# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Svenja Bednarczyk: Wo die Gäste noch kl… | |
Es ist Samstagmorgen 7.30 Uhr, als uns der Türsteher die obligatorische | |
Frage stellt: „Seid ihr fit?“ Mein Freund Ringo und ich nicken. | |
Misstrauisch mustert uns die zweite Türsteherin: „Ja, die sind total | |
frisch!“ Ich habe das Gefühl uns erklären zu müssen: „Ähm, ja, wir sind | |
gerade erst aufgestanden.“ | |
Dass man auch tagsüber zu Techno tanzt, ist in Berlin nicht so | |
ungewöhnlich. Open-Air-Partys im Sommer finden meistens bei Tageslicht | |
statt, andere Clubs haben einfach das ganze Wochenende geöffnet. Da tanzt | |
dann immer irgendwer. Dass man sich wie wir aber schon um 6.30 Uhr zum | |
Frühstück trifft, weil die Party nur bis mittags läuft, ist seltener. Ich | |
nenne diese Art von Ausgehen: Managerfeiern. Die sollen angeblich ja auch | |
täglich vor 5 Uhr aufstehen, frühstücken, Sport machen (Tanzen ist auch | |
Sport). Man hat den anderen etwas voraus. | |
Im Club sind die Tanzflächen noch gut gefüllt mit dem typischen | |
Nachtpublikum. Das ist eher jung, eher touristisch, eher besoffen und wohl | |
eher Nichtraucher. Denn sie rauchen zu wenig, als dass der Zigarettenrauch | |
den Schweißgeruch überdecken könnte. Obwohl die Musik schön tanzbar ist, | |
treten alle nur verbraucht auf der Stelle. Auch Ringo fällt das Bewegen | |
schwer, „mein ganzer Körper ist noch steif“, klagt er. Ringo ist ein Fan | |
vom Ausgehen tagsüber, schläft aber lieber aus. Mit dem Tanzen beginnt er | |
sonst nicht vor 15 Uhr. „Kontraintuitiv“ ist das Wort, das er an diesem | |
Vormittag am liebsten benutzt. | |
## Mystik oder Übermüdung? | |
Freundin May kommt eine Stunde später rein. Morgens nach dem Aufstehen | |
tanzen zu gehen, sagt sie, hat etwas Zeit-Entziehendes, weil es eine | |
Uhrzeit ist, zu der sonst niemand etwas macht. „Auf dem Weg hierher“, sagt | |
May, „habe ich aus dem Club nebenan die Leute nach Hause gehen sehen und | |
gedacht: Ihr Loser, ihr habt den ganzen Tag verloren.“ | |
Aus einer linken Perspektive könnte man das Managerfeiern als ausgeprägte | |
kapitalistische Selbstausbeutung bezeichnen. Wenn selbst das Feiern, wo | |
sonst Exzess und Hedonismus herrschen, arbeitskompatibel sein muss, weil | |
man so den Rest der Woche besser auf der Arbeit funktioniert. Man könnte | |
aber auch sagen, tagsüber tanzen zu gehen, ist die natürlichste | |
Ausgehweise. Warum seinen Schlafrhythmus zerstören? Warum sich nachts zum | |
Wachbleiben zwingen? Warum das Mystische der Nacht beschwören, wenn das | |
Mystische in Wirklichkeit nur Übermüdung ist? | |
Im Club ist es dunkel, egal zu welcher Uhrzeit. Trotzdem wird es ab 9 Uhr | |
leerer. Die Touristen sind weg, die Atmosphäre nun fast familiär. Der DJ | |
lässt die Platte laufen und hoppst auf der Tanzfläche mit. | |
Es braucht nicht viel, um in die Clubfamilie aufgenommen zu werden. Simpler | |
entstehen Freundschaften in keinem Sandkasten: Hier die Frage nach einem | |
Kaugummi, ein Kompliment für die Glitzerjacke, oder einfach nur ein | |
Lächeln, und schon ist man irgendwie befreundet – zumindest diese eine | |
Party lang. Nur sind die Anwesenden noch klebriger als Kinder im | |
Sandkasten. Und riechen vom Alkohol und Hunger sauer aus dem Mund. Die | |
neuen Freunde, deren Namen ich sofort wieder vergessen habe, wollen ihre | |
Getränke und ihren Labello teilen, aber ich lehne dankend ab. | |
Es ist Samstagmittag, 14.15 Uhr, die Party ist vorbei und Ringo, May und | |
ich setzten uns mit Kaffee und Kuchen an die Spree. Wir brainstormen, was | |
wir jetzt noch alles machen können. Freunde besuchen? Arbeiten? An den See | |
fahren? Einkaufen? „Ich brauche eine neue Jacke“, sagt Freund Ringo. „Nee, | |
ich habe keine Lust jetzt durch die Geschäfte zu laufen, ich will den Tag | |
nutzen“, antworte ich. Also verabschieden wir uns, ich fahre schnell mal | |
eben nach Hause – und schlafe sofort auf dem Sofa ein. | |
2 Oct 2018 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bednarczyk | |
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