# taz.de -- Das Gesicht von Brad Pitt | |
> Karikaturen werden in der Türkei von einem Massenpublikum konsumiert. | |
> Eine Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien widmet sich nun vielen | |
> Facetten der gezeichneten türkischen Satire | |
Bild: Hayati Boyacıoğlu widmete sich der deutsch-türkischen Affäre | |
Von Hülya Gürler | |
Recep Tayyip Erdoğan sollte es besser wissen. Mit Vorstößen, satirische | |
Darstellungen seiner Person verbieten zu lassen, gibt er Karikaturisten | |
eine Steilvorlage. Einen ganzen Zoo mit erdoğanköpfigen Tieren bildete | |
beispielsweise die türkische Satirezeitschrift Penguen im Jahr 2006 auf | |
ihrer Titelseite ab, nachdem der heute mächtigste Mann der Türkei zuvor | |
juristisch gegen eine andere Tierdarstellung vorgegangen war: Der | |
Cumhuriyet-Karikaturist Musa Kart hatte Erdoğan, der damals noch | |
Ministerpräsident war, als Katze gezeichnet. Er hatte gerade noch Glück: | |
Anders als im April dieses Jahres kam Kart 2005 ungestraft davon. | |
Karikatur lebt zwar vom Widerspruch gegen herrschende Verhältnisse, sie ist | |
aber in der Türkei wie anderswo auch zu vielschichtig, um nur auf Kritik an | |
Erdoğan und an der politischen Situation im Land reduziert zu werden. Die | |
Ausstellung „Wir verrecken vor Lachen – 50 Jahre Karikatürkei“ zeigt im | |
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien derzeit Karikaturen, die seit 1972 entstanden | |
sind. Damals erschien zum ersten Mal eine massentaugliche Satirezeitschrift | |
in der Türkei: Gırgır. | |
Kurator Tunçay Kulaoğlu ist mit Gırgır groß geworden. „Zu Hochzeiten hat… | |
sie eine wöchentliche Auflage von über einer halben Million. Die | |
Karikaturkunst ist natürlich viel älter. Die ersten Zeitschriften sind 1852 | |
im osmanischen Reich gegründet worden“, sagt Kulaoğlu. Bis Anfang der | |
1970er Jahre sprachen diese aber fast nur das Bildungsbürgertum an. „Das | |
änderte sich mit Gırgır. Dessen Gründer Oğuz Aral schulte viele der heute | |
in der Türkei bekanntesten Karikaturisten“, erklärt Kulaoğlu weiter, | |
während er durch die Räume führt. | |
Arals Schüler brachten später ihre eigenen Satirezeitschriften heraus. Ein | |
Stammbaum in der Ausstellung verdeutlicht diese Entwicklung an der Wand, | |
mit Verbindungslinien von Gırgır zu Zeitschriften wie LeMan, Penguen, | |
Uykusuz, Bayan Yanı oder Fermuar, um nur einige zu nennen. | |
Die Karikaturkunst holt sich ihre Inspiration häufig aus Schmuddel- und | |
Tabubereichen. Und so wundert es nicht, wenn sich Karikaturisten beim Thema | |
Sexualität, dem sich der Raum mit dem unmissverständlichen Namen „18+“ | |
widmet, in aller Vielschichtigkeit und ohne Rücksicht auf politische | |
Korrektheit austoben. Führende Satirezeitschriften wie Gırgır und Fırt | |
scheuten sich nicht davor, nackte Frauen auf ihren Titelseiten abzubilden, | |
was aus deutscher Sicht in der Türkei kaum denkbar zu sein scheint. „Frauen | |
waren lange Zeit entweder heilige Mütter oder Prostituierte“, erinnert sich | |
die Mitbegründerin der Frauen-Satire-Zeitschrift Bayan Yanı, die | |
feministische Karikaturistin Ramize Erer. „Zeichnungen mit dem Chef, auf | |
dessen Schoß die Sekretärin saß, waren gang und gäbe.“ | |
Erer ist eine der ersten Schülerinnen von Oğuz Aral. „Aber je mehr wir | |
Frauen in die männerdominierte Sphäre der Karikatur eindrangen, desto | |
größer wurde die Sensibilität unserer männlichen Kollegen für sexistische | |
Inhalte.“ Ihre Comic-Heldin Kötü Kız (Das böse Mädchen) aus der 2016 | |
eingestellten Tageszeitung Radikal transportiert ein selbstbewusstes | |
Frauenbild und lebt ihre Sexualität ungeniert aus. | |
Die Karikaturistinnen haben in der Ausstellung einen eigenen Raum. Er | |
empfängt den Besucher mit einer großen Frauenzeichnung der 1928 geborenen, | |
ersten professionellen Karikaturistin Selma Emiroğlu Aykan. Die | |
Opernsängerin ließ sich in Deutschland nieder und starb 2011 in Tutzing. In | |
einem anderen Raum entsteht eine Art Ahnengalerie der bekanntesten | |
Comic-Helden. | |
Für Schmunzeln sorgt auch deutsch-türkische Satire. Türkische | |
Karikaturisten wie Hayati Boyacıoğlu und Erdoğan Karayel setzten ihre | |
Karriere in Deutschland fort und kommentierten in Zeitschriften wie Gülü | |
Gülü, Hallo und Don Quichotte aus dem Blickwinkel der Arbeitsmigration | |
heraus satirisch den deutsch-türkischen Alltag. Sinan Güngör, dem | |
Chef-Animator der „Sendung mit der Maus“, ist sogar ein eigener Raum | |
gewidmet. Die Gezi-Proteste mit ihrer überbordenden und beispiellosen | |
Kreativität sind Thema eines anderen Raums mit einer Videocollage an der | |
Wand. | |
Die Ausstellung will aber nicht bloß zum Schauen einladen. Ein | |
Begleitprogramm aus Künstlergesprächen, Performances, Stand-ups, Workshops | |
und Vorträgen vertieft sie inhaltlich und soll unterhalten. Direkt nach der | |
Vernissage begann es mit einer Talkrunde. | |
Namhafte Karikaturisten führender türkischer Satirezeitschriften | |
diskutierten unter anderem die Arbeitsbedingen für Karikaturisten in der | |
Türkei. So konnte man erfahren, dass der Rückgang der Auflagen der | |
Zeitschriften bis hin zur Einstellung von einzelnen wie Penguen im | |
vergangenen Jahr weniger auf Zensur als vielmehr auf die Digitalisierung | |
zurückzuführen ist: Die sozialen Medien sorgten zwar für eine noch größere | |
Verbreitung, zugleich aber für Irritationen bei Menschen, die nicht zu den | |
Stammkäufern gehörten. | |
Barış Uygur, Tuncay Akgün, Memo Tembelçizer, Ramize Erer und Selçuk Erdem | |
gaben nicht zuletzt Anekdoten aus der Praxis zum Besten. Durch den | |
informativen und unterhaltsamen Abend führte der Co-Kurator der Ausstellung | |
und Karikaturist Serkan Altuniğne. | |
„Penguen brachte einmal auf der Titelseite eine Zeichnung mit Papst | |
Benedikt XVI. heraus. Die vatikanische Botschaft beschwerte sich daraufhin | |
bei der Redaktion“, erinnert sich Altuniğne. Nicht jeder versteht den Humor | |
in Überzeichnungen. „Die Zeichnung des Papstes sei viel zu hässlich | |
geworden, hieß es aus der Botschaft. Und so verpassten wir dem Papst in der | |
nächsten Ausgabe das Gesicht von Brad Pitt.“ | |
Weil Karikatur erst im Kontext einer Gesellschaft verständlich wird, ist es | |
keine leichte Aufgabe, türkische Karikatur mit ihren eigenen Codes und | |
Deutungsmustern ins Deutsche zu übersetzen. Deshalb kann es sein, dass sich | |
der Witz dem Betrachter nicht immer sofort erschließt. Ohne Führung durch | |
die einzelnen Räume und ohne die Begleitbroschüren ist es dem Besucher | |
teilweise selbst überlassen, sich thematisch zurechtzufinden. | |
Die Ausstellung läuft bis 4. November | |
29 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Hülya Gürler | |
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