# taz.de -- Wat willste hier? | |
> Unser Autor ist in die Prignitz gezogen – aus Schwaben. Seither versucht | |
> er ein guter Brandenburger zu sein. Es läuft gut, er mag die Menschen, | |
> und die Menschen mögen ihn. Eine Frage aber bleibt: Was soll er hier | |
> essen? | |
Von Philipp Maußhardt (Text) und Karoline Löffler (Illustration) | |
Klagen über hohe Miet- und Immobilienpreise in den deutschen | |
Ballungszentren nehme ich mit distanziertem Interesse zur Kenntnis. Weder | |
besitze ich ein Haus in Stuttgart oder Berlin, noch muss ich für eine | |
Wohnung in München Miete bezahlen. Ich wohne seit einem Jahr in | |
Brandenburg. | |
Brandenburg kann man sich als Schwabe noch leisten. Ich nenne jetzt keinen | |
Preis. Aber für das Haus mit acht Zimmern und einem Garten, etwa so groß | |
wie ein halber Fußballplatz, haben meine Frau und ich weniger Geld bezahlt | |
als für einen Carport in Böblingen. Seit einem Jahr sind wir nun | |
Hausbesitzer in einem kleinen Dorf in der Prignitz, der nordwestlichste | |
Zipfel Brandenburgs ist das. Bei einem Ausflug von Berlin aus waren wir | |
zufällig auf das leer stehende Haus gestoßen, das uns gefiel, weil | |
gegenüber in der alten Schloßscheune eine öffentliche Bücherstube | |
eingerichtet war. Ein Dorf, in dem man noch liest. Hier wollten wir leben. | |
Seither versuche ich als Schwabe ein guter Brandenburger zu werden. Was | |
auch zunehmend gelingt. Ich fahre mit dem Rad durchs Dorf, und falls ich | |
jemanden sehe, winke ich freundlich. Oft passiert das nicht, denn die | |
Prignitz ist der bevölkerungsärmste Landkreis Deutschlands. Auf einem | |
Quadratkilometer wohnen 36 Menschen. Mit uns sind es jetzt 38. | |
Manchmal besucht uns ein Nachbar. Zum Beispiel der Herr Klan. Der stand | |
eines Tages unangemeldet im Garten. „Heiße Klan, wie Ku-Klux-Klan.“ So hat | |
er sich vorgestellt. Ein sehr netter Mann. Groß und stark. Rinderzüchter, | |
aber keiner von diesen Tierquälern wie drüben im Westen. Seine Tiere leben | |
im Freien, so wie es sein soll. Es gibt ja genügend Platz. | |
Wenn Klan mich sieht, schüttelt er den Kopf und fragt: „Wat willste hier?“ | |
Ja, wat will ich hier? In Ruhe leben. Es gibt hier, rein statistisch | |
gesehen, auch viel weniger Idioten pro Quadratkilometer als anderswo. | |
Wunderbare Menschen, wunderbare Landschaft. Nur, was ich nicht bedacht | |
hatte, war die Sache mit dem Essen. Dass es da ein Problem geben könnte, | |
bemerkte ich erst, als ich nach einer Einkaufsmöglichkeit suchte für gute | |
Lebensmittel. Es gibt im benachbarten Städtchen zwei Geschäfte. Eines heißt | |
Norma, das andere Netto. Kein Bioladen, kein Wochenmarkt weit und breit, | |
immerhin ein Metzger, dessen Theke so schmal ist, dass man den Kopf nicht | |
drehen muss, um alles zu überschauen. | |
Essen gehen ist nicht wirklich eine Alternative. Es gibt heute keine | |
Ausgehkultur mehr in dieser Gegend, und in den wenigen noch aus der | |
DDR-Vergangenheit übrig gebliebenen „Speisegaststätten“ kann man wählen | |
zwischen kaltem Sauerfleisch mit Bratkartoffeln und Matjesfilet mit | |
Bratkartoffeln. Davon dann aber ein anderes Mal mehr. | |
Aufgewachsen in Süddeutschland, kulinarisch zwischen Elsass und der Toskana | |
gelegen, war ich also angekommen zwischen Norma und Netto. Prost Mahlzeit. | |
Es dauerte ein paar Monate, bis ich herausfand, dass nicht alles so ist, | |
wie es scheint. Dass es da Dinge gibt, die man als Zugezogener gar nicht | |
auf den ersten Blick erkennen kann. Eine Schattenwirtschaft, die bestens | |
funktioniert, als habe die DDR nie aufgehört zu existieren. Sie arbeitet | |
nach dem bewährten Prinzip „Gibst du mir, geb ich dir“. | |
Es fing damit an, dass die alte Frau Heck von gegenüber eines Tages vor der | |
Haustür stand. In der Hand hatte sie ein Plastiktüte mit selbst eingelegten | |
Gurken. „Weil Sie immer so nett grüßen“, sagte sie, und seither sind wir | |
beim Du. Tage später brachte die andere Nachbarin Tomaten aus ihrem Garten, | |
und ich gab ihr eine Flasche selbst gepressten Apfelsaft. „Kannst immer | |
klingeln“, sagte sie, „wenn de wat brauchst.“ | |
Bei Norma hole ich inzwischen fast nur noch Salz und Spüli, alles andere | |
wird unter der Hand gehandelt oder besser: getauscht. Wobei Freundlichkeit | |
und Bescheidenheit im Auftritt von zugezogenen Wessis als eine Art Währung | |
gilt. Ein junger Mann, dem ich meinen Anhänger lieh, versorgt mich seither | |
mit selbst gezogenem Gemüse aus seinem Schrebergarten, und Eier von frei | |
laufenden Hühnern bekomme ich von einer Dorfbewohnerin, der ich im Gegenzug | |
mein Apfel-Holunder-Gelee bringe. Will ich Rehragout oder | |
Wildschweingulasch machen, kenne ich inzwischen einen Jäger. Beste | |
Williams-Birnen finde ich an einer Obstbaumallee, die der Allgemeinheit | |
gehört. Ich habe daraus ein Birnen-Chutney gemacht. | |
Ich könnte weitere Beispiele aufzählen, muss hier allerdings abrupt | |
abbrechen. Denn vor ein paar Tagen habe ich einen Fischer kennengelernt, | |
der mir einen Elb-Saibling geben will. Aber nur, wenn ich vor 17 Uhr bei | |
ihm bin. Zum Glück habe ich noch etwas von meinem selbst gebranntem Schnaps | |
als Gegengabe. | |
Ein Schwabe in der PrignitzKulinarisch wurde unser Autor in Frankreich und | |
Süddeutschland sozialisiert. An dieser Stelle wird er alle vier Wochen | |
berichten, wie er sich die schlichte Lebensmittelrealität Brandenburgs | |
erschließt. | |
20 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Philipp Mausshardt | |
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