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# taz.de -- HPV und Impfung: Untenrum angesteckt
> Fast jede*r steckt sich mindestens einmal im Leben mit einem der
> zahlreichen Typen des HP-Virus an. Manchmal werden sie zu Krebs.
Bild: Humane Papillomviren können verschiedene Formen von Krebs verursachen, h…
Sabine und ich saßen in Kreuzberg auf einer Bierbank. Wir waren beim Thema
sexuell übertragbare Erkrankungen und kamen auf HPV, die „Humanen
Papillomviren“. Ich wusste, dass Sabine Krebs gehabt hatte, aber nicht,
dass der Auslöser dafür ein HP-Virus war. 2014 hatte sie eine
Krebsvorsorgeuntersuchung beim Gynäkologen machen lassen, bei dem nichts
weiter festgestellt worden sei. Ein paar Monate später aber wurde bei ihr
ein vier Zentimeter großes Gebärmutterhalskrebs-Karzinom festgestellt.
Sabine gibt den Ärzten die Schuld. Bei der Untersuchung, dem sogenannten
Pap-Test, müsse ein Fehler gemacht worden sein.
Die meisten sexuell aktiven Menschen infizieren sich mindestens einmal im
Leben mit einem HP-Virus. Dieser hat verschiedene Typen. Die genital
übertragbaren Typen verbreiten sich durch Schmierinfektion, über
Geschlechts-, Oral- und Analverkehr. Kondome schützen [1][nach einer häufig
zitierten Studie] etwa zu 50 Prozent. Eine Übertragung auf anderen Wegen
wie beispielsweise die gemeinsame Nutzung von Zahnbürsten, Trinkgläsern,
Handtüchern und Badewasser oder die Übertragung bei der Geburt sind selten.
Nach meinem Gespräch mit Sabine beschloss ich, mich auf HPV testen zu
lassen. Die Vertretung meiner Hausärztin guckte mich verständnislos an:
„Das testet man eigentlich nur bei Frauen. Die können davon Krebs
bekommen.“ Wie jetzt?, dachte ich, Kondome helfen nicht wirklich und ich
kann nicht mal herausfinden, ob ich einen HP-Virus habe, um eine Ansteckung
zu vermeiden? So aus Verantwortung?
Ein deutliches Ohnmachtsgefühl machte sich bemerkbar. Ist es in Ordnung,
wenn Männer wild in der Gegend herumvögeln und Frauen mit Krebs anstecken?
Ich bekam keine akzeptable Information auf meine Fragen. Ich begann Leute
anzurufen; Gynäkologen, Urologen und Institute.
## Vergessen? Männer die Sex mit Männern haben
Die 30 genital übertragbaren Typen von HPV werden in verschiedene
Risikostufen unterteilt. In der Mehrheit bekämpft das Immunsystem einen
HP-Virus nach ein bis zwei Jahren erfolgreich und schützt sich gegen eine
erneute Infektion. Laut dem [2][Epidemologischen Bulletin des
Robert-Koch-Institutes] bleiben die HP-Viren nur in zehn Prozent der Fälle
länger – manchmal Jahrzehnte – im Körper. Dann kann es zu Zellveränderun…
und mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu Krebs kommen, was durch ein
schwaches Immunsystem und dafür verantwortliche Faktoren, außerdem durch
Rauchen und Alkoholgenuss begünstigt wird. Bei den Niedrigrisikotypen des
HPV entstehen hochansteckende Feig- und Genitalwarzen, die unbehandelt zu
weiteren Komplikationen führen können.
Der HPV-Typ 16 ist für fast sämtliche Fälle von Gebärmutterhalskrebs
verantwortlich, an dem in Deutschland jährlich etwa 4.600 Frauen erkranken
und 1.600 sterben. Es gibt aber auch einige andere Krebsarten, mit denen
HPV zumindest anteilig in Verbindung gebracht werden kann und die nicht nur
bei Frauen auftreten.
Bei Männern wird HPV als Auslöser für mindestens 600 Anal-, 250 Penis- und
750 Mund- oder Rachenkarzinome pro Jahr angegeben. Einer der wenigen
bekannten Fälle ist der Kehlkopfkrebs des Schauspielers [3][Michael
Douglas, über den er 2013 öffentlich sagte], dass er ihn sich beim
Cunnilingus eingefangen hätte.
Die verschiedenen durch HP-Viren bedingten Erkrankungen, Todesfälle,
Untersuchungen und operativen Eingriffe mitsamt ihrer Folgen machen
deutlich, wie wichtig die Impfung gegen HPV ist. Bereits 2007 hat die am
Robert-Koch-Institut ansässige [4][Ständige Impfkommission (STIKO) die
Impfung von Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren empfohlen]. Sie sollte vor
dem ersten Sexualverkehr vorgenommen werden, kann aber auch danach noch
schützen.
## Gleichbehandlung der Geschlechter
Damals lag das Hauptaugenmerk der STIKO auf dem Gebärmutterhalskrebs. Es
gab Kritik. Eine Impfung nur für Mädchen wirkt dem verantwortungsvollen
Umgang von Männern mit ihrer Sexualität entgegen. Für sie hoffte man auf
einen Schutz durch die sogenannte Herdenimmunität, also eine Immunität, die
durch ihre weite Verbreitung auch nicht-immune Individuen schützt. Dieser
Effekt trat jedoch nicht ein: Im Jahr 2014 waren lediglich 42,5% der
17-jährigen Mädchen vollständig gegen HPV geimpft. Männer, die Sex mit
Männern haben, hatten überhaupt keine Chance auf indirekten Schutz.
Es gab aber auch [5][Kritik im Zusammenhang mit Zahlungen], die Mitglieder
von Impfherstellern erhalten haben sollen. In der Folge wurden [6][die
Regularien der STIKO] verschärft. Experten müssen eine [7][Selbstauskunft
über mögliche Interessenkonflikte vorlegen]. Weil es im Gesundheitswesen
auch um viel Geld geht, ist es wichtig, sehr wachsam zu sein, wenn es um
die [8][Unabhängigkeit von Instituten] geht. Außerdem wurde der
Frauenanteil innerhalb der STIKO von 4 von 17 Mitgliedern auf 8 von 18
Mitgliedern erhöht.
Im Juni 2018 hat die STIKO eine [9][Impfempfehlung für Jungen] im Alter
zwischen 9 und 14 herausgegeben und begründet die unter anderem mit der
„Gleichbehandlung der Geschlechter“. Die Datenlage ist inzwischen sehr gut,
da Jungen z. B. in den USA und Kanada schon seit [10][2011] bzw. [11][2013]
geimpft werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste
Beschlussgremium der Ärzte und Krankenkassen, hat nun festgelegt, dass die
Impfkosten von 9-14-jährigen Jungen übernommen werden müssen. Die beste
Gelegenheit für eine Impfung bei Jugendlichen beiderlei Geschlechts ist es,
sie im Rahmen der Standarduntersuchungen U11 (9-10 Jahre) und J1 (12-14
Jahre) zu erledigen.
Einige Kassen wie die TKK übernehmen zudem freiwillig auch weitere
Impfkosten, etwa für 18 bis 26-jährige Frauen. Passenderweise ist mit
Gardasil 9 gerade ein neuer Impfstoff zugelassen worden, der gegen 9 satt
bisher nur gegen 4 der wichtigsten HPV-Typen wirksam ist.
## Abwehrkräfte sind nicht alles
Meine Freundin Sabine ist heute 42 und lebt ohne Gebärmutter. Die
Operationen haben Folgeschäden verursacht: regelmäßige Schwellungen dort,
wo früher ihre Lymphknoten waren. Ein Nerv wurde verletzt, weshalb sie erst
wieder gehen lernen musste und immer noch manchmal humpelt. Die Narben im
Bauch bereiten ihr Schmerzen und sie hat häufig Harnwegsinfekte. Trotzdem
sagt sie, dass sie sich auch jetzt nicht impfen lassen und ihrer Tochter
davon abraten würde. Sie glaubt, dass eine natürliche Medizin, das Stärken
von Abwehrkräften und weniger Pfuscherei der Ärzte beim Pap-Abstrich helfen
würden.
Wo Sabine Recht hat: Natürlich mindert ein gesunder Körper das Risiko. Er
schließt es aber nicht aus. Hinzu kommt, dass die Pap-Abstriche nicht
absolut zuverlässig sind. Für unklare oder falsche Ergebnisse müssen Ärzte
nicht pfuschen. Deswegen wird er ja auch in kurzen Abständen durchgeführt.
Derzeit hilft hier nur, auf einem HPV-Test zu bestehen, auch wenn der
kostenpflichtig ist, und bei einem positiven Ergebnis eine weitere
Untersuchung einzufordern.
Es geht bei einer Impfung auch nicht nur um die Geimpften selbst. Wer nicht
angesteckt werden kann, kann auch niemand anderen anstecken. Auch
niemanden, um dessen Abwehrkräfte es nicht so gut bestellt ist. Nur wer
gesund ist, sollte sich impfen lassen, denn Impfungen machen kurz ein wenig
krank, damit der Körper seinen natürlichen Immunschutz herstellen kann.
Es ist gut, Gesundheitssystem, Schulmedizin und Impfpraxis kritisch in
Frage zu stellen. Gefährlich wird es aber, wenn wichtige Impfungen und
Behandlungen aufgrund von Gerüchten und gefühltem Misstrauen ausgelassen
werden. Dazu führen auch von Impfgegnern gern zitierte, Jahre
zurückliegende Todesfälle, bei denen ein [12][Zusammenhang zur HPV-Impfung
nicht hergestellt], oder sogar [13][widerlegt werden] konnte.
## Die Impfpraxis und der Kostenfaktor
Nur in einzelnen Fällen ist es nach der Impfung zur
Guillain-Barré-Nervenerkrankung (GBS) gekommen. Dafür finden sich laut
Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut, bei dem [14][Impfkomplikationen
gemeldet werden können] „meist andere plausible Ursachen. So lässt sich bei
zwei Drittel der Patienten mit GBS eine vorausgegangene virale oder
bakterielle Infektion nachweisen.“ Dr. Thomas Harder vom
Robert-Koch-Institut sagt dazu: „Weltweit wurden 270 Millionen
HPV-Impfdosen verabreicht – wenn überhaupt, gab es nur wenige Einzelfälle
schwerer negativer Auswirkungen, die mit der Impfung in Verbindung gebracht
werden konnten.“
Frauen können zur Krebsvorsorge bisher regelmäßig jährlich oder
halbjährlich den Pap-Test vornehmen lassen. Im Verdachtsfall wird dann
kostenfrei auf HPV getestet. Voraussichtlich ab 2019 [15][soll die
Zuverlässigkeit der Tests für Frauen über 35 durch die obligatorische
Kombination mit dem HPV-Test erhöht werden]. Wer sich außer der Reihe
selbst testen lassen möchte, muss die etwa 50 Euro Kosten selbst
übernehmen. Auch Männer müssen selbst zahlen, wenn sie den Test bei der
Urologin vornehmen lassen.
Ich war inzwischen dort und habe mich testen lassen, das Ergebnis steht
noch aus. Ulrich Johann, der wie die meisten Urologen schon länger für eine
Impfung für Jungen plädiert, sagt dazu: „Meistens kommen die Männer, wenn
bei der Frau schon ein Pap-Abstrich vorliegt. Dann wird der Mann geschickt,
um eine Diagnostik zu machen. Die meisten sind aber dagegen, weil eine
Therapie fehlt.“
Es ist richtig, dass man gegen eine bestehende HPV-Infektion nichts tun
kann. Aber alle Geschlechtspartner können sich durch die Impfung schützen.
Wenn jemand, der mit HPV infiziert ist oder war, geimpft wird, ist die
Schutzfunktion zwar nicht mehr so effektiv, sie wirkt aber gegen die
HPV-Typen, mit denen man noch nicht infiziert war. Wer zu alt für die
kostenfreie Impfung ist, muss auch diese Kosten selbst tragen: „Der
Impfstoff kostet drei Mal 162 Euro, jede Impfung 11 bis 22 Euro, eine
ärztliche Beratung 11–41 Euro“, erläutert Johann.
Dass die Impfquoten in anderen Ländern höher liegen als in Deutschland, ist
unter anderem auch ein Versäumnis der Politik. So hat, laut [16][einem
Interview des HPV-Experten Andreas Kaufmann mit der taz], „der britische
Staat zum Beispiel mit der Industrie über niedrigere Preise für Impfdosen
verhandelt. Deutschland nicht.“
Vollkommen unklar ist, warum die Kassen bei Impfungen für Menschen, die
nicht in die STIKO-Empfehlung fallen, nicht generell einen höheren Anteil
übernehmen und warum manche Ärzte behaupten, die Impfung mache, einmal mit
HPV infiziert, keinen Sinn. Alle befragten Experten, die
[17][Zulassungsstellen in den USA] und [18][das FAQ des
Robert-Koch-Institutes] sind sich einig darin, dass sie auch dann und auch
in höherem Alter Sinn ergibt. Es ist erleichternd, dass es eine Möglichkeit
gibt, sich und andere zu schützen. Ich würde mich gern impfen lassen. Aber
die etwa 500 Euro dafür kann ich, wie viele andere auch, nicht einfach so
zahlen.
Bleibt zu hoffen, daß eine flächendeckende Aufklärung erfolgt und es für
Männer und [19][Jungen] Normalität wird, den Urologen aufzusuchen. Auch die
regionalen Zentren für Sexuelle Gesundheit der Gesundheitsämter bieten,
sogar für nicht Krankenversicherte, Beratungen und teilweise Behandlungen
für sexuell übertragbare Infektionen an.
7 Oct 2018
## LINKS
[1] https://journals.lww.com/stdjournal/pages/articleviewer.aspx?year=2002&…
[2] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/26_18.pd…
[3] https://www.theguardian.com/film/2013/jun/02/michael-douglas-liberace-cance…
[4] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2007/Ausgabenlinks/12_…
[5] https://www.impf-info.de/die-impfentscheidung/die-impfempfehlungen/200-tran…
[6] https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Aufgaben_Methoden/methoden…
[7] https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Mitgliedschaft/Interessens…
[8] https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/qualitaet-in-der-wissenschaft-zoff-u…
[9] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2018/Ausgaben/26_18.pd…
[10] https://en.wikipedia.org/wiki/HPV_vaccine
[11] https://www.cancer.org.au/news/news-articles/boys-join-national-hpv-vaccin…
[12] https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit-vigilanz/archiv-sicherheitsin…
[13] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/38347/HPV-Impfung-nicht-Ursache-fue…
[14] https://www.pei.de/DE/infos/fachkreise/meldeformulare-fach/meldeformulare-…
[15] https://www.g-ba.de/institution/presse/pressemitteilungen/742/
[16] /!5538759
[17] https://www.nytimes.com/2018/10/05/health/hpv-virus-vaccine-cancer.html?sm…
[18] https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/HPV/FAQ-Liste_HPV_Impfen.html
[19] https://www.jungensprechstunde.de/
## AUTOREN
Ulf Schleth
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