Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Sehenswürdigkeiten an den Rändern
> In der Gruppenausstellung „Sightseeing the Real“ begeben sich Hamburger
> Fotografinnen und Fotografen auf die Suche nach der Sichtbarkeit
> städtischen Wandels
Bild: Betrachtet mit dem Bildprogramm der Romantiker im Hinterkopf: Hafencity
Von Leif Gütschow
Die Landungsbrücken, der Michel, die Reeperbahn: Übliche Verdächtige unter
den viel fotografierten Sehenswürdigkeiten, die in jedem Hamburger
Reiseführer zu finden sind. Zuletzt fand die Elbphilharmonie Einzug in die
Liste, um 2025 herum wird sich wohl ein himmelwärts strebender Elbtower,
geplant im noch recht unglamourösen Stadtteil Rothenburgsort, einreihen.
In dem an Rothenburgsort angrenzenden Hammerbrook, genauer: im Kraftwerk
Bille, zeigen aktuell elf Hamburger Fotografinnen und Fotografen Bilder von
Gebäuden und Orten, die im Baedecker oder auch dem Lonely Planet unerwähnt
bleiben dürften. Die KünstlerInnen der Gruppenausstellung „Sightseeing the
Real“ definieren die gezeigten Gebäude und Orte dessen ungeachtet als des
Sehens würdige Stätten.
Die Ausstellung ist Teil der siebten Hamburger Triennale der Photographie
und als Off-Veranstaltung in der Trafohalle des ehemaligen Kraftwerks auf
184 Quadratmetern Fläche angesiedelt. Das Motto „Breaking Point. Searching
for Change“ der diesjährigen Triennale steht hier als verbindendes Element
zwischen den Arbeiten.
In dem schön aufgemachten Faltblattkatalog zur Ausstellung wird die
gegenwärtige Digitalisierung als Epoche tiefgreifenden Wandels ähnlich
jener der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts ausgemacht. Dieser Wandel
wird innerhalb der Stadtgrenzen Hamburgs gesucht, wobei die Ausstellenden
„ihren Blick auf ihre Heimatstadt werfen, um diese jenseits
marketingtauglicher Bilder zu fotografieren“, wie die Fotografin Paula
Markert sagt.
Durchläuft man die Ausstellungshalle im Uhrzeigersinn, macht die Serie
„Grenzland“ von Kolja Warneke den Anfang. Warneckes Fotografien,
aufgenommen entlang der Verwaltungsgrenze Hamburgs, zeigen unsichtbare
Trennlinien in der Peripherie und werfen die Frage auf, wo die bierselig
besungene Perlenhaftigkeit der Stadt eigentlich anfängt und wo sie endet.
Bei dem Bild einer einzelnen Birke etwa, die sich über die klassische
Demarkationslinie eines Flusses neigt, ist unklar, ob sie sich auf die
Stadt zu oder von ihr weg bewegt.
Geografisch zentraler angelegt sind die Fotografien von Jonas Fischer über
Lücken und Leerstellen in der Innenstadt, die für kurze Zeit durch den
Abriss von Gebäuden der Nachkriegsmoderne entstehen. Fischer versteht
„Improvement District“ als eine archivalische Arbeit, für die er zudem mit
einer App 3-D-Simulationen erzeugt, die es den Betrachtenden ermöglichen,
durch nicht mehr existente Gebäude hindurchzufliegen.
Der Videoloop erinnert in seiner Computerspielästhetik voller den Bildraum
verwischender Glitches an alte Ego-Shooter wie Doom oder Duke Nukem 3D aus
den 1990er-Jahren. Durchaus passend für einen Teil der Stadt, in dem sich,
wie Fischer sagt, „Investoren Level für Level durchspielen“.
Betont sachlich blickt Stefan Becker in seiner Serie „Asyle“ auf
Flüchtlingsunterkünfte, die durch die Umnutzung von Gebäuden entstanden,
welche einst andere Funktionen erfüllten. Auf seinen zwölf Fotografien
sind, unter anderem, eine ehemalige Postfiliale, eine alte Kirche und
backsteinrote Reihenhäuser zu sehen. Ähnlich wie die Fördertürme von Bernd
und Hilla Becher sind die Gebäude formatfüllend und in neutralem Licht
aufgenommen. Über die Serialität der Bilder öffnet sich bei der Betrachtung
der Blick für das strukturelle Moment gegenwärtiger Not bei Flucht und
Zuwanderung.
In den Bildern von Paula Markert finden sich zehn Alltagsszenen aus dem
häufig problematisierten Stadtteil Steilshoop. Ihre Serie „Ring/Halqa“
zeigt Menschen unterschiedlicher Herkunft, die in institutionellen Räumen
wie Kirchen, Moscheen und dem örtlichen Suppentreff ihr Zusammenleben
gestalten. Architektonischer Rahmen dieses interkulturellen
Zusammentreffens, das in Markerts Inszenierung fast einer Bühnensituation
gleicht, sind die ringförmig gebauten Großwohnsiedlungen in Steilshoop,
Zeugen einer längst vergangenen Utopie der Wohnraumplanung. In dem
doppelten Titel liegt ein Schlüssel zur Rezeption: In Marokko wird die
räumliche Verteilung von Zuschauern und Künstlern, der Kreis, zu dem sich
die Neugierigen um das Zentrum der Darbietungen schließen, als Halqa
bezeichnet.
Enver Hirsch und Philipp Meuser zeigen in ihrer Gemeinschaftsarbeit
„Extra-Bau e. V.“ sogenannte Behelfsheime, die ab 1943 und nach dem Krieg
als kostengünstige Antwort auf die Wohnungsnot im zerstörten Hamburg
innerhalb von Kleingartenkolonien errichtet wurden. Der 22 Quadratmeter
große „Reichseinheitstyp“ wurde nach und nach mit viel kreativem Aufwand
umgebaut und erweitert.
Inzwischen verschwinden die Behelfsheime. Etwa 700 dieser Wohnhäuser soll
es noch geben. Auf die abermals an die Aufnahmen des Ehepaares Becher
erinnernden Außenfotografien der Behelfsheime folgen Innenansichten. Diese
zeigen fantasievolle Do-it-yourself-Verbastelungen eines Kleinbürgertums,
dem seit den 1970er-Jahren nach und nach der Lebensraum genommen wird. Leer
stehende Häuser werden von der Stadt auf ihre Grundmaße zurückgebaut,
sanitäre Einrichtungen dabei entfernt.
Auch in den übrigen Fotoserien von Peter Bialobrzeski („Dockland“), Henrik
Spohler („Sektor“), Andreas Hopfgarten („Dark City“), Julia Knop
(„Spaldingstraße, City Süd“) und Roman Bezjak („Mundsburg“) werden
reizvolle Kontraste sichtbar. Sie zeigen die Diskrepanz zwischen
stadtplanerischen Entwürfen und dem letztlich kaum planbaren Werden und
Gestaltannehmen öffentlicher Räume in einer Großstadt durch die Neu- und
Umdeutungen ihrer BewohnerInnen. So gelingt es der Ausstellungsgruppe
eindrucksvoll, vielfältige Perspektiven auf den städtischen wie
gesellschaftlichen Wandel im Zeitalter der Digitalisierung zu eröffnen.
„Sightseeing the Real“, Gruppenausstellung, bis zum 17. 6.; Finissage am
17. 6., ab 16 Uhr; Kraftwerk Bille, Bullerdeich 12–14
13 Jun 2018
## AUTOREN
Leif Gütschow
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.