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# taz.de -- nordđŸŸthema: „Heidi Klum isst nicht bei Mc Donald’s“
> Knallig bunte und laute TV-Spots, Abenteuergeschichten und Onlinespiele:
> Tobias Effertz weiß, wie Unternehmen mit ihrer Werbung Kinder ködern. Er
> ist Ökonom an der UniversitĂ€t Hamburg und fordert ein komplettes Verbot
> von Kindermarketing
Bild: Wer wird denn bei Werbung fĂŒr Kinder gleich in die Luft gehen? In der ga…
Interview Milena Pieper
taz: Herr Effertz, was macht Werbung mit Kindern?
Tobias Effertz: Im Prinzip funktioniert die Werbung wie bei Erwachsenen
auch, allerdings sind Kinder viel schneller und leichter beeinflussbar. Es
fehlen die Erfahrung und die geistige und körperliche Reife, um Werbung
richtig und kritisch zu verstehen. Das liegt vor allem an der stÀndigen
Entwicklung des Gehirns, die bei Kindern noch sehr dynamisch ist. Gerade
weil Kinder hier besonders verletzlich sind, sollten die vielen Reize der
Werbung zurĂŒckgefahren werden.
Haben Kinder eine Chance, sich dagegen zu wappnen?
Im Grunde nicht, denn Werbung wirkt vor allem ĂŒber ihre emotionale
Ansprache. Die verstÀrkt sich durch soziale Medien. Dort beschÀftigen sich
Kinder interaktiv mit Produkten und verbringen viel Zeit mit ihnen. So
verankern sich Werbebotschaften noch stĂ€rker im GedĂ€chtnis. Außerdem sind
sie allgegenwÀrtig. Im Alltag gibt es wenige Situationen, in denen Kinder
nicht mit Werbung konfrontiert sind.
Wann ist Werbung Kindermarketing?
Da gibt es zwei Kriterien: Einmal, wenn sie bestimmte Stilmittel enthÀlt,
die besonders geeignet sind, Kinder anzusprechen. Also Comic-Charaktere,
sprechende Tiere, Idole, Melodien. Das zweite ist, dass die Werbung dort
prÀsent ist, wo Kinder sind.
Ist das nicht bei fast jeder Werbung so?
Nein, es gibt bestimmte Tageszeiten wie das Zeitfenster ab 18 Uhr, in denen
Kinder besonders viel fernsehen, und Internetseiten, die von vielen Kindern
angeklickt werden. Unternehmen kennen diese Informationen und können sie
gezielt nutzen.
Welche Taktiken nutzen Unternehmen beim Kindermarketing?
Das ist ein bunter Mix aus verschiedenen Maßnahmen. Von Gewinn- ĂŒber
Onlinespiele, in denen mit Produktmarken spielerisch umgegangen wird, bis
hin zur „Wissensvermittlung“, etwa einer Website ĂŒber Dinosaurier –
untermalt mit einem Kellogg’s-Logo. Ebenso findet verstĂ€rkt sogenanntes
„Bundling“ statt, bei dem Unternehmen zum Beispiel Star Wars oder Barbie
mit einem Lebensmittelprodukt kombinieren. Dabei geht es darum, die von
Kindern erlernte positive Emotion zu ĂŒbertragen. Die Kinder sollen das
beworbene Produkt mit etwas verbinden, das sie mögen und mit dem sie sich
identifizieren.
Und dann?
Die Werbung löst einen Kaufwunsch aus, der insbesondere bei Kindern
ĂŒbertrieben stark ist. Das fĂŒhrt nicht selten zu impulsivem Verhalten und
in der Konsequenz dazu, dass Kinder mit den Eltern streiten. Durch die
Werbung bekommen sie Argumentationshilfen. Warum lassen wir es zu, dass
Unternehmen unsere Kinder direkt ansprechen? Zwar sind es letztlich die
Eltern, die den kindlichen Konsum von SĂŒĂŸigkeiten deckeln sollten, aber
heutzutage gibt es viele Alleinerziehende oder beide Elternteile sind
berufstÀtig. Da gibt es nicht die Chance, das Kind angemessen vor Werbung
zu schĂŒtzen. Gesetzliche Regeln mĂŒssten daher den Sprengstoff des
Kindermarketings entschÀrfen, um Eltern zu entlasten und wieder ein
vernĂŒnftiges ErnĂ€hrungsverhalten zu ermöglichen – ohne die Konflikte,
welche die Werbung in Familien bringt.
Wie viele Unternehmen machen bewusst Werbung fĂŒr Kinder?
Im Bereich Lebensmittel richtet sich deutlich mehr als die HĂ€lfte der
Werbungen in den Massenmedien an Kinder. Ganz aktuelle Zahlen liegen mir
leider noch nicht vor, aber bei der Fernsehwerbung aus dem Jahr 2016 hatte
der Anteil des Kindermarketings gegenĂŒber 2013 erneut zugenommen. Im
vergangenen Jahr habe ich eine Studie fĂŒr die AOK zur Werbung im Internet
vorgestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass Kindermarketing auf 62 Prozent
aller Internetseiten der Lebensmittelhersteller zu finden ist. Je nachdem,
wie weit man den Begriff fasst, sind es sogar weit mehr als 80 Prozent.
Sie haben fĂŒr die Studie die Marketingstrategie von 301
Lebensmittelherstellern untersucht. Haben Sie sich nur Werbung fĂŒr
ungesunde Lebensmittel angeschaut?
Nein. Ein Teil war eine Stichprobe von Lebensmittelherstellern, die in
einer frĂŒheren Studie untersucht worden waren und alle
Lebensmittelproduktgruppen beinhaltete. Den Rest haben wir nach
Internet-Klicks ausgewÀhlt. Wir haben festgestellt, dass insbesondere die
Unternehmen, die sich durch eine EU-Selbstverpflichtung auferlegt hatten,
ganz auf Kindermarketing zu verzichten, sich nicht daran hielten und es im
Internet sogar eher hÀufiger praktizieren.
Die Selbstverpflichtung wirkt also nicht?
Nein. Die Unternehmen versuchen damit, einer rechtlichen Regelung
zuvorzukommen. Sie fertigen Berichte an und attestieren sich selbst immer
wieder, sie hÀtten alles sauber gemacht. Ich komme da zu anderen
Ergebnissen. Die Unternehmen suggerieren, dass sie verantwortlich handeln,
aber in der Praxis ist das nicht so.
Warum nicht?
Die Unternehmen wollen möglichst viel Geld verdienen. Der Überkonsum in der
Gesellschaft ist Umsatz der Industrie. Wenn man dafĂŒr sorgen wĂŒrde, dass
sich alle gesund ernĂ€hren und nur so viel essen, wie sie brauchen, wĂŒrden
die Unternehmen einen betrÀchtlichen Teil ihrer Einnahmen verlieren. Das
wird natĂŒrlich vehement bekĂ€mpft und in der PrĂ€ventionspolitik werden nicht
die Instrumente umgesetzt, die wirklich den Konsum zurĂŒckfahren wĂŒrden.
Gibt es in Deutschland außer dem Jugendschutz keine Regulierungen fĂŒr
Kinderwerbung?
Nein. Es gibt nur ein paar eher allgemein formulierte Rechtsnormen, etwa,
dass Kinder nicht direkt zum Kauf aufgefordert werden dĂŒrfen und die
geschÀftliche Unerfahrenheit nicht ausgenutzt werden darf. Aber das ist
alles sehr schwammig und mĂŒsste im Einzelfall oft langwierig gerichtlich
geklÀrt werden.
Ist das in anderen LĂ€ndern anders?
Ja sicher! Strengere Vorschriften gibt es in vielen anderen LĂ€ndern.
Deutschland ist da wirklich ein Eldorado fĂŒr Unternehmen – insbesondere der
Tabak-, Alkohol- und Lebensmittelindustrie. Die WHO hat sich schon vor
Jahren fĂŒr eine EinschrĂ€nkung von Kindermarketing in diesen Bereichen
ausgesprochen. Wissenschaftlich gibt es dazu nicht mehr viel zu
diskutieren. Es ist klar, dass Werbung Kinder beeinflusst und dass sie sich
dadurch auch falsch ernÀhren.
Was genau fordern Sie fĂŒr Deutschland?
Kindermarketing nutzt die Verletzlichkeit von Kindern aus und mĂŒsste
komplett unterbunden werden. Ich glaube, dass es da auch einen
gesellschaftlichen Konsens gibt. Dies zeigen zumindest Befragungen zum
Thema. Es gibt keine Rechtfertigung, den jetzigen Status beizubehalten.
Kinder mĂŒssen geschĂŒtzt werden, gerade in der heutigen Zeit.
Ist ein Verbot denn realistisch?
Eher nicht. Man kann immer wieder appellieren und auf die
wissenschaftlichen Ergebnisse hinweisen, aber das Problem ist fĂŒr die
Politik offenbar nicht drĂ€ngend genug. Dabei stellen die meisten fĂŒhrenden
Akteure im Gesundheitsbereich fest, dass der Lebensstil, der durch die
viele Werbung fĂŒr ungesunde Lebensmittel gefördert wird, die medizinischen
Kosten in die Höhe treibt. Der durchschnittliche Deutsche ist ĂŒbergewichtig
und neigt zu Adipositas. Meine Studien zeigen, dass dies zu höheren Kosten
im Gesundheitssystem und in sÀmtlichen anderen Sozialversicherungszweigen
fĂŒhrt. Die ökonomischen Kosten fĂŒr Adipositas betragen pro Jahr ĂŒber 60
Milliarden Euro.
Dann ist Werbung fĂŒr ungesunde Produkte ein gesellschaftliches Problem?
Absolut! Es beginnt im Kindesalter. Jeder zweite Adipositasfall in
Deutschland wird bereits vor dem 20. Lebensjahr beim Arzt diagnostiziert.
Bezieht sich Ihre Kritik nur auf Marketing fĂŒr Lebensmittel?
Nein. Beeinflusst werden Kinder auch durch Werbung fĂŒr Produkte, die sich
an Erwachsene richten, wie Finanzprodukte oder Ferienreisen. Die Acht- bis
ZehnjÀhrigen kennen beispielsweise viele Automarken und können damit
verschiedene Autos in Verbindung bringen. Wenn es einem von zehn Kindern
gelingt, am Abendbrottisch ein Auto vorzuschlagen und die Eltern zum Kauf
genau dieses Autos zu bringen, dann hat sich die Werbung in dem Fall
gelohnt.
Ist das denn so schlimm?
Mich als Ökonom interessieren die volkswirtschaftlichen Folgen. Die sind
teilweise schwer zu bemessen: Bei ungesunden Lebensmitteln geht das relativ
gut, da sind die SchÀden mehr als deutlich. Der Autokauf, der ohne
kindliches Zutun wahrscheinlich auch stattgefunden hÀtte, ist eher
unproblematisch. Einige Publikationen aus dem psychologischen Bereich
zeigen aber, dass der Überkonsum von Spielzeug und eine materialistische
Lebensweise bei Kindern zu psychischen Problemen fĂŒhren kann. Diese Folgen
sind selbstverstÀndlich relevant, aber deutlich schwerer zu beziffern.
Was ist mit Werbung fĂŒr gesunde Lebensmittel?
Es wird in den Massenmedien fast nur Werbung fĂŒr ungesunde Produkte
gemacht. An Kinder gerichtete Werbung fĂŒr GemĂŒse und Obst ist eher
unproblematisch. Mir kommt es darauf an, dass Heidi Klum nicht bei Mc
Donald’s isst oder Manuel Neuer sich nicht das Nutella aufs Brot schmiert
und suggeriert, das gehöre zum Fußballspielen dazu.
Hat nicht auch das Bildungssystem eine Verantwortung, die Kinder
aufzuklÀren?
Das halte ich fĂŒr vertane Zeit. In der Schule gibt es genug andere Dinge,
die vermittelt werden mĂŒssen, von den regulĂ€ren Unterrichtsinhalten bis hin
zu sozialen Werten. Die Lebensmittelkonzerne hÀtten es gern, dass Kinder
sich im Unterricht mit ihrer Werbung beschÀftigen und die Verantwortung auf
die Schulen ĂŒbergeht. Die deutlich pragmatischere Lösung wĂ€re doch,
Kindermarketing zu verbieten. Leider hört man von zustÀndigen Politikern
zur Zeit nur das, was ihnen die Lebensmittelindustrie in den Mund gelegt zu
haben scheint. Die Zahlen bei der kindlichen Adipositas waren zuletzt
stagnierend, aber die Problematik sollte nicht vorschnell kleingeredet
werden. Alleine durch die Entwicklung im Medizinsektor werden die Kosten
durch FehlernÀhrung weiter ansteigen, wenn nichts geschieht.
22 Sep 2018
## AUTOREN
Milena Pieper
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