# taz.de -- Thriller „Das Geheimnis von Neapel“: Sex mit einer Leiche | |
> In „Das Geheimnis von Neapel“ schickt Ferzan Ozpetek eine Pathologin in | |
> die Hölle der eigenen Psyche. Eine schillernde Ode an eine Stadt. | |
Bild: Im Schatten toter Männer: Adriana (Giovanna Mezzogiorno) im Museum | |
Adriana ist erfolgreiche Medizinerin. Mit Männern hat sie in ihrem Beruf | |
täglich neue Begegnungen. Da sie als Pathologin arbeitet, sind die meisten | |
von ihnen jedoch schon tot. Ansonsten ist sie Single. Auf einer Party bei | |
Freunden trifft sie eines Nachts einen jüngeren gutaussehenden Mann, | |
Andrea, der sich ebenso wie sie interessiert zeigt und nicht lange um den | |
heißen Brei herumredet: „Wir werden die Nacht zusammen verbringen“, | |
verkündet er der erstaunten Adriana. Und so geschieht es. | |
Die beiden fallen wenig später in Adrianas Wohnung übereinander her in | |
einer ziemlich direkten, einen beim Zusehen in ihrer Körperlichkeit fast | |
anfallenden Szene, die immer haarscharf am Expliziten vorbei inszeniert | |
ist. Man versteht sich anscheinend auf Anhieb, auch am nächsten Morgen | |
noch. Verabredet sich für den Abend im Museum. Adriana geht hin. Andrea | |
kommt nicht. Sie ist enttäuscht. | |
Der Spielfilm „Das Geheimnis von Neapel“ des türkisch-italienischen | |
Regisseurs Ferzan Özpetek beginnt wie eine zupackende Soap, mit einer | |
zerbrechlich-sinnlichen Giovanna Mezzogiorno als Adriana und einem | |
kontrolliert manischen Alessandro Borghi als Andrea. Kurz darauf nimmt das | |
Geschehen allerdings eine völlig andere Wendung. Es kommt zum Wiedersehen | |
mit Andrea, wenngleich in einseitiger Form: Er liegt am Morgen nach dem | |
geplatzten Treffen auf ihrem Seziertisch. | |
Ferzan Özpetek wurde mit seinem Debütspielfilm „Hamam – Das türkische Ba… | |
von 1997 international bekannt, mit seinen weiteren Arbeiten hat er sich | |
dann hauptsächlich in Italien einen Namen gemacht. Als vergangenes Jahr | |
sein Spielfilm „İstanbul Kırmızısı“ über ein Wiedersehen mit seiner | |
Geburtsstadt hierzulande ins Kino kam, fand er wenig Beachtung. | |
„Das Geheimnis von Neapel“ ist ein Thriller, der mehrere Häutungen | |
durchläuft, unterwegs immer wieder seinen Charakter wandelt und sich am | |
Ende mit einem zusätzlichen überraschenden Dreh ins Spukhafte | |
verabschiedet. Vor allem aber ist er Özpeteks Liebeserklärung an die Stadt | |
Neapel. Die tritt bevorzugt in Gestalt von üppigen Inneneinrichtungen in | |
Erscheinung, doch auch die leicht verfallenen Gemäuer haben es Özpetek | |
angetan. Die Kamera durchstreift einzelne Orte so begierig, dass die | |
Darsteller daneben mitunter wie Statisten wirken. | |
## Neapel hüllt sich in seine Mysterien | |
Zugleich ist es die Geschichte Adrianas selbst, über die Özpetek sich | |
Neapel und ihren Geheimnissen nähert. Denn geheimnisvoll ist so ziemlich | |
alles, was diese Frau erlebt. Kurze Zeit nach dem Tod Andreas begegnet sie | |
ihm nämlich erneut auf der Straße. Er leugnet, der Gesuchte zu sein, gibt | |
sich als bisher verschollener Zwillingsbruder zu erkennen. Die Ähnlichkeit | |
ist jedoch so groß, dass Zweifel angebracht sind. Fundamentale. Adriana | |
nimmt den Mann dennoch auf, versteckt ihn bei sich und kommt ihm irgendwann | |
näher. | |
Über die aktuelle Lage der Stadt, insbesondere die Allgegenwart des | |
organisierten Verbrechens, erfährt man im Film praktisch nichts. Allein der | |
Tod Andreas hat mit Kunstraub zu tun, wobei unklar bleibt, wer seine | |
Geschäftspartner und mutmaßlichen Mörder waren. Aufgeklärt werden soll bei | |
Özpetek ohnehin nichts, die Stadt hüllt sich in ihre Mysterien, lockt auf | |
Irrwege, führt Adriana vielmehr zu stets neuen Rätseln – „Napoli velata“ | |
heißt der Titel im Original, müsste strenggenommen mit „Neapel verhüllt“ | |
oder „Das verschleierte Neapel“ übersetzt werden. Wobei das Geheimnis als | |
solches Özpeteks eigentliches Thema zu sein scheint, was den Titel | |
inhaltlich allemal rechtfertigt. | |
Und fast versteckt gibt es noch einen schwulen Handlungsstrang. Da ist | |
Pasquale, Freund von Adrianas Tante Adele (majestätisch: Anna Bonaiuto), | |
der gern in Gesellschaft von jungen Männern unterwegs ist. Der höchst wache | |
Komiker Peppe Barra macht diesen Pasquale zu einer der prägnantesten und | |
lustigsten Nebenfiguren des Films, kleine Zeitgeistkritik inklusive. Zu | |
Hipsterbärten bemerkt er in einer Szene, diese hätten in den meisten Fällen | |
lediglich den Zweck, dass man selbst nicht merkt, dass man mit einer | |
„Hackfresse“ geschlafen hat. | |
Der smarte Alessandro Borghi trägt denn auch keinen Bart. Borghi, der dank | |
seiner Besetzung als faschistischer Gangster im Spielfilm „Suburra“ und in | |
der gleichnamigen Serie derzeit auf besessen-aggressive maskuline Typen | |
spezialisiert ist, gibt seinem Andrea dafür, bei aller unnahbar-glatten | |
Attraktivität, zunehmend bedrohlich-dominante Züge. Was Mezzogiorno mit | |
ihrer passiv gehaltenen Rolle perfekt spiegelt. | |
Die eigenartigste Szene bekommt man übrigens gleich zu Anfang geboten. Auf | |
der Party, bei der sich Adriana und Andrea kennenlernen, sehen die Gäste | |
einer seltsamen Aufführung zu. Männer in Frauenkleidern, „femminielli“ | |
genannt, spielen die Geburt eines Kindes, eine „figliata“: Ein Mann schreit | |
wie in Wehen, am Ende hält man eine rot angestrichene Babypuppe hoch. Diese | |
Darbietung, die auf eine alte neapolitanische Tradition zurückgeht, setzt | |
einen Transgender-Akzent, der für den Fortgang keine Rolle spielen wird. | |
Verwirren tut er dafür umso mehr. | |
16 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
## TAGS | |
Neapel | |
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