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# taz.de -- Manche Schattenzonen werden nie ausgeleuchtet
> Olivier Guez beschreibt die Flucht von Josef Mengele
Bild: Makaber: KZ-Arzt Josef Mengele in Zivilkleidung, 1979 in São Paulo
Von Klaus Bittermann
Das Leben des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele ist ausgiebig erforscht,
nun ist auch noch dieser Roman über ihn aus dem Französischen übersetzt
worden. Der Autor Olivier Guez ist Journalist und hat das Drehbuch für den
Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“ geschrieben. Über Mengele hat er die
einschlägige Literatur zu Rate gezogen, er ist zudem nach Argentinien und
Brasilien geflogen, zu den Orten, an denen Mengele sich versteckt hat.
Ihm ist ein grandioses Buch gelungen, weil er es versteht, ohne jegliche
moralische Bewertung auszukommen. Guez berichtet sachlich und genau, und
nur manchmal rutscht ihm ein Adjektiv durch, auf das man hätte verzichten
können. Guez’ Buch beginnt mit der Ankunft Mengeles in Buenos Aires. Es
schildert den politischen Hintergrund, der eine solche Flucht möglich
machte, die Verhältnisse in Argentinien unter Péron, der die Nazis wegen
ihrer Kriegsleistungen bewunderte. Es beschreibt das weithin bekannte
Hintertreiben einer juristischen Aufarbeitung durch die von Nazis
durchsetzte Bundesregierung in der Nachkriegszeit, die Nazi-Seilschaften,
die sich um ihre „Kameraden“ kümmerten und die Familie Mengele warnten,
wenn eine Hausdurchsuchung angeordnet wurde, was einem angesichts der NSU
und der Vorfälle in Chemnitz ein Déjà-vu beschert.
Guez gelingt es, mit einfachen erzählerischen Mitteln das Milieu im Exil zu
beschreiben, in dem die Nazis auf groteske Weise ihre Weltanschauung
pflegten. Das ist gut gemacht. Nur Éric Vuillard ist in seinem Werk „Die
Tagesordnung“ psychologisch vielleicht noch präziser.
Aufgrund der Tagebücher Mengeles lässt sich zwar vieles rekonstruieren,
aber Mengele mied aus naheliegenden Gründen die Öffentlichkeit, vor allem,
als durch Zeugenaussagen immer mehr über seine Rolle im KZ ans Tageslicht
kam, im Frankfurter Auschwitz-Prozess häufig sein Name fiel und der
israelische Geheimdienst nach der Entführung Eichmanns ihn fast erwischt
hätte. Sobald das Interesse der Öffentlichkeit sich auf ihn fokussierte,
musste Mengele wie eine Kakerlake schnell in Ritzen verschwinden.
Vielleicht untersuchte und bewunderte er deshalb die robuste
lateinamerikanische Kakerlake, lockte sie mit Zucker auf dem
Badezimmerboden an, „um das weiße Blut zu beobachten, das aus ihrem
verletzten Brustkorb tropft“.
Am Ende lässt Guez Mengele beim Baden an der brasilianischen Küste
ertrinken. Aber das ist Fiktion und letztlich auch unwichtig. Guez
schreibt, dass „manche Schattenzonen vermutlich nie ganz ausgeleuchtet
werden“ und dass es nur in der „Form eines Romans“ gelingt, „dem makabr…
Leben“ des Nazi-Arztes möglichst nahe zu kommen. Aber darin besteht auch
gleichzeitig die Schwäche des Buches, denn auch wenn sich die
dokumentierten und die fiktiven Stellen des Buches in der Regel
auseinanderhalten lassen, so gibt es nicht wenige Stellen, wo man gerne
gewusst hätte, ob das nun ausgedacht oder tatsächlich passiert ist.
Und dann stellt sich die Frage: Warum eigentlich will Guez dem Leben
Mengeles möglichst nahe kommen? Will man wirklich wissen, welche Qualen
Mengele erleiden musste, welche Ängste und Träume ihn plagten und dass ihm
eine „Vertreterin einer minderwertigen Rasse“ einen geblasen hat? Ein Stück
weit ist Guez vielleicht der Versuchung erlegen, das Leben Mengeles als ein
ganz und gar erbärmliches zu beschreiben, um den Gerüchten ein Ende zu
bereiten, die Mengele umschwärmten wie Motten das Licht, weil er nicht
auffindbar war und doch überall gesehen wurde.
Dennoch ein Buch von großer Wichtigkeit, denn die Leute, die nichts dabei
finden würden, einem Mann wie Mengele wieder zu helfen oder den Mantel des
Schweigens über seine grauenhaften Taten zu legen, gibt es auch heute noch.
Und sie werden mehr.
9 Oct 2018
## AUTOREN
Klaus Bittermann
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