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# taz.de -- taz🐾thema: Ungeschönt und ehrlich
> Naturweine sind im Trend. Den Fans der ungewöhnlichen Weine geht es nicht
> nur um Nachhaltigkeit, sondern auch um den besonderen Geschmack – und
> Spaß am Entdecken
Bild: Schwer angesagt: Reibungsenergie direkt vom Berg
Von Michael Pöppl
Dieser trübe Wein ist eine echte Zumutung. Den ersten Eindruck bekommt die
Nase: Nichts Liebliches, keine Fruchtnoten, es riecht streng. Eine Mischung
aus verrotteten gelben Früchten, ein Hauch von feuchtem Zement, ein wenig
Stall ist auch dabei. Auf der Zunge schmeckt man dann pure bittersüße
Stachelbeere, kalkige Mineralien und eine freche Säure. Ein ganz eigener
Tropfen, dieser italienische Cancelli Bianco, er passt mit seiner Rauheit
zu den Abruzzen, der hoch gelegenen Gegend, aus der dieser Wein stammt. Das
Gut Vini Rabasco produziert dort schon in der zweiten Generation
ungefilterte biologische Naturweine, die in Spontanvergärung und ohne
Zusätze abgefüllt werden.
Eingeschenkt hat diese Zumutung Julia Giese, die zmit Freund Etienne Dodet
das JAJA in der Neuköllner Weichselstraße betreibt. „Schascha“ ist
französischer Slang für den Apéro, den man sich mit Freunden zum Feierabend
gönnt. Und das ist auch die Grundidee. Kleine Weinportionen à 125
Milliliter Naturwein kommen hier ins Glas, ideal als Aperitif oder
Begleitung zu mehreren kleinen Gängen. Jeden Abend gibt es eine neue offene
Auswahl von sieben Sorten, die biologisch oder sogar biodynamisch
hergestellt werden. Natürlich kann man auch eine ganze Flasche bestellen,
rund 300 davon stehen im Regal. „Der Spaß liegt vor allem im Entdecken und
Probieren“, sagt Giese. 6 bis 7 Euro kostet das Glas, ab 23 Euro die
Flasche, nicht gerade billig. Aber die Weine stammen meist aus kleinen
nachhaltigen Familienbetrieben, da stecken viel Liebe und Handarbeit drin.
Orange Wine, Naked Wine oder auch Raw Wine – Naturweine sind im Moment das
große Thema in der internationalen Weintrinkerszene. Das hat zum einen
gesundheitliche Gründe. Bis zu 70 Zusatzstoffe dürfen bei normalem Wein
enthalten sein, die nicht angegeben werden müssen: darunter Kupfercitrat,
Gelatine, Aktivkohle – Stoffe, die tatsächlich der „Schönung“ dienen, a…
der Filterung des Weins. Dazu kommt kennzeichnungspflichtiges Sulfit für
längere Haltbarkeit, das allerdings im Verdacht steht, für Kopfschmerzen
nach dem Weingenuss verantwortlich zu sein.
## Eine Frage der Ethik
Den Fans des ehrlichen Tropfens geht es auch um Ethik, um fairen Umgang mit
der Natur und denen, die den Wein produzieren. In der Markthalle Neun fand
Mitte Mai die „Raw Wine“ statt, ein Messekonzept, das auch in London, New
York und Los Angeles ein Besuchermagnet ist. Über 150 internationale Winzer
und Weingüter, die sich auf Naturweine spezialisiert haben, präsentierten
ihre Naturweine in Kreuzberg; dazu kamen über 1.500 interessierte Besucher.
Und schon am 17. Juni werden erneut bei der „Wine Rush Berlin“ rund 50
Winzer aus ganz Europa ihre Naturweine auf dem Holzmarktgelände in
Friedrichshain präsentieren.
Begonnen habe der Trend zu Naturweinen in Frankreich vor mehr als zehn
Jahren, sagt Julia Giese. In ihrer Bar Udo in Paris, in der das junge Paar
einen kulturell-kulinarischen Austausch in Form von deutschem Bier und
Currywurst anbot, hätten sie bereits nur Naturweine ausgeschenkt: „Wir
kannten einige der Winzer persönlich, es war für uns selbstverständlich,
selbst nur solche Weine zu trinken.“ In Berlin gibt es neben dem JAJA
inzwischen viele kleine Weinbars, die sich dem Naturwein verschrieben
haben. Sogar in prominenten Lokalen wie der Cordobar oder im Weinhaus Rutz
in Mitte stehen Naturweine auf der Karte, im Kreuzberger Sternerestaurant
Nobelhardt & Schmutzig, dessen Betreiber das Konzept „brutal regional“
predigen, wird nur Naturwein ausgeschenkt.
Ein „alter Hase“ im Naturweingeschäft ist Holger Schwarz vom Viniculture in
Charlottenburg. Seit über zwölf Jahren sammelt und verkauft er Naturweine
aus ganz Europa und beliefert viele gehobene Restaurants. Die Faszination
am besonderen Geschmack treibt den Weinhändler um: „Das ist immer wieder
eine Herausforderung, denn Naturwein fördert und fordert, das erzeugt
Reibungsenergie. Und die meisten Weinmacher sind ganz besondere Typen, so
wie ihre Weine“, sagt er. Weil ihm der Hype bei der Raw Wine zu viel war,
hatte er vergangenes Wochenende eine eigene Veranstaltung organisiert: Zur
„SAW“ im Kreuzberger Restaurant Kumpel & Keule lud er seine Lieblingswinzer
ein, die Abkürzung steht für „Sophisticated Artisanal Wines“.
„Raw allein genügt uns eben nicht, wir genießen lieber die elegante Seite
des Naturweins“, sagt Holger Schwarz und freut sich sichtlich. „Nur weil
man naturbelassen produziert, muss ein guter Wein noch lange keine Zumutung
sein.“
Die LPG verkostet am 31. 5. und 1. 6. Naturweine. Anmeldung:
lpg-biomarkt.de
19 May 2018
## AUTOREN
Michael Pöppl
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