# taz.de -- „Man fühlt sich oft allein gelassen“ | |
> Für Martin Reiling ist Essen ausliefern ein Vollzeitjob. Er liebt das | |
> Radfahren, doch die Arbeitsbedingungen bei Foodora könnten besser sein – | |
> jetzt will er im Betriebsrat dafür kämpfen | |
Interview Annika Lasarzik | |
taz: Herr Reiling, warum haben Sie sich bei Foodora beworben? | |
Martin Reiling: Eigentlich programmiere ich Computersoftware, doch vor ein | |
paar Monaten wurde die Auftragslage schlechter und ich musste mir ein | |
zweites Standbein suchen. Ich habe alles Mögliche gemacht, im Hafen | |
gejobbt, im Lager bei Amazon – aber der Job als Fahrradkurier ist besser: | |
Rad fahren macht den Kopf frei, das ist ein guter Ausgleich zur Arbeit am | |
PC. Außerdem kann ich mir die Schichten flexibel legen. Ich programmiere | |
zwar immer noch, inzwischen allerdings nur noch nebenher. | |
Und jetzt, ein halbes Jahr später – wie zufrieden sind Sie mit dem Job? | |
Das Radfahren liebe ich, doch inzwischen gibt es einige Dinge, die mich | |
stören. Man fühlt sich als Fahrer oft allein gelassen und vor den Kopf | |
gestoßen. Die Kommunikation nach oben, zu den Vorgesetzten, ist schlecht, | |
wir bekommen ja nie einen Chef zu Gesicht: Die „Dispatcher“ in der Zentrale | |
sind zwar die Ansprechpartner, wenn es während einer Schicht Probleme gibt, | |
etwa dann, wenn ein Kunde mal die Tür nicht aufmacht oder ich einen Platten | |
habe. Doch das sind unmotivierte Leute, die nicht wirklich weiterhelfen | |
können. Die kennen die Arbeit auf der Straße nicht, sitzen eh alle in | |
Berlin und kennen sich in Hamburg nicht aus. Oft werde ich zu Restaurants | |
geschickt, die es gar nicht mehr gibt oder die gerade geschlossen sind. Das | |
nervt. | |
Und an wen wenden Sie sich, wenn Sie grundsätzliche Probleme haben? | |
Es gibt zwar die „Rider Captains“, erfahrenere Fahrradkuriere, die uns bei | |
der Einstellung quasi als Mentoren zugewiesen werden, doch die meisten | |
kennen ihren Captain gar nicht, ich selbst musste wochenlang auf die | |
Zuweisung warten. Dabei hätte ich gerade in den ersten Tagen Unterstützung | |
gebraucht. Ich würde mir eine geregelte Einarbeitung wünschen und zwar „on | |
the job“. Ansonsten gibt es zwar eine zentrale Mail-Adresse, an die wir | |
Fahrer schreiben können, doch eine Antwort habe ich darüber auch nicht | |
immer erhalten. Oft bleiben Beschwerden irgendwo in der Kommunikationskette | |
hängen. | |
Was müsste noch an den Arbeitsbedingungen geändert werden? | |
Wir brauchen eine höhere Verschleißpauschale, schließlich sind wir selbst | |
für die Instandhaltung unserer Arbeitsgeräte, also Rad und Handy, | |
zuständig. Bis vor Kurzem musste ich noch 100 Euro pro Monat für | |
Fahrradersatzteile einplanen, Bremsen, Schläuche. Dann habe ich über 1.000 | |
selbst in ein besseres Rad investiert, doch noch immer fallen monatliche | |
Reparaturen an. Ich wünsche mir eine Pauschale pro gefahrenem Kilometer und | |
eine Unfallversicherung fürs Rad – so hätte ich mehr Planungssicherheit. | |
Unklar ist auch, was passiert, wenn mein Handy bei der Fahrt mal | |
runterfällt, kaputt geht. Außerdem ist die Qualität der Arbeitskleidung | |
schlecht. Wenn ich einen neuen Rucksack brauche, muss ich dem lange | |
hinterherrennen. | |
Sind die Probleme, die Sie beschreiben, nicht typisch für Start-ups? | |
Ja, ich sehe in Foodora auch nicht den bösen, neoliberalen | |
Ausbeuterbetrieb. Es gibt schlimmere Jobs und ich bin auch noch nicht so | |
weit, dass ich kündigen würde. Ich glaube, all diese Probleme sind Zeichen | |
von Überforderung – was es nicht unbedingt besser macht, denn wir Fahrer | |
leiden darunter. | |
Nun kandidieren Sie selbst für den Betriebsrat – warum? | |
Weil er gerade für Unternehmen wie Foodora eigentlich überfällig ist: Die | |
Distanz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern ist maximal groß, die | |
meisten meiner Kollegen kenne ich gar nicht. Durch eine ständige | |
Arbeitnehmervertretung gäbe es zumindest eine neue Kommunikationsebene, von | |
der beide Seiten profitieren würden: Die Mitarbeiter hätten einen | |
Ansprechpartner und Beschwerden würden die Chefetage überhaupt mal | |
erreichen. | |
Waren Sie selbst schon früher in Betriebsräten oder gewerkschaftlich aktiv? | |
Nein, ich habe Betriebsräte zwar in anderen Unternehmen erlebt, aber oft | |
hat mir deren Arbeit nicht gefallen. Da wurden unrealistische Forderungen | |
gestellt, es gab „Profi-Betriebsräte“, die ihren eigentlichen Job im | |
Betrieb aufgegeben und so den Kontakt zu den Arbeitern verloren haben. | |
Darum kandidiere ich selbst: Weil ich vermeiden will, dass es bei uns auch | |
so weit kommt. | |
Einige Kollegen wollen im Betriebsrat auch gegen die sachgrundlose | |
Befristung kämpfen – Sie auch? | |
Nein, ich habe mich mit der Befristung abgefunden. Und ich glaube auch | |
nicht, dass der Betriebsrat der richtige Ort ist, um diesen Kampf | |
auszufechten. So lange die Politik es erlaubt, werden Unternehmen solche | |
Verträge anbieten – es ist Aufgabe der Gewerkschaften, gegen Befristungen | |
und für höhere Löhne zu kämpfen. Leider haben die meisten Gewerkschaften | |
die wirtschaftliche Entwicklung verschlafen, New-Economy-Unternehmen wie | |
Foodora hatten die lange nicht auf dem Zettel. Insofern freut es mich, dass | |
die NGG uns nun bei der Gründung des Betriebsrates unterstützt. | |
Glauben Sie, dass es schwer wird, weitere Mitarbeiter von Foodora für den | |
Betriebsrat zu interessieren? | |
Das Problem ist, dass viele Fahrer zu kurz bei Foodora arbeiten, um sich | |
wirklich in den Betriebsrat einbringen zu können. Die Fluktuation ist hoch, | |
die meisten bleiben etwa vier Monate und sind dann wieder weg. Und | |
natürlich sind viele junge Leute dabei, denen diese Idee der Vernetzung | |
fremd ist – trotzdem bin ich zuversichtlich. | |
Haben Sie das Gefühl, dass Foodora Ihre Initiative unterstützt? | |
Natürlich befürchte ich, dass die uns gerade nur belächeln und gar nicht | |
ernst nehmen. Doch bislang spüren wir keinen Widerstand. Ich glaube schon, | |
dass die Unternehmensführung die Arbeitsbedingungen verbessern will: Als | |
ich mal eine wütende E-Mail geschickt habe, weil ich zu Beginn | |
10-Stunden-Schichten fahren musste, wurde direkt ein Vertreter aus Berlin | |
nach Hamburg geschickt, um mit mir zu reden. Seitdem sind die Schichten | |
generell nur noch maximal sechs Stunden lang. Der gute Wille ist da – doch | |
an der Struktur hapert es. | |
2 Jun 2018 | |
## AUTOREN | |
Annika Lasarzik | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |