# taz.de -- „Kein neuer Zwang zur DDR“ | |
> Frédéric Bußmann ist seit Mai Generaldirektor der Kunstsammlungen | |
> Chemnitz. Ein Gespräch über die Stadt der Moderne und die Kunst der | |
> Autodidakten | |
Bild: Dauerausstellung „Karl Schmidt-Rottluff. Gemälde und Skulpturen“ in … | |
Interview Sarah Alberti | |
taz: Herr Bußmann, als Kurator in Leipzig haben Sie zuletzt vor allem | |
zeitgenössische Kunst gezeigt. Werden Sie das in Chemnitz fortsetzen? | |
Frédéric Bußmann: Das wird sicherlich ein Schwerpunkt werden, aber ich | |
möchte aus den Kunstsammlungen keine reine Ausstellungshalle für | |
zeitgenössische Kunst machen. Ich habe meine Doktorarbeit über das 18. | |
Jahrhundert geschrieben, auch viel zum 19. Jahrhundert gemacht und fühle | |
mich in den verschiedenen Epochen wohl. Da haben die Kunstsammlungen großes | |
Potenzial: Es gibt wenige Sammlungen, die so gute Bestände zum | |
Expressionismus haben. Aber auch in anderen Bereichen wie dem Textil | |
verfügen sie über weltweit anerkannte Bestände. Das möchte ich stärker | |
sichtbar machen. Auch in der zeitgenössischen Kunst ist Textil ein | |
wichtiges Thema. Derzeit stellen wir Textilarbeiten von Daniel Buren aus. | |
Auch die Zeit nach 45, die sogenannte „Ostmoderne“, Architektur und | |
Formgestaltung in der DDR wird stärker eine Rolle spielen. | |
Wo sehen Sie das Entwicklungspotenzial der Kunstsammlungen Chemnitz? Die | |
Oberbürgermeisterin formulierte, Sie hätten mit „frischen Ideen“ überzeu… | |
Ich werde nicht alles neu machen. Die Dinge, die gut laufen, sollen | |
Kontinuität haben. Meine Vorgängerin Ingrid Mössinger hat ein erfolgreiches | |
Ausstellungsprogramm hingelegt und es gibt keinen Grund, mich davon zu | |
distanzieren. Chemnitz nennt sich „Stadt der Moderne“. Es gibt wenige | |
Städte, die die Brüche des 20. Jahrhunderts so deutlich im Stadtbild in | |
sich tragen. Mit den Energien, die aus diesen Brüchen entstehen, möchte ich | |
noch stärker arbeiten. | |
Was heißt das konkret? Mehr Kunst im öffentlichen Raum? | |
Kunst im öffentlichen Raum kann gut sein, muss aber nicht. Mit geht es eher | |
darum, was die Leute hier bewegt. Wie man etwa mit dem Leerstand umgegangen | |
ist, mit der schrumpfenden Stadt. Eine erste Idee ist, eine Art | |
Experimentierraum zu haben und eventuell auch mit der lokalen Szene zu | |
arbeiten. Die Stadt ist in bestimmten Bereichen noch „unfertig“, man kann | |
viel gestalten. Vielleicht ist eine Künstlerresidenz oder ein | |
Atelierprogramm sinnvoll, das Künstlern Raum bietet, den sie etwa in Berlin | |
und Leipzig nicht mehr haben. In den 70er und 80er Jahren gab es hier eine | |
anarchische, quirlige Szene, die in den Bereichen Musik, Performance, Film | |
und bildende Kunst relativ rücksichtslos auf etablierte Normen einfach | |
gemacht hat. Dem möchte ich auf die Spur kommen, vielleicht mit einer Art | |
Zentrum für autodidaktische und nonkonforme Kunst. Drei von vier | |
Brücke-Künstlern kommen aus Chemnitz oder sind hier aufgewachsen, auch die | |
sind Autodidakten. Wir haben das Archiv von Carlfriedrich Claus. Er war | |
ebenfalls Autodidakt und ganz wichtig für die DDR-Szene und darüber hinaus. | |
Das geht bis zu Carsten und Olaf Nicolai, die heute von der Leipziger | |
Galerie Eigen + Art vertreten werden. | |
Der Umgang mit Kunst aus der DDR ist in vielen Museen jüngst intensiv | |
diskutiert worden. Wie stehen Sie dazu? | |
Die Frage ist: Muss jedes Museum, das auf dem Gebiet der ehemaligen DDR | |
liegt, eine Abteilung „Kunst in der DDR“ haben? Da bin ich skeptisch. Es | |
sollte kein neuer Zwang, etwas zur DDR machen zu müssen, aufkommen. Museen | |
müssen immer aus der eigenen Sammlung heraus argumentieren können. Was ist | |
denn DDR? Lässt die sich unter ein Label packen? Das würde man in dieser | |
Form in westdeutschen Museen auch nicht machen. Es geht um die Anerkennung | |
einer eigenständigen Kunstentwicklung im Osten Deutschlands, die aber in | |
der Regel in den Museen immer regional ausgeprägt ist. Wir haben in der | |
Region um Chemnitz bzw. Karl-Marx-Stadt den besonderen Fall, dass wir einen | |
Spannungsbogen aufbauen können: Zum einen gibt es hier die kulturpolitisch | |
staatsnahe Sammlung der Wismut. Zum anderen eben diese freiere Szene rund | |
um die Galerie oben und die Künstlergruppe Clara Mosch. | |
Inwieweit können und sollen Museen auch aktuelle gesellschaftliche | |
Stimmungen abbilden, einen öffentlichen Gesprächsraum darstellen? | |
Die Aufgabe von Museen ist nicht primär politisch, aber sie sollten aktiv | |
begleiten, wie sich eine Gesellschaft entwickelt. Angesichts von Themen | |
wie Rechtsextremismus, Rassismus oder Sexismus muss überlegt werden, wie | |
adäquat darauf reagiert werden kann. Es ist schon sehr viel geholfen, | |
wenn man überhaupt erst mal einen Raum schafft, in dem bestimmte Dinge | |
geäußert werden können. Der NSU war und ist etwa ein großes Thema in der | |
Stadt. Welche Wege haben wir, durch Kunst bestimmte Fragen und Themen, die | |
die Leute hier beschäftigen, aufzugreifen, auch bestimmte Ängste und Folgen | |
des Einigungsprozesses? Das sollten wir im Auge behalten, nicht nur hier im | |
Interview verkünden, sondern auch umsetzen, etwa auch durch Themensetzung | |
der Ausstellungspolitik. | |
15 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Sarah Alberti | |
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