# taz.de -- schriften zu zeitschriften: Blödheit der Moderne | |
> Die Zeitschrift „Wespennest“ nimmt eine Vermessung des Schwachsinns vor | |
Jede Zeit wird von der Idiotie regiert, die sie verdient. Auf dem Titel der | |
Frühsommer-Ausgabe der Zeitschrift Wespennest reckt uns ein süßes Kätzchen | |
seine niedlichen Pfötchen entgegen; die Frage, ob der Katzenvideovirus | |
Ausdruck des Schwachsinns sozialer Medien-Natives ist oder vielleicht doch | |
höhere Schwarmintelligenz, wollen die Herausgeberinnen Andrea Roedig und | |
Sandra Lehmann in der Schwebe gehalten wissen. Wie man ohnehin, liest man | |
sich durch den Idiotie-Schwerpunkt der Zeitschrift, von der arroganten | |
Haltung lassen sollte, dass idiotisch immer nur die anderen sind. Per | |
definitionem, so hält es das Editorial fest, kennt der Dumme seine blinden | |
Stellen nicht und kann sich daher auch streng genommen nicht für einen | |
Idioten halten. Wenn ihn doch ein leiser Verdacht beschleicht, wäre dies | |
ein Zeichen seiner Weisheit. | |
Der Ausgabe geht es um die Vermessung des Schwachsinns in den | |
gesellschaftlichen Verhältnissen – in der Welt der Politik, in der die | |
Idiotie staatstragend geworden ist; in der Finanzwirtschaft mit ihrer | |
krisenverschärfenden Ratingagentur- und Algorithmengläubigkeit; im Kosmos | |
des Büroalltags, in dem Angestellte durch Managementbullshit und | |
kapitalistisch getriebene Sinnlosigkeitsproduktion terrorisiert werden; in | |
der Welt des gedopten Leistungssports, der sich als Spiegel einer | |
Gesellschaft erweist, in der biotechnologische Körpermanipulation als | |
Zugewinn an Freiheit begriffen wird. Und nicht als Unterwerfung unter ein | |
körperindustrielles Regime, das uns auf ewig leistungssteigernd im Griff | |
hat. | |
Wenn man als Berlinerin zur Gentrifizierung eigentlich lieber nichts mehr | |
lesen wollte, so schafft es Sabine Scholl doch wunderbar, am Beispiel ihres | |
Wohnhauses in Prenzlauer Berg mit staunend-resignierender Präzision den | |
Irrsinn in progress zu erfassen, der sich mit dem Satz verbindet, Berlin | |
entwickelt sich. | |
Die Zeitschrift leistet aber mehr als eine Phänomenologie des Schwachsinns | |
der Gegenwart. Was man dank dieser Texte zur Kenntnis nehmen kann, ist | |
etwas Bedrohliches – die Idiotie unserer Zeit wird in ihrer | |
hamsterradähnlich unentrinnbaren Systemimmanenz und auch jenseits ihres | |
personifizierten Gipfels Donald Trump zunehmend zerstörerisch. Ob dies | |
jedoch ein allzu aktualitätsfixierter Alarmismus ist, auch über diese Frage | |
lässt sich mit dem Wespennest nachdenken. | |
In Texten, die sich der Welt der Literatur und Philosophie zuwenden, werden | |
Traditionslinien des Nachdenkens über Dummheit kenntlich gemacht, wodurch | |
auch die grundlegende Frage präziser bestimmbar wird, was Idiotie überhaupt | |
ist – von Gustave Flaubert, der lange vor Horkheimer/Adorno die aufgeklärte | |
Vernunft als neue Blödheit der Moderne diagnostizierte, bis Sören | |
Kierkegaard, der Dummheit als defizitäres Selbstverhältnis analysierte, das | |
sich nicht über Endlichkeit und Notwendigkeit hinaus zu entwerfen wagt. Wie | |
sich das mit der Systemlogik des Kapitalismus verbunden findet, der laut | |
Sandra Lehmann definitiv dumm ist, lese man im Heft nach. | |
Es wird nicht zuletzt auch an die hellsichtige Kehrseite der Idiotie | |
erinnert, sei es in der sokratischen Denkfigur gegen die Dummheit – wissen, | |
dass man nicht weiß – oder den historisch zahlreichen Narrenfiguren, durch | |
deren Irrwitz und Ignoranz die Wahrheit der Verhältnisse hervorgetrieben | |
wird. Oder doch eher wurde? | |
„Hat die schrille Gegenwart der Blödmaschinen nicht längst das subversive | |
Potential der Torheit aufgesogen und in reine Destruktionsenergie | |
verwandelt?“, fragt Lukas Hammerstein angesichts der Parade der | |
Narrenkappen in der hohen Politik. Möglicherweise markiert sich hier | |
tatsächlich die alarmierende Differenz der Gegenwart zur Vergangenheit. Ein | |
Außerhalb der Idiotie scheint unserer Zeit abhanden gekommen. Eva Berger | |
„Wespennest. Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder“, Nr. 174, 112 S., | |
12 Euro | |
12 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Eva Berger | |
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