Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Essen im Kollektiv
> Die Neohippie-Folkband Datashock denkt auf ihrem neuen Album „Kräuter der
> Provinz“ über Krautrock und kulturelle Aneignung nach
Bild: Datashock an langer Tafel
Von Tabea Köbler und Robert Henschel
Die Intention, die sich hinter der Musik des quer durch die Republik
verstreuten Kollektivs Datashock mit Wurzeln im Saarland verbirgt, ist
bewusst unklar gehalten, und das ist gut so. „Die Frage ist, ab wann es
absurd wird“, lautete auch der Titel ihres zweiten Werks, den das damals
noch zu dritt operierende Projekt 2004 veröffentlichte. Sein Debüt „6 x 7 =
42“, erschien im Jahr zuvor auf Doppel-Floppy-Disk, war damals ungewöhnlich
und wirkt heute so sperrig wie ein Zukunftsroman aus den fünfziger Jahren.
Um das Werk hören zu können, brauchte man ein Diskettenlaufwerk. Heute
haben Computer keine Diskettenlaufwerke mehr und Datashock sind auf acht
Mitglieder angewachsen.
Absurd und dadaistisch klingen Datashock nach wie vor. „Kräuter der
Provinz“ heißt ihr neues Album, naturwüchsig und kryptisch. Essen ist ein
Thema, wie die Titel „Halb-Halb, wie ein guter Kloß“ und „Schönster
Gurkenschwan“ suggerieren. Und die Provinz bleibt eher verschwommen. Die
Frage, um die das Album kreist, müsste man deshalb anders formulieren:
Woher kommt Sound? Schwingen irgendwo im Kontinuum des Klangs kleine
Erdpartikel mit, die auf eine Traditionslinie schließen lassen? Einerseits
verweist die Musik von Datashock damit auf eine Einordnung des Kollektivs
in eine Krautrock-Tradition, deren Wurzeln bis zurück in die sechziger
Jahre reichen. „Es geht um die Provinz, zu der man sich zählt, wenn man
Provinz als Peripherie von Sound versteht, um von dem Standpunkt aus etwas
zu sagen“, erklärt Ronnie Oliveras, der bei Datashock für Elektronik und
Klarinette zuständig ist.
Das repetitiv motorische Krautrock-Getrommel lässt sich auf Tracks wie
„Hullu, Gullu wir liefern Shizz.“ ebenso finden wie flimmernd hypnotische
Synthesizer-Experimente auf „Langusten Clown (am Atlantik)“. Auch der Hang
zur freien Improvisation, der bei Datashock zur Maxime des Musikmachens
überhaupt erhoben wurde, rückt das Kollektiv in die Nähe von
Krautrockbands. Und als wäre das nicht genug, veröffentlichen sie obendrein
auf Bureau B, jenem Label, das Alben von Harmonia, La Düsseldorf und
Cluster, auch im Ausland geschätzten Krautrockkünstlern, wieder
veröffentlicht. Sich aus diesem Einflussgebiet zu befreien könnte also
spätestens jetzt zu einem recht schwierigen Unterfangen werden.
Gleichwohl: Der Referenzrahmen Krautrock ist weder hermetisch
abgeschlossen noch ausschließlich selbstreferenziell. Und hier beginnt die
Tiefendimension dieser Überlegung zur Provinz, nämlich als Frage
kultureller Aneignung, die im Medium der Musik gestellt wird.
„Wir können in zwei Richtungen spielen: Wir werden immer eingeordnet in
diese Krautrockkultur, und in den Sechzigern war das mit der Aneignung ja
extrem wichtig, die sind alle gereist, haben gesucht, etwa in Algerien und
in anderen Gegenden von Afrika und Asien“, erläutert Oliveras, nur um kurz
darauf zu ergänzen: „Wir suchen kein Heil in ostasiatischer Spiritualität,
auch wenn das die Musik, aus der wir kommen, gemacht hat. Und vielleicht
ist das unsere Distanz zu der Musik, aus der wir kommen und der wir auch
sehr verhaftet sind.“
Gerade die fast zum äußersten Rand getriebene Unreglementiertheit im
Musikmachen, die das Kollektiv pflegt, wird an dieser Stelle spannend.
Jedes Datashock-Album ist das Ergebnis langen Experimentierens, ohne der
Musik bewusst eine Struktur vorgeben zu wollen – auf „Kräuter der Provinz�…
wird mithin auch das deutlich: Hier wird sich tastend in die Zwischenräume
von Musik und Geräusch vorgearbeitet. Und wenn die bewussten Strukturen
fehlen, treten dann nicht die unbewussten in den Vordergrund? Die eigenen
Prägungen und Einflüsse, die sich plötzlich in einer Bewegung der Finger
manifestieren und eine Melodielinie oder einen Rhythmus zutage treten
lassen.
Dann wird Musik zum Kommunikationsraum und Oliveras Überlegung zum
Gegenstand eines vielstimmigen Gesprächs: „Daher kommt vielleicht auch das
mit der Kulinarik auf dem Album – man sieht den Teller mit Essen und stellt
sich die Frage, wo fängt Aneignung denn an und wo hört sie auf?“
Es scheint fast so, als wäre es diese Auseinandersetzung mit dem Eigenen
und Fremden, die Datashock seit geraumer Zeit umtreibt. Immer wieder
tauchen kleine Versatzstücke auf, die darauf verweisen: Das 2011er Album
hieß „Pyramiden von Gießen“; auf dem Cover zum darauffolgenden Album „K…
Oase in Sicht“ findet sich eine Fotografie, die Mitglieder des Kollektivs
in ägyptisch anmutenden Kleidern zeigt. „Diesen ‚Anderen‘, der da
dargestellt wird, den gibt es ja gar nicht“, kommentiert Oliveras und
trifft damit dann doch wieder einen seltsam zeitgemäßen und zugleich
neuralgischen Punkt: Identitäten, die wir uns über den Mittler der Kultur
zurechtschustern, produzieren immer – mitunter völlig fiktive – Ausschlüs…
und Eingrenzungen. Das kann durchaus nachdenklich stimmen, vielleicht geht
es hier aber wirklich „nur“ ums Essen.
Datashock:„Kräuter der Provinz“ (Bureau B/Indigo)
Live: 8. August Chemnitz, „Marx Camp“
31 May 2018
## AUTOREN
Tabea Köbler
Robert Henschel
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.