# taz.de -- Die Zahlen sind Menschen | |
> Zum 80. Jahrestag der Flüchtlingskonferenz von Évian wird in der | |
> Gedenkstätte Deutscher Widerstand eine sehenswerte Ausstellung gezeigt | |
Von Vanessa Prattes | |
„Von der grünen Glaskuppel der Spielbank wehte die Trikolore ungeduldige | |
Spieler drängten sich schon zu dieser nachmittäglichen Stunde auf der | |
breiten Freitreppe vor den kleinen Cafés saßen braungebrannte Menschen bei | |
milchig-grünen Aperitifs über die Promenaden am See bewegten sich langsam, | |
wie unter der Zeitlupe, alte Männer und Frauen. Der Geruch des Seewassers | |
vermengte sich mit dem leisen, aber konstanten Geruch von Schwefel und | |
Schokolade, diesem Duftduett der alten Heilbäder Architektur und | |
Gartenanlagen erinnerten an den Beginn des neuen Jahrhunderts – der | |
Professor aber fragte sich, warum man just dieses Gewächshaus der | |
Vergangenheit gewählt hatte, um darin die Schrecken der Gegenwart zu | |
verhandeln.“ – Mit diesen Worten beschreibt der Journalist Hans Habe in | |
seinem Roman „Die Mission“ den mondänen Badeort Évian-les-Bains, am | |
französischen Ufer des Genfer Sees, der 1938 zum Schauplatz | |
internationaler Politik wurde. | |
Auf Initiative des US-Präsident Franklin Delano Roosevelt trafen sich vom | |
6. bis zum 15. Juli 1938 Vertreter von 32 Staaten zu einer internationalen | |
Flüchtlingskonferenz, um über die Zukunft der durch das NS-Regime | |
verfolgten Juden in Deutschland und im kurz zuvor annektierten Österreich | |
zu diskutieren. | |
Anlässlich des 80. Jahrestages der Flüchtlingskonferenz von Évian erinnern | |
die Gedenkstätte Deutscher Widerstand und das Zentrum für | |
Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin mit einer | |
Ausstellung an deren Vorgeschichte, Verlauf, Ergebnisse und Folgen. „Die | |
Ausstellung versucht Évian zu personalisieren und zu individualisieren“, | |
sagt Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für | |
Antisemitismusforschung in Berlin. Die Konzeption sei auch von aktuellen | |
Ereignissen wie der globalen Migration motiviert worden. „Die Konferenz ist | |
ein historisches Exempel im Umgang der Staatengemeinschaft mit Flucht und | |
Migration.“ | |
Mit Bildern eines jüdischen Studenten, der von der SA gezwungen wird, ein | |
Schild mit der Aufschrift: „Ich habe ein Christenmädchen geschändet!“, | |
durch Marburg zu tragen, oder beschmierter und zerstörter jüdischer | |
Geschäfte skizziert die Ausstellung zunächst die Ausgrenzung, Entrechtung, | |
Enteignung der Juden. Für die 1938 etwa 540.000 in Deutschland und dem | |
annektierten Österreich lebenden Juden war die Konferenz ein | |
Hoffnungsschimmer. Zionistische Organisationen drängten Großbritannien | |
dazu, mehr Einwanderungen nach Palästina zuzulassen, andere setzen große | |
Hoffnungen in die Kultivierung unbewohnter Territorien in Übersee, etwa auf | |
Madagaskar. | |
Die Hoffnung erlosch jedoch nach kurzer Zeit schon wieder, als die ersten | |
Ergebnisse der Konferenz bekannt wurden. Die Konferenzteilnehmer bekundeten | |
zwar ihr Mitgefühl mit den Geflüchteten, lehnten die Aufnahme zusätzlicher | |
Menschen jedoch mit unterschiedlichen Begründungen wie der prekären | |
wirtschaftlichen Lage und der hohen Arbeitslosigkeit ab. | |
„Dazusitzen, in diesem wunderbaren Saal, zuzuhören, wie die Vertreter von | |
32 Staaten nacheinander aufstanden und erklärten, wie furchtbar gern sie | |
eine größere Zahl von Flüchtlingen aufnehmen würden und wie schrecklich | |
leid es ihnen tue, dass sie das leider nicht tun könnten, war eine | |
erschütternde Erfahrung […] Ich hatte Lust, aufzustehen und sie alle | |
anzuschreien: Wisst ihr denn nicht, dass diese verdammten Zahlen | |
menschliche Wesen sind?“, erinnert sich Konferenzbeobachterin Golda Meir | |
1975. | |
Für die Visualisierung der Konferenz zeigt eine Videostation | |
Wochenschauaufnahmen, Amateuraufnahmen sowie Zeitzeugeninterviews. Einen | |
besonderen Schwerpunkt setzt die Ausstellung mit erstmals | |
zusammengetragenen Informationen über die beteiligten | |
Delegationsmitglieder. Umgeben von Ausstellungstafeln mit Etappen, den | |
wichtigsten Akteuren, Ergebnissen und Folgen der Konferenz sowie einzelnen | |
Flüchtlingsschicksalen steht ein großer schwarzer Tisch, der dem | |
Konferenztisch nachempfunden ist. Auf ihm befinden sich braune Akten aller | |
Teilnehmerstaaten mit einer Auflistung der Beteiligten, deren | |
Kurzbiografien und einer Zusammenfassung der Konferenzbeiträge. In | |
verblasster Tinte lassen sich noch die Gästelisteneinträge im originalen | |
Gästebuch des Hotels erkennen. | |
Die Konferenz schloss mit einem großen Feuerwerk zu Ehren der Delegierten | |
und einem üppigen Schlussbankett. | |
Bis 5. Oktober, Gedenkstätte Deutscher Widerstand | |
3 Aug 2018 | |
## AUTOREN | |
Vanessa Prattes | |
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