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# taz.de -- Inhaftierte Abgeordnete in der Türkei: Aus dem Gefängnis ins Parl…
> Zwei Kandidat*innen wurden bei der Wahl am 24. Juni aus dem Gefängnis
> heraus ins Parlament gewählt. Noch ist unklar, ob sie ihr Mandat annehmen
> können.
Bild: Die HDP-Abgeordnete Leyla Güven wartet auf ihre Freilassung
Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 24. Juni traten in der
Türkei fünf inhaftierte Kandidat*innen für ein Mandat an. Zwei von ihnen
schafften es ins Parlament: Leyla Güven wurde als HDP-Abgeordnete der
südosttürkischen Provinz Hakkari ins Parlament gewählt, obwohl sie seit dem
31. Januar im Gefängnis sitzt. Auch der Istanbuler CHP-Abgeordnete Enis
Berberoğlu, der im Sommer 2017 trotz Immunität verhaftet und zu fünf Jahren
und zehn Monaten Haft verurteilt worden war, wurde am 24. Juni erneut ins
Parlament gewählt. Wie geht es nun weiter für die beiden inhaftierten
Abgeordneten?
Leyla Güven kritisiert die Umstände, unter denen die Wahlen abgehalten
wurden. „Wenn Wahlen in einer Zeit abgehalten werden, in der man von Recht
und Gerechtigkeit kaum noch sprechen kann, kann niemand behaupten, sie
seien fair und gleichberechtigt“, lässt sie über ihre Anwält*innen
ausrichten. „Bedenkt man die immensen Rechtsverletzungen unter dem
Ausnahmezustand, hat meine Partei ein wirklich gutes Ergebnis erzielt. Wenn
etliche tausend Mitglieder einer Partei hinter Gittern sitzen, sie aber
trotzdem die Zehn-Prozent-Hürde schafft, dann heißt das, unser Volk hat
seinen Glauben in demokratische Politik nicht verloren.“
Leyla Güven war verhaftet worden, weil sie in den sozialen Medien und in
Presseerklärungen den Angriff des türkischen Militärs auf die syrische
Stadt Afrin kritisiert hatte. Güven hat keine großen Hoffnungen,
freigelassen zu werden. Die Justiz sei nicht mehr unabhängig, sondern
positioniere sich den inhaftierten Abgeordneten gegenüber politisch.
„Deshalb habe ich keine großen Erwartungen, dass die Justiz meinen Antrag
auf Freilassung anders behandeln wird, denn die Verhandlung steht kurz
bevor“, sagt sie.
Güvens Anwältin Reyhan Yalçındağ sagt, rechtlich stehe der Freilassung
ihrer Mandantin nichts entgegen und fordert, dass sie „unverzüglich“
freikommt. Die Anwältin erinnert daran, dass 2007 bereits Sebahat Tuncel
für die DTP, eine Vorgängerpartei der prokurdischen HDP, aus dem Gefängnis
heraus ins Parlament gewählt worden war. Nach Bestätigung des
Wahlergebnisses wurde die Abgeordnete damals auf Antrag der Verteidigung
freigelassen.
## Inhaftiert trotz Immunität
Im Ausnahmezustand habe sich die Rechtspraxis jedoch geändert, sagt Güvens
Anwältin. „Die politische Lage ist jetzt viel angespannter als bei früheren
inhaftierten Abgeordneten“, erklärt sie. „Für die am 4. November 2016
verhafteten HDP-Abgeordneten hat das Verfassungsgericht im Gegensatz zu
früheren Urteilen bekräftigt, die Untersuchungshaft sei rechtmäßig.“
Nachdem Leyla Güven ins Parlament gewählt worden war, beantragten ihre
Anwält*innen, dass sie freigelassen wird. Die Strafkammer in Diyarbakır
verfügte die Freilassung, doch noch am selben Tag legte der Staatsanwalt
Einspruch ein. Der Haftrichter gab dem statt und erließ erneut Haftbefehl,
noch bevor Güven auf freien Fuß gesetzt worden war. Die Abgeordnete blieb
in Haft. Die nächste Verhandlung ist für den 11. Juli angesetzt.
Wie Leyla Güven wurde am 24. Juni auch der inhaftierte Istanbuler
CHP-Abgeordnete Enis Berberoğlu erneut ins Parlament gewählt. Weil er über
geheime Lieferungen militärischer Ausrüstung und Munition des türkischen
Nachrichtendienstes MIT an syrische Rebellen berichtet hatte, war er nach
der Aufhebung seiner Immunität 2017 verhaftet und anschließend wegen
„Spionage“ zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Sein
Fall liegt derzeit bei der höchsten Rechtsinstanz der Türkei, dem
Kassationshof.
Auch Berberoğlus Anwälte beantragten die Freilassung ihres Mandaten. In
ihrem Antrag verwiesen sie darauf, dass mit der Wiederwahl auch die
gesetzliche Immunität erneut in Kraft getreten sei. Deshalb, so Anwalt
Yiğit Acar, müsse der Prozess unterbrochen und Enis Berberoğlu freigelassen
werden. „Wir fordern, dass in kürzester Zeit der Beschluss zur Freilassung
gemäß der Verfassung fällt“, sagt er. Die Entscheidung steht noch aus.
Die Hohe Wahlkommission hat das amtliche Endergebnis der Wahlen vom 24.
Juni am 5. Juli bekanntgegeben. Am 9. Juli wird die Nationalversammlung zur
Vereidigung der Abgeordneten zusammentreten. Wenn Leyla Güven und Enis
Berberoğlu nicht freikommen, können sie nicht daran teilnehmen. Sollten sie
aber zu einem späteren Zeitpunkt freigelassen werden, kann die Vereidigung
nachgeholt werden und sie können dann ihre Arbeit im Parlament aufnehmen.
Sollten sie nicht freigelassen werden, bleiben ihre Sitze im Parlament
frei.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
5 Jul 2018
## AUTOREN
Hayri Demir
## TAGS
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Politik
Türkei
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