# taz.de -- tazâđŸthema: Arbeit am schwarzen Utopia | |
> Reynaldo Anderson greift mit seinem Black Speculative Arts Movement den | |
> Afrofuturismus auf und schafft so eine neue schwarze kulturelle | |
> GegenerzÀhlung | |
Von Philipp Rhensius | |
In den euroamerikanischen GeschichtsbĂŒchern folgt auf die Epoche der | |
Sklaverei die postkoloniale Diaspora, als seien die damit verbundenen | |
Menschheitsverbrechen gegen die Betroffenen nicht mehr als | |
KollateralschÀden der Historie. Dass die Geschichten der vorwiegend in die | |
USA verschifften afrikanischen Sklaven lange systematisch ignoriert wurden, | |
spielt erst seit dem Postkolonialismus eine Rolle, der die Gewalt des | |
Imperialismus infrage stellte. | |
Seit Jahrzehnten arbeiten schwarze, vorwiegend US-amerikanische | |
MusikerInnen, TheoretikerInnen und KĂŒnstlerInnen daran, nicht nur die | |
institutionalisierte Löschung der afroamerikanischen Geschichte zu | |
verhindern, sondern sich auch der westlichen hegemonialen Perspektive zu | |
entziehen. Absurderweise fehlte lange ein markanter Sammelbegriff. | |
Auch deshalb, aber vor allem, weil ihre Ideen als Protest gegen den offenen | |
Rassisten Donald Trump und den auch in Europa wiedererstarkten | |
strukturellen Rassismus wichtiger denn je sind, schrieb der US-Professor | |
Reynaldo Anderson 2017 das Manifest âBlack Speculative Arts Movementâ | |
(BSAM). Mit dem von John Jennings entlehnten Begriff fasst Anderson | |
Bewegungen wie Magischer Realismus, Afro Surrealism, Ethno Gothic zusammen | |
und nicht zuletzt die wohl bekannteste AusprÀgung einer spekulativen | |
schwarzen kulturellen GegenerzĂ€hlung â den Afrofuturismus. WĂ€hrend der | |
Jazzmusiker und Afrofuturist Sun Ra einen Planeten erfand, auf den ihm | |
seine SchicksalsgenossInnen folgen sollen, ging es afrofuturistischen | |
Literaten wie Octavia Butler um eine neue, von der weiĂen Mehrheit | |
unabhÀngige Geschichtsschreibung. Die AnsÀtze der BSAM-VertreterInnen sind | |
divers, verfolgen aber alle ein gemeinsames Ziel: an ihrer eigenen, | |
alternativen Version der Vergangenheit, Gegenwart und (utopischen) Zukunft | |
zu schreiben. | |
BSAM ist Anderson zufolge ein panafrikanisches Projekt schwarzer | |
Selbstbestimmung, das im Windschatten der neuen sozialen Medien, der | |
Globalisierung und der Finanzkrise 2008 entstand. Im Zentrum steht die | |
Ablehnung des Hegelâschen Mythos, Sklaven hĂ€tten keine Geschichte, aber | |
auch die Ăberwindung jener âColor Lineâ, die nach dem US-Philosophen W. E. | |
B. Du Bois die Grenze ist, durch die sich Schwarze in weiĂen | |
Mehrheitsgesellschaften wie AuĂenseiter fĂŒhlen. | |
## Beispiel âBlack Pantherâ | |
Anderson updatet dabei auch gleich besagten Afrofuturismus, versieht ihn | |
mit dem Postfix 2.0, um ihn von der eurozentrischen Perspektive zu | |
emanzipieren â stammte der Begriff doch ursprĂŒnglich vom weiĂen | |
Kulturkritiker Mark Dery aus seinem Essay âBlack to the Futureâ von 1993. | |
Jenes 2.0, also die fortgeschrittene kulturelle Emanzipation mittels | |
Technik, die sich in den Neunzigern schwarze Technomusiker aneigneten, fand | |
ihren bekanntesten Ausdruck jĂŒngst in der Comic-Verfilmung âBlack Pantherâ. | |
Als Collage vieler BSAM-Ideen hat die Mainstreamproduktion dem PhÀnomen | |
eine ungeahnte Bekanntheit beschert. Sie handelt vom fiktiven afrikanischen | |
Staat Wakanda, der mit seiner Geschlechtergerechtigkeit, avancierten | |
Technologien und einer intellektuellen Gesellschaft ein schwarzes Utopia | |
ist. | |
Auch im Pop ist die Bewegung angekommen: So inszeniert sich die | |
US-amerikanische Musikerin Janelle MonĂĄe als Android, die feste kulturelle | |
und sexuelle Zuschreibungen ĂŒberwunden hat. Auf ihrem aktuellen Album | |
âDirty Computerâ als heldenhafte Cyborg-Figur, die gegen eine futuristische | |
Dystopie kÀmpft. | |
WÀhrend Monåe Massen anzieht, veröffentlichten die US-Musiker Ras G & The | |
Afrikan Space Program mit ihrem aktuellen Album âStargate Musicâ | |
afrofuturistische Frickel-Beats. Seine stolpernden, stets aus der schwarzen | |
Musikgeschichte zusammengesetzten Tracks erzÀhlen von Reisen auf ferne | |
Planeten, die immer wieder ausfransen und dazu auffordern, sich eine eigene | |
Welt zu imaginieren. Ras G pendelt zwischen radikaler Introspektion und | |
expansivem Ausdruck â und schafft das, was Kodwo Eshun âSonic Fictionâ | |
nennt, also alternative Wirklichkeiten, die sich ĂŒber Sound ausdrĂŒcken. | |
MonĂĄes schrille Pop-, Ras Gs weirde KlĂ€nge und die Bildgewalt âBlack | |
Panthersâ eint vor allem eines: der Mut und die Leidenschaft, der | |
historischen Auslöschung entgegenzuwirken, radikale GegenerzÀhlungen zu | |
schaffen â etwas, das der US-Autor Greg Tate treffend âerasing the erasureïżœ… | |
nennt. | |
Reynaldo Anderson/Charles E. Jones: âAfrofuturism 2.0: The Rise of | |
Astro-Blacknessâ, Lexington Books 2017, 240 S., ca. 35 Euro | |
19 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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