mit dem Teufel | |
geschlossen. Vielleicht hatte er sich zum falschen Zeitpunkt dem falschen | |
Menschen zugewandt und sich verführen lassen. Dann wäre seine Geschichte | |
Teil des Literaturkanons, wäre nämlich im Grunde die von Faust und | |
Mephisto. | |
Doch die Geschichte von Benjamin Frey ist Realität und Teil des größten und | |
skrupellosesten Steuerraubs in Europa, verursacht durch Cum-Ex- und | |
Cum-Cum-Geschäfte. Erst vergangene Woche hat das Recherchezentrum Correctiv | |
diesen Diebstahl öffentlich gemacht. Jahrelang hatten 40 Journalist*innen | |
von 19 Medien recherchiert. | |
Regisseur Helge Schmidt, der die Geschichte um die „Cum-Ex Papers“ nun im | |
Lichthof-Theater auf die Bühne gebracht hat, war in die Recherchen | |
eingeweiht, erhielt exklusiven Zugang zu den Aussagen des Whistleblowers. | |
Entsprechend wurde seine ursprünglich zur Spielzeiteröffnung geplante | |
Premiere auf Ende Oktober verschoben. | |
Schmidt will mit seinen Arbeiten gesellschaftlich Stellung beziehen und | |
erzählt nun also in Hamburg von der Unmoral des Kronzeugen; den roten Faden | |
der Geschichte bildet das achtstündige Interview, das die Journalisten | |
Oliver Schröm und Christian Salewski mit dem Finanz-Insider fürs Fernsehen | |
geführt haben. | |
Es ist die Geschichte eines ehrgeizigen Jungen vom Land, der weder Bauer | |
werden wollte noch arbeitslos. Sondern Jura studierte, ein exzellentes | |
Examen ablegte, anschließend durch Testosteron getränkte Kanzlei-Empfänge | |
schwebte, eine Turbokarriere hinlegte und schließlich dem Finanzberater | |
Hanno Berger begegnete. Mit ihm – Mentor, Verführer, Mephisto – arrangierte | |
er jahrelang Cum-Ex-Geschäfte im ganz großen Stil. | |
In Schmidts Inszenierung spielt Jonas Anders zunächst jenen Kronzeugen. Mit | |
ausufernden Gesten, freudiger Erregung und ordentlichem Pennäler-Scheitel | |
erzählt er von dem unglaublichen Aufstieg in die schwindelerregenden | |
Hochhäuser der Finanzwelt. Im Lauf des Abends übernehmen Günter Schaupp und | |
auch mal Ruth Marie Kröger dessen Partien, der Rollenwechsel funktioniert | |
ganz und gar reibungslos. Schließlich ist das „Phänomen Frey“ kein | |
Einzelfall. | |
Die dunkelblauen Anzüge der drei Schauspieler sitzen perfekt, das | |
Gewinnerlachen gefriert ihnen nur hin und wieder zur entstellten Grimasse, | |
die Gier jedoch blitzt auf, trotz dieser „Teflon-Identität“, an der sonst | |
alles abperlt. Es sind fantastische Darsteller, mit denen Schmidt diesen | |
Abend gestaltet. | |
Sie spielen die eiskalten Porsche-Banker genauso überzeugend wie drei sich | |
diebisch freuende Panzerknacker mit Strumpfmasken. Sie zitieren und | |
persiflieren „Den Paten“, ziehen den Zuschauern wortwörtlich das Geld aus | |
der Tasche, schwimmen in Unmengen von Glitzerflitter, gefallen sich in | |
Gewinnerposen und fallen auch mal animalisch übereinander her. Und, beinah | |
wie nebenbei, erklären sie natürlich auch, wie diese Cum-Ex-Deals überhaupt | |
funktionieren. „6 Wochen Proben, davon vier nur für diese zwei Minuten“, | |
kommentiert Ruth Marie Kröger die Szene. | |
Mit wenigen Mitteln – einem Jalousien-Rund als Bühne, Videoeinspielungen, | |
Nachrichtenschnipseln, einem Sparschwein und einer Windmaschine – gelingt | |
es dem Team, diese komplexen, kriminellen Finanzgeschäfte als Theaterstoff | |
zu erzählen – seriös, skandalös, performativ, zynisch, unterhaltsam und | |
entlarvend. | |
Kein Wirtschaftskrimi also ist dieser Theaterabend, er erzählt auch nicht | |
die Geschichte eines vom Teufel verführten Heinrich Faust. Sondern gibt | |
authentische Einblicke in eine entfesselte Parallelgesellschaft – | |
schrecklich tagesaktuell. Es ist ein Abend irgendwo zwischen Dokumentation | |
und Fiktion, Hard Facts und Unterhaltung – fast zu schön, ästhetisch fast | |
zu gelungen für diese von Geld und Gier getriebenen Verbrechen. | |
Sa, 27. 10., 20.15 Uhr + So, 28. 10., 18.30 Uhr, Lichthof-Theater. Weitere | |
Aufführungen: 15. bis 18. 11. | |
27 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Ullmann | |
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