# taz.de -- Fan sein bei der Fußball-WM: Hauptsache, du spielst gut! | |
> Das Nationale zählt nur bis zum Ausscheiden der eigenen Mannschaft. Für | |
> wen soll man danach sein Fähnchen in den Wind hängen, etwa beim | |
> Halbfinale? | |
Bild: Franzosen sind einfach die Attraktivsten: Warum also nicht einfach für F… | |
Pia erscheint zum ersten Spiel im italienischen Trikot. Aus Trotz. Die | |
Squadra Azzurra hat es bekanntlich gar nicht bis zur WM geschafft, sie ist | |
in den Play-offs an den Schweden gescheitert. Aber Pia ist halbe | |
Italienerin, sie hat den Doppelpass: einen deutschen, einen italienischen. | |
In Berlin wohnt sie seit etwas mehr als fünf Jahren, vorher hatte sie eine | |
italienische Periode, da wohnte sie in Bologna und musste sich beim | |
öffentlichen Fußballgucken öfter als „crucca“, unschön für: Deutsche, | |
beschimpfen lassen. Jetzt läuft sie hier im blauen Trikot zum | |
Deutschlandspiel auf, ist aber dann doch für die Deutschen. | |
Anmar (Name geändert) ist Deutschlandfan, seit er Michael Ballack bei der | |
WM 2002 und davor im Trikot von Bayer Leverkusen gesehen hat. Anmar kommt | |
aus der Nähe von Homs und hat eine abenteuerliche Flucht hinter sich, in | |
Berlin ist er seit dem legendären Herbst 2015, sein Deutsch wird immer | |
besser. Bayer-Leverkusen-Fan ist er nicht geworden, denn die fanden | |
international zu selten statt, und Ballack ist ja dann zu den Bayern | |
gewechselt. Seitdem ist Anmar Bayern-Fan. | |
Seine syrischen Freunde sind meistens für Real (die er hasst) oder für | |
Paris SG. Für Deutschland sind die meisten auch, aber auch Frankreich steht | |
hoch in der Gunst. Beim Spiel Frankreich gegen Argentinien ist er wie ich | |
für Argentinien, wegen Messi. | |
Als Deutschland ausgeschieden ist, nach dem blamablen 0:2 gegen Südkorea, | |
war die U8 von Mitte bis Neukölln voller trauriger Migrantenkinder und | |
-enkel, die sich auf Arabisch ihr Leid klagten. Sie trugen | |
schwarzrotgoldene Pepitahüte oder das Trikot der Mannschaft oder eine auf | |
die Wange gemalte Fahne. Auf die Frage, ob sie wirklich für Deutschland | |
waren, selbst wenn sie andere Pässe oder außerdem noch andere Pässe haben, | |
antworteten sie: „Klar bin ich Deutschland. Jetzt ist egal. Tunesien oder | |
so bin ich nicht, auf keinen, Alter.“ | |
Stattdessen? Unterschiedliche Antworten, aber durchaus repräsentativ: | |
„Frankreich ist geil.“ „Argentinien. Wegen Messi.“ „Ich war oft Spani… | |
aber diesmal nicht, diesmal sind die zu lame.“ „Mal sehen. Wer am besten | |
Fußball spielt.“ | |
„Mal sehen, wer am besten Fußball spielt“ ist eine sehr gute Antwort. Das | |
Nationale zählt nur bis zum Ausscheiden der eigenen Mannschaft (und für | |
manche auch überhaupt nicht). Vor dem Spanien-Russland-Spiel sitzen sehr | |
viele junge Touristen und temporär Hergezogene, man nennt sie Expats, vor | |
dem Flachbildfernseher vor dem Späti und sehen temporär gelangweilt dem | |
diesmal recht unterentwickelten Tikataka „ihres“ Teams zu. | |
Nach dem Spiel trennen sie sich – wie alle anderen – in Fußballfans und | |
Gleichgültige. Die Fußballfans entscheiden sich dann, meist aus | |
ästhetischen Gründen, für Frankreich, Kroatien oder Brasilien; oder sie | |
finden andere Gründe, um für Portugal, Kolumbien oder Belgien zu sein. Die | |
Gleichgültigen schauen mal zu und mal nicht, je nachdem, was sozial gerade | |
angesagt ist und/oder wer spielt. | |
So wie ich: Bei der EM war ich für Portugal, weil ich erstens Cristiano | |
Ronaldo für einen extrem guten Kicker halte, weil mich zweitens das | |
allgemeine CR7-Bashing sehr nervte (hinter dem ich eine Mischung aus Neid | |
und Klassendünkel vermute) und ich drittens tatsächlich Fan des Landes | |
Portugal bin: ein schönes Land mit einer guten Regierung und mehrheitlich | |
feingeistigen, netten Menschen. | |
Aber so findet jede und jeder, die oder der sich wirklich für Fußball | |
interessiert, eigene Gründe. Man kann sogar für Schweden sein, weil ihr | |
defensiver Fußball als defensiver Fußball funktioniert. Er ist nicht so | |
formvollendet schön wie weiland der italienische Catenaccio, aber wenn das | |
Original fehlt, kann man ja für die Kopie sein. | |
„Fußball ist ein Kollektivsport“, sagt ein junger Mann am Nebentisch vor | |
dem Spiel England gegen Kolumbien. „Und inzwischen ein egalitäres Spiel. Es | |
ist egal, wie du aussiehst und wo du herkommst, meint das. Die Hauptsache | |
ist: Du spielst gut. | |
Gut spielen wiederum ist (auch) eine Definitionsfrage: Für die einen zählt | |
das technische Können mehr, für die anderen ist es der Punch, der | |
Killerinstinkt vor dem Tor, die Spielübersicht oder das Taktische. Die | |
Lieblingsspieler wiederum kennt man von den großen Clubs; jetzt stecken sie | |
plötzlich in anderen Trikots und haben Mannschaftskameraden, die sonst | |
Gegner sind, und umgekehrt. So ist man für Argentinien wegen Messi. | |
Aber Argentinien ist ausgeschieden. Portugal auch. Die Deutschen sind schon | |
lange raus (was der allgemeinen Begeisterung vor den Spätis keinen Abbruch | |
tut). Für wen sind wir denn jetzt? | |
Keine Ahnung. Wir entscheiden von Spiel zu Spiel. | |
10 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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