# taz.de -- Zwischen Welt- und Innenraum | |
> Pareidolia erkunden musikalisch-experimentell das elektromagnetische | |
> Wellenspektrum von Gebäuden. Am Samstag macht das Duo das im Museum | |
> Kesselhaus Herzberge, das einst als Krankenhaus diente | |
Bild: Klänge aufspüren: Liz Allbee und Marta Zapparoli in musikalischer Aktion | |
Von Michael Freerix | |
Marta Zapparoli und Liz Allbee trafen vor Jahren im Splitter Orchester, | |
einem losen Verbund improvisierender Berliner Musiker, aufeinander. Später | |
bildeten sie im Verbund mit Kai Fagaschinski und Billy Roisz das | |
Impro-Quartett The Elks. Seit zwei Jahren nun treten Zapparoli und Albee im | |
Duo als Pareidolia auf, im Namen angelehnt an die Pareidolie: Die | |
bezeichnet das Phänomen, in Dingen und Mustern vermeintliche Gesichter und | |
vertraute Wesen zu erkennen, wie in der Oberfläche des Mondes etwa den | |
„Mann im Mond“ oder in Wolkenbildern. | |
Doch Zapparoli und Allbee sind keine Wolkengucker. Sie komponieren mit | |
Tönen, die sie aufspüren oder selber produzieren, um sie in klangliche | |
Momentaufnahmen zu verdichten. Zapparoli arbeitet dabei mit Empfängern, um | |
Radiosignale aufzuzeichnen, und Detektoren, die mit selbst gebauten | |
Antennen Töne aus der Luft „fischen“. Sie erzählt von der Erfindung des | |
elektrischen Stroms und der Geschichte der Antennentechnik, die mit dem | |
Forscher Heinrich Hertz beginnt, dem es 1886 als Erstem gelang, Strom in | |
elektromagnetische Wellen umzuwandeln und diese zielgerichtet von einem | |
Sender auf einen Empfänger zu übertragen. | |
Elektromagnetische Wellen werden von der Ionosphäre gespiegelt, was den | |
weltweiten Funkverkehr ermöglicht. Der Erste Weltkrieg brachte einen Boom | |
der Antennentechnik, weil durch Kurzwellentechnik der permanente Kontakt zu | |
Seeschiffen möglich war. | |
Seither hat die Produktion von elektromagnetischen Wellen | |
unterschiedlichster Qualität auf der Erde ein unüberschaubares Ausmaß | |
erreicht. „Von diesem Elektrosmog werden wir praktisch permanent | |
vergiftet“, kommentiert Marta Zapparoli. Ihre künstlerische Arbeit soll | |
auch der Bewusstwerdung dieser Vergiftung dienen. Ihre Antennen bestehen | |
aus Kupferdraht unterschiedlicher Stärken, die auf Rahmen gespannt oder um | |
Gegenstände gewickelt sind. Sie sind ringförmig, dreieckig, viereckig, | |
kompakt oder filigran, und wirken wie Kunstwerke, die in ihrem Atelier an | |
den Wänden hängen. Deren jeweilige Form dient dazu, ein spezifisches | |
Spektrum aus der unüberschaubar großen Bandbreite der elektromagnetischen | |
Wellen einzufangen. | |
Liz Allbee hingegen spielt eine quadrophonische Trompete, die ihren Ton auf | |
vier verschiedene Lautsprecher übertragen kann. Wo Zapparoli ihre Klänge in | |
der Luft aufspürt, ist für Allbee das Musikmachen ein „innerer Vorgang“. | |
Als Pareidolia will das Duo dieses Innen und Außen verschmelzen, zu einer | |
neuen Musik im Raum. Auf ihre gemeinsame Abende bereiten sich die beiden | |
lange vor und proben viel. Obendrein haben sie sich auf eine spezielle | |
Arbeitsweise geeinigt: Sie „bespielen“ unterschiedliche Räume, weil | |
elektromagnetische Wellen teilweise Hindernisse durchdringen können, | |
teilweise auch nicht. Jeder Raum eines Gebäudes hat deshalb ein bestimmtes | |
Wellenspektrum, mit dem Pareidolia komponieren. | |
Am Samstag nun gastieren Pareidolia im Museum Kesselhaus Herzberge in | |
Lichtenberg. Was zunächst als ein musikalisches Projekt für dieses | |
spezielle Gebäude angedacht war, entwickelte sich in der Vorbereitungsphase | |
auch zu einer Reise in die Medizingeschichte: 1893 wurde das Kesselhaus als | |
Teil des Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge in Dienst gestellt. Im | |
Krankenhaus fokussierte sich die Medizin vor dem Ersten Weltkrieg auf | |
Personen mit psychischen Auffälligkeiten. | |
Liz Allbee erzählt davon, wie schwer es war, etwas Genaueres darüber | |
herauszufinden. Die Archive sind nicht öffentlich zugänglich und | |
Unterabteilungen des Krankenhauses waren über die ganze Stadt verteilt. | |
Bei der Recherche erinnerte sich Allbee an ihre Urgroßmutter, die auf Grund | |
von Depressionen – und wohl, weil sie Kommunistin war – in ein Krankenhaus | |
eingewiesen wurde, wo sie mit Elektroschocks behandelt wurde. Nachher sei | |
sie eine ganz andere, vor allem aber: nicht mehr politisch aktiv gewesen. | |
In der Kaiserzeit wurde im Bereich Vererbung von psychischen Erkrankungen | |
nach den damals gängigen Wertevorstellungen geforscht, die aus heutiger | |
Perspektive fragwürdig scheinen. Später pervertierten diese | |
Wertevorstellungen und Mediziner beteiligten sich an Euthanasie und | |
Massenmord. | |
Diese grausame Vergangenheit hatte teilweise Einfluss auf die Arbeit vor | |
Ort, aber Marta Zapparoli und Liz Allbee sind keine Wissenschaftler, keine | |
Soziologen, die historische Prozesse beleuchten und zeithistorisch | |
aufklären können. Das können andere besser. „Dazu fehlt uns einfach die | |
Expertise“, heißt es bei Pareidolia. „Wir sind Musiker, die in erster Linie | |
die akustische Befindlichkeit und Realität unterschiedlicher Orte erkunden, | |
das ist unsere Wirklichkeit!“ | |
Pareidolia im Museum Kesselhaus Herzberge, Herzbergstr. 79 (Haus 29), | |
Samstag, 20 Uhr | |
5 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Michael Freerix | |
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