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# taz.de -- Physisch greifbarer Sound
> Gefühl und Härte: Der junge britische Künstler Gaika über sein Album
> „Basic Volume“ und seinen musikalischen Aufruf zur permanenten Rebellion
Bild: „So denke ich eben über die Welt“, Gaika Tavares
Von Philipp Weichenrieder
Gaika sieht Aufstände kommen. Seine Prognose unterstreicht der britische
Produzent mit einem unglaublich eingängigen Popsong. Sanfte Synthesizertöne
perlen auf, dann erheben sich Fanfaren. Eine druckvolle Bassdrum pumpt
schubweise los, gleichzeitig beginnt der britische Künstler zu singen.
Zum catchy Sound croont Gaika nichts weniger als einen Aufruf zum
Widerstand: „I wanna see youths in rebellion / You in rebellion / I wanna
see you in rebellion.“ Sein Track „Immigrant Sons (Pesos & Gas)“
kanalisiert Frustration und Wut, schlägt sich auf die Seite einer Jugend,
die, wie er annimmt, von der Gesellschaft abgelehnt wird. Auf seinem nun
veröffentlichten Debütalbum „Basic Volume“ richtet Gaika immer wieder Wor…
an diejenigen, für die Dystopie nicht Fiktion, sondern Realität sein soll.
## Kindheit in Brixton
Es ist eine Realität, die für ihn außer Frage steht. Aufgewachsen ist Gaika
Tavares ist im Südlondoner Stadtteil Brixton. Sein Alter hält er geheim.
Vermutlich hat er seine Kindheit in den Achtzigern verbracht. „Ich erinnere
mich, wie das Geschäft meines Vaters komplett demoliert wurde. Die Polizei
ist gekommen, hat den Schaden aufgenommen und nichts, wirklich nichts
getan“, erzählt Gaika, dessen Vater Materialwissenschaftler war. „Wir
wurden ständig mit Rassismus konfrontiert und mussten damit leben. Es geht
nicht nur darum, ob man schwarz ist und jemand deswegen Scheiße erzählt. Es
geht um Diskriminierung, wer wie ich schwarze Hautfarbe hat, dem schließen
sich von vornherein Chancen aus.“
2015 erschien Gaikas Mixtapedebüt „Machine“, auf dem er sich elektronischen
Experimenten im Mix mit HipHop, Dancehall, Dub und Grime widmete. Der
verschachtelte Sound zwischen straighten und zertrümmerten Beats, zwischen
flirrenden Sounds, vibrierenden Bässen und Miniaturmelodien taufte der
Künstler seinerzeit „Ghetto futurism“.
Die Beklemmung klang auf dem Nachfolge-Tape „Security“ noch deutlicher
durch. Gaika widmet sich Gefühlszuständen zwischen Schutzbedürftigkeit und
ihrem Verlust, setzt sich mit der Angst vor dem Tod auseinander und
verarbeitete damit auch die Krebserkrankung seines Vaters.
2016 folgte die erste EP für das große britische Elektronik-Label Warp.
„Spaghetto“ zelebriert weiter klangliche Hybridität, ergänzt sie aber um
ungewohnt sanfte, fast versöhnliche Klänge. Durch die klaren Stimmen von
Gastsängerinnen erhalten die Stücke Zugänglichkeit, ohne die spitzen
Splitter der Realität in ihnen zu kaschieren. Gaika singt in einem zwischen
britischem und jamaikanischem Englisch angesiedelten Dialekt zu rumpelnden
Maschinensounds über das Leben in einer zunehmend kollabierenden
Gesellschaft. Selten erklingt seine Stimme ohne Verfremdungseffekte.
Autotune, Hall und Echo lassen sie mal aggressiv gepresst, mal schleifend
bestimmt oder auch sehnend melancholisch klingen. An treffender Direktheit
verliert seine konkrete Poesie dadurch aber nie.
Gaikas Beobachtungen zur Gegenwart beschränken sich nicht auf Musik. Nach
den beiden EPs „The Spectacular Empire I + II“, veröffentlicht im Dezember
2017, startete er auch ein eigenes Label und eine Modemarke, beide „Armour
In Heaven“ genannt.
Zu den EPs erschien im Webmagazin Dazed Digital auch die Kurzgeschichte
„The Spectacular Empire – a future imagined by Gaika“. In dieser
Zukunftsvision beschreibt er, ausgehend von Demonstrationen in
Großbritannien im Winter 2018, wie Menschen zunehmend aus den Strukturen
staatlicher Ordnung ausbrechen. Von da aus entspannt Gaika eine Erzählung
über seiner Meinung nach restriktive Politik, Chaos und Widerstand, die
auch die Globalperspektive in den Blick nimmt und bis ins Jahr 2062 reicht.
## Reale Situationen
In seiner künstlerischen Arbeit greift Gaika reale Situationen von
Individuen auf, die in prekären Verhältnissen leben und unter
Gentrifizierung, Rassismus und Gewalt leiden. „Ich mache keine Musik mit
politischem Programm. Mein Leben wird, wie das aller Briten, von der
Politik unserer Regierung beeinflusst. Als Schwarzer erlebe ich
Benachteiligung. Allein durch meine Existenz ist meine Arbeit also
politisch.“ Gaika spricht ruhig und wirkt dabei sehr bestimmt.
Gaika führt seinen Willen zur Selbstbehauptung unmittelbar auf seine
Familiengeschichte zurück. Der Vater war Nachfahre von Maroons, wie
Afrikaner*innen genannt wurden, die im 17. und 18. Jahrhundert vor der
Sklaverei flohen und auf Jamaika autonome Gesellschaften bildeten, die
teilweise bis heute existieren. „Meine rebellischen Haltung kommt daher.
Genau wie die Betonung von Eigenständigkeit. Mein Vater hat für sich selbst
gearbeitet, genauso wie mein Großvater.“ In der Freizeit war sein Vater in
einem Soundsystem aktiv und nahm den Sohn als Kind mit zu
Tanzveranstaltungen. Die Lautsprechertürme der Soundsystems und ihre Kultur
haben dabei auch die Grundlage für britische Musikhybride von Lovers Rock
über Jungle zu Dubstep und Grime geschaffen. Die kulturelle Bedeutung von
Soundsystems und ihre Ingenieurskunst hat auch Gaika nachhaltig
beeinflusst.
Die Songs auf „Basic Volume“ sind gerade durch den Zorn und die
Selbstermächtigung in den Texten sehr persönlich geraten. „So denke ich
eben über die Welt“, erklärt er. „Ich kann nicht singen, dass alles okay
ist. Weil es das einfach nicht ist.“ Trotzdem klingt Gaikas Debütalbum
nicht wie ein apokalyptische Abgesang auf die Zustände. Verstörende, raue
Klänge haben ihre Funktion, machen Brüche sichtbar, zeigen die gläsernen
Wände von race und class.
Und doch strahlt die Musik, die Gaika unter anderem mit dem Produzenten Jam
City und der Avantpop-Experimentalistin Sophie entwickelt wurde, Zuversicht
aus. Zu Beats zwischen Dub, Dancehall, R&B-Slow Jams und House erklingen
melancholisch schlingernde Synthesizer, mahlende Bässe und Gaikas
sehnsüchtiges Croonen, kantiges Toasting, vernuschelter Spoken Word und
aggressiver Rap.
Die pessimistische Grundstimmung kippt dabei nicht ins Bodenlose. Gaikas
Musik ist von upliftenden Melodien durchzogen, diese helfen beim Aufstehen.
Trauer setzt Energie frei. Der komprimierte, fast physisch greifbare Sound
auf „Basic Volume“ hat Unmengen davon. Gaika versteht das als Aufruf zum
solidarischen Handeln. „Gemeinsam sind wir stark“, ist Gaika überzeugt.
„Viele wissen es nur nicht. Wir sollten niemals die Utopie als Ideal
aufgeben, nach der wir streben.“
Gaika: „Basic Volume“ (Warp/Rough Trade)
15 Sep 2018
## AUTOREN
Philipp Weichenrieder
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