Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Migranten der Pflanzenwelt
> Tiefe Einblicke in die Natur bietet die neue Ausstellung „Pionierpflanzen
> und weiterer Wildwuchs“ des Frauenmuseums Berlin
Von Vanessa Prattes
Der Saal füllt sich langsam. Hemden mit orangefarbenen, gelben und roten
Geranien, Blusen mit Tulpendruck und Taschen mit blumigem grafischen
Aufdruck stehen in Einklang mit den Kunstwerken. Dass sich einige Besucher
der Galerie Alte Schule in Adlershof an diesem Sommertag für floralen
Aufdruck entschieden haben, ist wohl kein Zufall, denn an diesem Abend wird
die Ausstellung „Pionierpflanzen und weiterer Wildwuchs“ von 17
Künstlerinnen des Frauenmuseums Berlin eröffnet.
Der Titel ist von einem Gegensatz geprägt. Wildwuchs, also Pflanzen, die
unkontrolliert wuchern, stehen im Kontrast zu den sogenannten
Pionierpflanzen, die sich als anspruchslose Pflanzen als erste auf einem
vegetationslosen Boden niederlassen. Auf der Documenta 10 wurde die
Kuratorin Julie August auf das Thema der Pionierpflanzen aufmerksam.
## Widerstandsfähige Pflanzen
„Pionierpflanzen sind meist Migranten, deren Samen per Lebewesen – Vögel,
Säugetiere, Menschen – oder per Verkehrsmittel – Flugzeug, Schiff, Zug –
aus anderen Kulturen in neue Breitengrade gebracht werden“, sagt Julie
August. Diese Eigenschaften ließen sich sehr gut auch auf die
Lebensumstände von Künstlern übertragen. Wie kleine, zähe,
widerstandsfähige Pflanzen setzten sie sich gegen schlechte Bedingungen wie
die Wohnungsnot durch.
An einer Wand steht ein alter Feuerwehrschrank, den die Künstlerin Susanne
Kienbaum beim Ausmisten auf ihrem Dachboden entdeckte. Diesen baute sie zu
einem Apothekerschrank mit kleinen Regalen um, auf denen „Ich bin immer
noch dieselbe, nur woanders“ steht. Im warmen Licht schimmern die Flaschen
und Dosen der Tinkturen durch die Glasscheibe.
Die Besucher können einige Tinkturen öffnen und sich auf den Geruch von
Baldrian oder Salbei einlassen. Während ihrer Wechseljahre habe sie sich
sehr mit Heilpflanzen beschäftigt. „Ich möchte die heilenden Kräfte der
Pflanzenwelt sichtbar machen.“ Der Zusammenhang fällt jedoch nicht auf den
ersten Blick auf.
Im Gang hängt die dreiteilige Fotoreihe „Born“ von Ulrike Gerst.
Abgesprungene Fliesen, zerfallene Mauern und eine wilde Landschaft sind nur
einige Zeichen eines verlassenen Orts. Zu sehen sind wilde Sträucher und
Bäume, die an verlassenen Orten wachsen und diese anscheinend
zurückerobern.
Das Frauenmuseum Berlin, bisher ohne festen Ort, versteht sich als Netzwerk
von Berliner Künstlerinnen. Etabliert sind inzwischen zwei Ausstellungen
pro Jahr in der Kommunalen Galerie Charlottenburg/Wilmersdorf. Das Ziel der
Gründerinnen war, dass Museen die Welt von Männern und Frauen gleichermaßen
abbilden. „Auch 2018 ist die Gleichberechtigung bei Weitem nicht erreicht.
In den nächsten Jahrhunderten müssten nur Frauen ausgestellt werden, um das
historische Ungleichgewicht wieder aufzuheben“, fordert die Kuratorin.
Die Installation der Künstlerin Anja Sonneburg bleibt besonders in
Erinnerung. An einer Wand kleben um die 50 gepressten Wildpflanzen, die
sie eigens in ihrem Garten in Brandenburg gesammelt hat. Mit dünnen, kaum
sichtbaren weißen Fäden verbindet sie die Blumen mit einer am Boden
liegenden Weltkarte. Wer den Fäden folgt, erfährt das Herkunftsland der
Blume. „Pflanzen dürfen frei migrieren, Menschen nicht“, fasst ihre
Kollegin Susanne Kienbaum zusammen.
„Pionierpflanzen und weiterer Wildwuchs“, bis 18. 8. in der Galerie Alte
Schule in Adlershof
23 Jul 2018
## AUTOREN
Vanessa Prattes
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.