# taz.de -- Die infiltrierte Mode | |
> Junge Performancekünstler arbeiten vermehrt mit Modedesignern zusammen, | |
> disziplinäre Grenzen verschwimmen. Eine Bedrohung für die Autonomie der | |
> Kunst? | |
Bild: Aua! Spitze Schuhe, ebenfalls von Balenciaga | |
Von Donna Schons | |
Das Oratorio San Lorenzo ist eine jener wunderschönen Kirchen, die im | |
erzkatholischen Palermo mindestens genauso häufig im Stadtbild auftauchen | |
wie Streetfood-Stände, an denen für wenig Geld Milzbrötchen oder in | |
riesigen Bottichen gekochte Minischnecken feilgeboten werden. Die barocken | |
Stuckreliefs des elfenbeinfarbenen Saals werden dieser Tage durch ein | |
scharfkantiges Gerüst aus schwarzem Metallgitter konterkariert. Das Gerüst | |
dient zugleich als Sitzgelegenheit für die Besucher und als Kulisse für die | |
junge Performancekünstlerin Nora Turato – denn Palermo ist 2018 nicht bloß | |
italienische Kulturhauptstadt, sondern auch Austragungsort der | |
Wanderbiennale Manifesta, die sich in den Palazzi, Theatern und Kirchen der | |
Stadt eingenistet hat. | |
Es ist einer der ersten offiziellen Eröffnungstage im Juli 2018. Ein | |
Großteil der aus Kritikern, Sammlern, Künstlern und schönen jungen Menschen | |
bestehenden Artcrowd hat die Stadt bereits wieder verlassen, sie durften | |
sich schon bei der exklusiven Preview ein Bild von der Biennale machen. Im | |
Oratorio ist es dementsprechend leerer als an den Tagen zuvor, als Turato | |
den Raum betritt. Ihr Schritt ist entschlossen und ebenso schnell wie der | |
Schwall an Worten, der sich in der kommenden halben Stunde über die | |
Zuschauer ergießen wird. Turato hält einen Monolog über weibliche Hysterie | |
und Emotionalität im digitalen Zeitalter, der gespickt ist mit | |
popkulturellen Referenzen und in seiner aufbrausenden Sprunghaftigkeit der | |
Semantik von Onlinediskussionen ähnelt. | |
Dabei schwingt sie um die Stangen des Gerüsts herum, hockt sich neben die | |
Besucher auf die Sitzflächen und reckt sich von dort aus empor, um ihre | |
Botschaft über die Metallwände zu rufen. Die Leichtigkeit, mit der sie | |
diese Bewegungen vollzieht, ist beeindruckend, denn neben einem wadenlangen | |
Corsagenkleid trägt Turato kurze Stiefel mit einem sehr hohen, sehr dünnen | |
Absatz. Die Schuhe aus bunt gemustertem Spandex laufen vorne spitz zu, | |
ohnehin scheinen sie nur aus geschwungenen Linien und Spitzen zu bestehen – | |
es handelt sich um den Knife Bootie der Marke Balenciaga. Turato wird für | |
ihre Performances in Palermo wie schon zuvor bei der Kunstmesse Liste von | |
Balenciaga ausgestattet. Die Kleidungsstücke variieren, gemein haben aber | |
alle Outfits die spitzen hohen Schuhe. | |
Dass Modedesigner und Künstler sich zusammentun, ist nichts Neues. Schon | |
lange entwerfen Künstler für Designerlabels Sondermodelle von Handtaschen | |
und Schuhen, während Modedesigner sich mit Kostümen für Ballette, Opern und | |
Varietéshows revanchieren. Und spätestens seit Alexander McQueen bei seiner | |
Frühjahrs-Show 1999 ein Model auf einem rotierenden Podest zwischen zwei | |
Roboterarmen platzierte, die ihr weißes Kleid mit Farbe bespritzten, sind | |
auch die Grenzen zwischen Modenschauen und Performances fließend. Ähnlich | |
wie Galliano sich einst von der Installationskünstlerin Rebecca Horn | |
inspirieren ließ, arbeitet heute Kanye West für die Modenschauen seiner | |
Streetwear-Marke Yeezy mit der Performancekünstlerin Vanessa Beecroft | |
zusammen, die für ihre Werke junge Frauen bis zur Erschöpfung in einer Pose | |
verharren lässt. Die Liste ließe sich ewig weiterführen: Jungdesigner Ximon | |
Lee arbeitet für seine Show mit dem chinesischen Soundkünstler Pan Daijing | |
zusammen, das Label Telfar präsentiert seine Kollektion bei einem Festival | |
der Londoner Serpentine Gallery und die Marke Hood By Air holte sich 2016 | |
die Kunst ganz buchstäblich in die Show, indem sie den Fotografen Wolfgang | |
Tillmans über den Laufsteg laufen ließ. | |
Ungeachtet all jener Verknüpfungspunkte wirkt es dennoch befremdlich, | |
Balenciaga-Teile in einer Performance im klassischen Kunstkontext zu sehen. | |
Es erinnert ein wenig an die Praxis von Luxusmarken wie Prada und Louis | |
Vuitton, pompöse Kunstsammlungen zu eröffnen und so kulturelles Kapital zu | |
gewinnen. Dem Idealbild einer autonomen Kunst, die anders als Modelabels | |
keiner ökonomischen Logik folgt, entspricht jenes Bild nicht. Als ich mich | |
mit einem Freund nach der Performance darüber unterhalte, zuckt dieser mit | |
den Schultern: „Ich habe gar nicht erkannt, dass ihre Kleidung von | |
Balenciaga ist“. Damit bringt er das Designkonzept von Balenciaga unter dem | |
aktuellen Creative Director Demna Gvasalia auf den Punkt: Es ist eine | |
konzeptionelle Form des Modedesigns, die maßgeblich auf einem | |
Eingeweihtsein basiert. Gvasalia appropriiert Bernie Sanders’Wahlkampflogo | |
und druckt es auf Hoodies und überdimensionale Daunenschals, näht ein Hemd | |
an die Vorderseite eines T-Shirts und verkauft das Resultat für 1.290 | |
Dollar. Und fertigt eine Lederkopie der ikonischen blauen | |
Ikea-Einkaufstasche, die noch mal fast das Doppelte des Shirts kostet. Es | |
ist eine konzeptuell und referentiell überdrehte Weiterführung des Ugly | |
Chic, den Miuccia Prada Mitte der 90er Jahre ins Leben rief. Wer die | |
popkulturellen Referenzen und Metakommentare über die Modeindustrie, die | |
hinter Balenciagas Teilen stecken, nicht versteht und nicht bereit ist, | |
sich auf das höchst selbstironische Spiel einzulassen, bleibt ebenso ratlos | |
zurück wie ein Museumsbesucher, dem angesichts eines minimalistischen | |
Kunstwerks nichts anderes einfällt als: „Das hätte ich auch machen können.… | |
In ihrer selbstironischen, von den Referenzlogiken des Internets geprägten | |
Formsprache passen die Balenciaga-Teile, das muss man allem Kunstpurismus | |
zum Trotz zugeben, hervorragend in Turatos Performances. Ohnehin ist jene | |
Kollaboration, zu deren ökonomischen und ideellen Hintergründen sich auf | |
Nachfrage leider weder Turato selbst noch Balenciaga äußerten, nur eines | |
von vielen Beispielen dafür, dass die Disziplingrenzen von konzeptueller | |
Mode und Kunst heute nicht mehr klar abgesteckt werden können. | |
Lukas Hofmann ist einer von zahlreichen jungen Künstlern, die ihre Praxis | |
angesichts dieser Tatsache im Interdisziplinären verorten. Hofmanns | |
Performances wirken wie neopagane Rituale zur Austreibung der Beklemmungen | |
des 21. Jahrhunderts: Da sind die ätherischen Öle, die er verwendet, das | |
rötliche Licht von über Smartphone-Taschenlampen gehaltenen Fingerkuppen, | |
und da sind Performer, die ihre Gesichter gegen Glasscheiben pressen und | |
sich gegenseitig mit ihren Armen umschließen, ohne sich zu berühren. | |
Mode spielt eine entscheidende Rolle in diesen Performances, meist stylt | |
der Künstler seine Akteure selber und lässt die hierzu verwendeten Stoffe | |
in verschiedenen Werken immer wieder auftauchen. Auch Hofmann hat bereits | |
mit avantgardistischen Labels wie Ottolinger und Anne Sofie Madsen | |
zusammengearbeitet – Modenschauen, betont er, sind seine Performances | |
deshalb noch lange nicht: „Ich habe mich immer initiativ an die Designer | |
gewendet und dabei stets sichergestellt, dass ich bestimmen darf, wie die | |
Teile angezogen und kombiniert werden.“ Hofmanns Ansicht nach können Mode | |
und die Kooperation mit Labels in der Performancekunst als Moderator, | |
Katalysator, aber auch als Inhibition dienen. Letztendlich ist die Fusion | |
von Mode und Performancekunst, ähnlich dem Absatzlauf auf einem | |
Metallgerüst, vor allem eins: ein schwieriger Balanceakt. | |
4 Sep 2018 | |
## AUTOREN | |
Donna Schons | |
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