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# taz.de -- Kumpel in der Hölle
> Regisseur Roberto Ciulli ist mit seinem Ensemble um die Welt gereist.
> Eine Heimat finden auch seine „Clowns unter Tage“ bei den Ruhrfestspielen
> nicht
Bild: Szene aus „Clowns unter Tage“
Von Benjamin Trilling
Die Naturlandschaft im Hintergrund, in der sich die Clowns begegnen, ist
nur hingepinselt. Vor der Kulisse aus Ruhr und qualmenden Schornsteinen
lassen sich die Gestalten mit Sonnenschirmen, kleinen weißen Stühlen und
einem Picknick-Korb nieder. Von der feinen Dame im Sommerkleid bis zum
Gastarbeiter mit einem symbolischen Koffer sind viele Typen vertreten.
Doch was wäre eine bunte Clownsclique ohne ihren autoritären Gegenpart,
den Weißclown? Der hat seinen Auftritt, als die Picknickgesellschaft das
Bier ausgepackt hat und wie die Schlote raucht. Wie ein Wärter fällt er
herrisch über die Clowns her und reißt ihnen die Zigaretten aus den Händen.
Sind die Gestalten am Ende Insassen einer geschlossenen Anstalt? Die oft
rätselhafte Inszenierung lässt das offen. Dann plötzlich stürzt sich die
Horde auf den Weißclown, bis er tot ist. So eigensinnig, so anarchisch
beginnt Roberto Ciullis „Clowns unter Tage“, bevor die Handlung in die
Unterwelt des Bergbaus verlegt wird.
Mit dieser „musikalisch-komischen Fahrt in die Tiefe“, so der Untertitel
von Ciullis und Matthias Flakes (Musik) Uraufführung am 7. Juni bei den
Ruhrfestspielen in Recklinghausen, knüpft der Altmeister nahtlos an seine
letzten Inszenierungen an, in denen der Clown bereits wie eine universelle
Figur auf der Bühne stand. In „Clowns 2 1⁄2“ (2015) verharren acht Komik…
im Altersheim, bevor Ciulli sie in „Clowns im Sturm“ in die Welt entlässt.
Der Theatermacher feierte in diesem April seinen 84. Geburtstag. Und er
schaut auf ein bewegtes Leben zurück: Der Italiener wuchs in einer
großbürgerlichen Familie in Mailand auf. Früh politisiert von der
entstehenden Studierendenbewegung, zog es ihn nach seiner Promotion über
Hegel an den Stadtrand, wo er mit erst 26 Jahren das Theater „El Globo“
gründete. 1965 folgte dann die nächste Etappe: Ciulli versuchte als
Gastarbeiter sein Glück in Deutschland, wo er als Fabrikarbeiter und
Fernfahrer tätig war.
Theater bedeutet für den Kosmopoliten Einmischung – für Unterdrückte, für
Minderheiten, für die, die auch im eigenen Land fremd sind. Das Ensemble,
das er 1980 in einem ehemaligen Kurhaus in Mülheim in seinem Theater an der
Ruhr ins Leben rief, lebte multikulturelles Theater, lange bevor etwa
Shermin Langhoff am Gorki-Theater migrantische Perspektiven auf die Bühne
brachte. Mit diesem Ensemble bereiste Ciulli 37 Länder, darunter Ägypten,
Algerien, Chile, Usbekistan oder den Iran, wo er 1999 ein
revolutionskritisches Stück aufführte.
In den letzten Jahren hat der Philosoph auf der Bühne Clowns wie Herr und
Knecht aufeinanderprallen lassen: Der Weißclown verkörpert die
Rationalität, die Macht, das Geld. Sein roter Gegenspieler lebt aus dem
Bauch heraus, anarchisch und rebellisch. Der Clown ist bei Ciulli ein
zeitloser Widerstandskämpfer. Und diese Lebenshaltung lässt er die Figuren
auch in seiner jüngsten Inszenierung demonstrieren, mit Gesten und wenig
Worten. Denn „Clowns unter Tage“ kommt mit wenig Sprache aus. Es wird
gesummt oder gezwitschert. Manchmal gesungen.
In den Abgrund geht es dabei sowohl sinnbildlich als auch ganz konkret. Das
Thema der diesjährigen Ruhrfestspiele hieß „Heimat“ – und gerade die
Arbeitswelt in den Zechen wird im Ruhrgebiet oft als Folklore glorifiziert.
Bei Ciulli gleicht diese Grubenfahrt einem Eintritt in die Hölle. „Lasst,
dir ihr eintretet, alle Hoffnung fahren“, wird auf die Leinwand projiziert,
ein Zitat aus Dante Alighieris „Inferno“, dem ersten Teil der „Göttlichen
Komödie“. Nicht der einzige historisch-literarische Bezug: Indem er den
Mythos von Orpheus und Eurydike zitiert, rückt Ciulli den Grubenalltag an
eine Unterwelt heran, die sprichwörtlich die Hölle von Zwang und Ausbeutung
ist. Jede identitätsstiftende Verklärung dieses düsteren Reichs unter Tage
als Heimat erscheint nun selbst wie ein Mythos.
In einer der Szenen, in denen Roberto Ciulli selbst auftritt, fragt er
einen der Clowns (gespielt von Volker Roos, der schon seit Jahren im
Ensemble mitwirkt): „Wie lange bist du schon hier unten bei mir?“ – „42
Jahre.“ – „Hast du Angst?“ Schweigen. 42 Jahre, das ist für einen Berg…
der wegen der Arbeitsbelastung keine hohe Lebenserwartung hat, wohl der
Zeitpunkt, Bilanz zu ziehen. Doch Angst zeigen diese Clowns nicht.
Ciulli, der immer dem Anderen auf der Bühne Geltung gab, rückt das
Sinnliche in den Vordergrund. Poetisch, manchmal kindlich, zum Beispiel,
wenn er die Kulisse vor der Höllenfahrt selbst auf eine Leinwand pinselt.
Für Ciullis Clowns existiert keine Heimat. Nur die Rebellion.
13 Jun 2018
## AUTOREN
Benjamin Trilling
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