| # taz.de -- 40 Jahre taz: Leser*innen-Reaktionen: Allem Anfang wohnt ein Zauber… | |
| > Sie waren Abonnent*innen der ersten Stunde. Ohne sie hätte es die taz nie | |
| > gegeben. Wie sehen sie die Zeitung heute, 40 Jahre später? | |
| Bild: Hurra, hurra, die taz ist da! Ein Foto aus den frühen 80er-Jahren | |
| Michael Cramer, Abgeordneter der Grünen im Europa-Parlament: | |
| Ich erinnere mich noch gut an den Tunix-Kongress von 1977. Ich war damals | |
| Lehrer und in der GEW aktiv. Danach wurde zu Spenden für die erste | |
| Nullnummer der taz aufgerufen, seitdem bin ich Abonnent. Ich hab 170 Mark | |
| gespendet, weil ich mir dachte: Wenn diese Zeitung Realität wird, ist das | |
| die tollste Spende, die ich je gemacht habe. | |
| Natürlich ärgere ich mich auch oft über Artikel. Aber die Überschriften der | |
| taz sind nach wie vor die besten. (…) Die taz hat die Medienlandschaft | |
| verändert, sie für bestimmte Themen geöffnet. | |
| * * * | |
| Matthias Feyerabend: | |
| Die Entwicklung der taz in 40 Jahren ist in etwa ein Spiegelbild meiner | |
| persönlichen Historie. | |
| Vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer, vom schlecht bezahlten 2/3-Lehrer zum | |
| Angestellten und Rentner, ähnlich ist die Professionalisierung der taz | |
| verlaufen. | |
| Nicht alle Träume der Anfangszeit haben sich verwirklicht, einige sind | |
| verloren gegangen im grauen Alltag. Die taz hat es aber geschafft, sich | |
| immer wieder neu zu erfinden, sich anzupassen an neue Gegebenheiten. Die | |
| taz im Internet und als Zeitung auf dem Bildschirm sind die Themen | |
| heutzutage und ich bin auf jeden Fall dabei. | |
| * * * | |
| Karin Bergdoll (Arbeitskreis Frauengesundheit): | |
| Die taz hat mich über all die Jahre mit ihren vielfältigen Veränderungen | |
| begleitet. Sie war und ist meine morgendliche Bettlektüre – zusammen mit | |
| einem Kaffee. Mir gefällt das „sture So-Sein“ in so gefährlichen Zeiten u… | |
| das Mitgefühl für Schwache und Benachteiligte in dieser ungerechten Welt | |
| und natürlich auch die immer wieder aktuellen unverzichtbaren Debatten über | |
| verschiedene Formen des Feminismus. | |
| * * * | |
| Klaus Kolb: | |
| Im Herbst 1978 nahm ich 130,- Mark aus unserer Studenten-WG-Kasse und | |
| überwies das Geld an die „Freunde der alternativen Tageszeitung“ in Berlin. | |
| Ich hatte ein 6-monatiges Vorausabo gezeichnet. | |
| Nach drei nicht besonders gelungenen Nullnummern kam dann irgendwann | |
| wirklich die tägliche taz, und aus dem halben Jahr wurde ein Dauerzustand. | |
| Das taz-Abo zog immer mit, von Wohnung zu Wohnung. Seit 40 Jahren öffnet | |
| sich für mich beim Frühstücken ein Fenster zur Welt. | |
| * * * | |
| Prof. Rita Rosen: | |
| Ich bin Abonnentin der ersten Stunde. Von der taz erwartete ich Fragen und | |
| Antworten auf ökologische, soziale, politische Fragen und Antworten. Sie | |
| erfüllte meine Erwartungen. Immer wieder stelle ich fest, dass die taz | |
| frühzeitiger Themen behandelt als andere Zeitungen. Und immer mit einer | |
| progressiven, provokativen Zielsetzung. Sie regt früh zum Nachdenken an. | |
| (…) | |
| Ja, und dann die „Frauenfrage“. Immer ein Thema in der taz. Immer gibt es | |
| Berichterstattung über Aktionen, national und international, immer | |
| Rezensionen über die neuesten Publikationen, seien es Sachbücher oder | |
| Romane. Für die taz ist und bleibt die Frauenfrage wichtig. Gut so. (…) | |
| Die taz war und bleibt für mich lebens-not-wendig. Zum 40. Geburtstag ein | |
| Haiku: | |
| die vertrackte Weltanklagen mahnen fordern mit Ernst und Spott: taz | |
| * * * | |
| Jürgen Lange: | |
| Seit der Nullnummer bin ich als Abonnent dabei, ebenso als | |
| Genossenschaftsmitglied. Die Zeitung beziehe ich also ununterbrochen seit | |
| 40 Jahren.Die beiden ersten Genossenschaftsanteile habe ich inzwischen an | |
| die nächste Generation – Tochter und Patenkind – weitergegeben. | |
| Unübersichtlich, chaotisch, im Text oft linksradikal – so war der Start. | |
| Die Zeiten, die Zeitung und mit ihnen die Lesergemeinde haben sich | |
| geändert. Die taz heute: übersichtlich, seriös, im Text immerhin manchmal | |
| noch linksliberal, so sind wir gelandet. Ich vermisse Christian Semmler | |
| (tot), Bascha Mika (weg), Barbara Bollwahn (tot), Deniz Yücel (weg). Von | |
| der alten Garde ist zum Glück noch taz-Hilfshausmeister Helmut Höge an | |
| Bord. | |
| * * * | |
| Jörn Sund: | |
| Liebe taz, wir müssen reden: Wir haben uns voneinander entfernt und ich | |
| fürchte, wir könnten uns verlieren. Ich bin einer deiner ganz frühen | |
| Liebhaber (taz-Genosse 0012) und für deinen täglichen Besuch habe ich | |
| selbstverständlich den politischen Preis bezahlt, seit es ihn gibt. Ich | |
| habe für dich geworben und gekämpft, als es dir schlecht ging. Jetzt müssen | |
| wir klären: Willst du mich noch? | |
| Ich bin 60, männlich, hetero, weiß. Ich bin immer noch neugierig, | |
| unabhängig, suchend und frei. Du bist mit dem Alter immer schöner geworden. | |
| Im Ernst: Ich liebe dein Layout. Deine kulturelle Inspiration tut mir gut. | |
| Aber es stimmt auch: Du hast mich zuletzt oft enttäuscht. Du willst mir | |
| immer öfter sagen, was richtig ist und was falsch, willst mein Wegweiser | |
| sein, stellst dir und mir selten Fragen. | |
| Du erklärst mir , dass Russland gefährlich und Putin ein Dämon ist , dass | |
| dieses (Juncker-)Europa die einzige Hoffnung ist, dass der Brexit scheitern | |
| muss, wer in Syrien die Guten und die Bösen sind und dass direkte | |
| Demokratie gefährlich ist. Warum hast du Snowden vergessen, warum so viel | |
| Larmoyanz und Arroganz gegen die linke Sammlungsbewegung und vor allem | |
| Sahra Wagenknecht, warum muss ich über John Dalhuisen in der FAZ und über | |
| Nathaniel Rich bei Spiegel Online lesen? | |
| Ich möchte gerne von dir ernst und nicht an die Hand genommen werden. Ich | |
| vermisse da etwas: Widersprüche, Infragestellen von Gewissheiten, und, ja, | |
| nennen wir es Systemkritik. Ich möchte nicht nur in meiner Blase gefüttert | |
| werden. Liebe taz, kannst du das verstehen? | |
| * * * | |
| Heiner Bredt: | |
| Ich unterstütze die taz seit der Nullnummer – oder sollte ich besser sagen, | |
| die taz unterstützt mich? (…) Die taz hat mich geprägt und begleitet .Ich | |
| komme gerade von einer Projektreise aus Sambia zurück, die mich sehr mit | |
| existenziellen Nöten in Berührung brachte, und merke, wie sehr ich auch | |
| gerade die Afrika-Berichterstattung der taz schätze und die Informationen | |
| aufnehme. Dass man nicht verzweifelt an den alten und neuen Problemen und | |
| Unrechtsstrukturen dieser Welt, dazu verhilft auch eine mutige, freie | |
| Presse. Also: Danke! Und weiter so! | |
| * * * | |
| Ruth Westerwelle: | |
| Tja, zu den AbonnentInnen der ersten Stunde gehöre ich sicher dazu … | |
| Und heute, perspektivisch? Ich sah mich schon eines Tages die älteste | |
| taz-Abonnentin werden. Aber mit der Abschaffung der Papier-taz werde ich | |
| mich verabschieden. Für mich ist Zeitunglesen sie haptisch vor mir zu | |
| haben, zu blättern, zu rascheln, wichtige Artikel eine Weile neben dem Bett | |
| oder am Frühstückstisch rumliegen zu haben. | |
| Wir sind eh alle schon viel zu viel am Rechner, am Smartphone – jetzt auch | |
| noch die Zeitung. Nee, nicht mit mir! | |
| * * * | |
| Arnulf Rating, Kabarettist, damals mit dem Kabarett-Trio „Die 3 Tornados“ | |
| auf taz-Abo-Werbetour: | |
| Allem Anfang wohnt ein Zauber inne. Endlich war sie da – die | |
| taz-Nullnummer. Damit gingen wir 1978 auf Werbetour durch die ganze | |
| frostige Bundesrepublik in unserem ebenso kultigen wie kalten Citroen DS | |
| Kombi, in dem die Heizung ausgefallen war. Hinten hatte unser Quetschenmann | |
| Jochen Krank einen Spirituskocher im Fußraum angezündet, damit er abends | |
| überhaupt zum Spielen auftauchen konnte. In zig Städten organisierten die | |
| örtlichen taz-Initiativen Veranstaltungen. Unsere selbstgewählte Aufgabe: | |
| Abos für die tageszeitung zu rekrutieren, noch bevor die Zeitung da war. | |
| Die am schwächsten besuchte Veranstaltung war in Konstanz. Da kostete es 50 | |
| Pfennig Eintritt und es kamen nur wenige Enthusiasten, die aber – wenn ich | |
| mich recht erinnere – am meisten Abos unterschrieben. Brechend voll war es | |
| in der Mensa in Tübingen, wo es unvorstellbare 8 Mark Eintritt kostete und | |
| dennoch weit über 1.000 Leute darauf fieberten, dass sich im deutschen | |
| Zeitungswald das Blatt wenden würde. Der Markt ist etwas Seltsames … | |
| Egal wie kalt es im Land und im Auto war: Wir hatten die Nase voll. Hinter | |
| uns lag die bleierne Zeit des Deutschen Herbstes. Mit seiner | |
| Nachrichtensperre und dem erbitterten Kampf Staat gegen RAF. Absurd. Die | |
| RAF, deren erste Waffe schon vom Verfassungsschutz stammte, war Staatsfeind | |
| Nummer eins. Gejagt von Leuten, die in ihrer Jugend halb Europa in Schutt | |
| und Asche gelegt hatten. Die Generation der Täter hatte Schuldige gefunden | |
| und verfolgte sie gnadenlos. Das galt auch für den gesamten sogenannten | |
| „Sympathisantensumpf“ bis hin zu den Atomkraftgegnern, die doch angeblich | |
| nur eines wollten: Dass in Deutschland das Licht ausgeht, damit der Russe | |
| im Dunkeln einmarschieren kann. | |
| Wir waren es leid. Zwischen Nachrichtensperre bei den bürgerlichen | |
| Zeitungen und den diversen Kampfpostillen von „Rote Fahne“ bis „Roter | |
| Morgen“ klaffte ein riesiges Loch. Wir hatten Informationsbedarf. Überall | |
| im Land bewegte sich etwas. Da waren Initiativen, die sich einsetzten in | |
| ihrer unmittelbaren Lebensumgebung für Stadtsanierung, gegen Autowahn und | |
| Atomkraft oder für Frauenhäuser oder eine gesunde Ernährung. Dafür war im | |
| üblichen dpa-Norm-Journalismus kein Raum. (…) | |
| Ende der 1970er Jahre war das ja eine ganz andere Medienwelt: Es gab kein | |
| Internet und keine Handys. Kein Facebook und kein Twitter und kein | |
| Whatsapp. | |
| Wer unterwegs telefonieren wollte, musste eine Telefonzelle aufsuchen. | |
| Telefonzellen? Das waren begehbare Handys. Vor denen bildeten sich | |
| Warteschlangen wie vor dem Apple-Store, wenn das neue iPhone rauskommt. | |
| Dabei konnte man mit den Dingern nicht mal fotografieren. Niemand kannte | |
| eine Flatrate. Und das Fernsehen? | |
| Es gab drei Fernsehprogramme. Und in der Regel in jedem Haushalt nur einen | |
| Fernseher. Um den war die Familie versammelt. Im Wohnzimmer. Am berühmten | |
| Lagerfeuer. | |
| Ein Programmwechsel war aufwendig. Man musste die Salzstangen aus der Hand | |
| legen, sich persönlich vom Sofa erheben, zu Fuß zum Fernsehgerät gehen, um | |
| einen schwergängigen Knopf zu drücken. Wer diesen Knopf bedienen durfte, | |
| war in den Familien meist streng und hierarchisch geregelt. (…) | |
| Und jetzt war diese neue Zeitung da. In der das alles berichtet werden | |
| sollte, ein Vernetzungsprojekt. Eine Alternative zum Ganzjahreskarneval des | |
| klassischen Politikbetriebes. Etwas von der Hoffnung der Spaßguerilla im | |
| Humorentwicklungsland BRD. | |
| 5 Oct 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Ute Scheub | |
| ## TAGS | |
| 40 Jahre taz | |
| Gründer*innentaz | |
| Gründer*innentaz | |
| Gründer*innentaz | |
| 40 Jahre taz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 40 Jahre taz: Finanzierungsmodelle: Der große Steuermann | |
| Berlinzulage, Abschreibungsmodelle, Investitionszulagen: wie sich | |
| Westberlins Subventionen zur Gründung der taz nutzen ließen, wusste Gert | |
| Behrens. | |
| 40 Jahre taz: Die Frankfurter Anfänge: Vom Größenwahn der Amateure | |
| Die ersten drei Nullnummern der taz wurden in Frankfurt hergestellt. Es war | |
| ein riesiges, hierarchiefreies, produktives Chaos. | |
| 40 Jahre taz: Wie alles begann: Die Geburtsstunde der taz | |
| Bevor die erste reguläre taz erschien, produzierten politisch motivierte | |
| Amateure Nullnummern. Die erste erschien am 27.9.1978. |