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# taz.de -- Die Wahrheit: Scooterman verliert einen Nachbarn
> Plötzlich wird ein Bekannter weggebracht. Vielleicht in ein Heim oder
> irgendwohin, wo er sein Zimmer niemals mehr auf Dauer verlassen wird.
Gerade an den Gestaden der Spree, wo der Scooterman in einer gänzlich
barrierefreien Behindertenwohnung lebt, kann man sich auf das Gehen der
Menschen nur selten so vorbereiten, wie es eigentlich angemessen wäre.
Meistens kündigt sich das Gehen eines Nachbarn nämlich völlig profan an.
Dann steht ein Lieferwagen an der Straße, in den ein Fahrer und ein paar
eilends zusammengekarrte Verwandte des Gehenden dessen weltlichen Besitz
einladen.
Haben Sie sich eigentlich jemals Gedanken darüber gemacht, wie wenig Besitz
von Ihnen übrig bleiben wird? Machen Sie das besser nicht. Ganz trübsinnig
kann einen das machen. Vor allem sollte man zügig verdrängen, wohin die
Fahrt geht. Nicht selten nämlich endet sie in einem Heim oder einem
vergleichbaren Ort, wo der ab sofort ehemalige Nachbar des Scooterman in
irgendein Zimmer gelegt wird, das er niemals mehr auf Dauer verlässt. Es
sei denn, er heißt Uma Thurman und spielt die Hauptrolle in „Kill Bill“.
Und auch mit der möchte man eigentlich nicht tauschen. Immer diese
Schlägereien mit diesen Japanern.
Neulich stand ein Transporter drei Eingänge von demjenigen entfernt, hinter
dem sich auch die Wohnung des Scooterman befindet. In ihn geladen wurden
ein paar Kartons, die Herrn Elias gehören. Der in Wirklichkeit ganz anders
heißt. Aber wer so kühl aus der Gemeinschaft aussortiert wird, der soll
sich wenigstens an einem warmen Namen laben können. Findet jedenfalls der
Scooterman.
Also schob er sich zwischen den Wagen und seinen Nachbarn. Der wirkte
überfordert. Man muss ihm allerdings zugute halten, dass er 88 Jahre alt
ist. Schwerbehindert durch eine Kinderlähmung, ließ er sich nicht abhalten,
sein Leben lang täglich mehrere Kilometer an seinen beiden Stöcken durch
die Gegend zu spazieren. Erst der Tod seiner Frau vor drei Jahren schien
ihm den Lebensmut zu nehmen. Seitdem grüßte er nur flüchtig im
Vorübergehen. Zu längeren Gesprächen kam es eigentlich nur noch, wenn er
dem Scooterman eine seiner Luftpumpen lieh. Die Reifen des Handrollstuhls
verloren nämlich kontinuierlich Luft. Bis an energisches Bremsen nicht mehr
zu denken war.
So. Nun wird Scooterman noch ein bisschen auf seinen Balkon rollen. Und in
einer Stunde wird er sich subkutan sein Mittel gegen die Multiple Sklerose
spritzen. Etwas später wird er dann von den Nebenwirkungen wieder blöd im
Kopf werden. Hoffentlich nicht ganz so schlimm wie vor zwei Tagen. Da war
er sich nämlich so sicher, dass er vom Spätdienst noch um 180 Grad gedreht
werden müsste, dass er Streit mit den Helfern anfing. Den überarbeiteten
Helfern blieb nichts anderes über, als ihn telefonisch auf eine
Bereitschaftsliste zu setzen. Hätte er in dieser Nacht um Hilfe gebeten,
wäre die flink angerückt. War aber nicht nötig. Genau wie der ganze Streit.
Der Scooterman ist schließlich nicht Uma Thurman und prügelt sich dauernd
mit Japanern.
7 Jun 2018
## AUTOREN
Knud Kohr
## TAGS
Scooterman
Multiple Sklerose
Scooterman
Scooterman
Pflege
Multiple Sklerose
Multiple Sklerose
Scooterman
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