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# taz.de -- Mackerin Heldenpose
> Das St.-Pauli-Theater auf der Reeperbahn reanimiert den
> Störtebeker-Mythos als Musical
Von Annika Lasarzik
Verwirrung beim ersten Auftritt: Störtebeker ist blond. Nicht brünett, wie
auf den Plakaten, auch nicht ganz so muskulös, und statt des Weichzeichners
trägt er eine dicke Schicht Schminke im Gesicht. Breitbeinig steht er auf
der Bühne, die Arme in die Hüften gestemmt, die Brust rausgestreckt,
Siegerpose gleich zu Beginn. Damit wirklich jeder im Saal begreift: Da ist
er, der Held.
Zumindest ist er das im gleichnamigen Musical im St.-Pauli-Theater, das
sich ganz um den sagenumwobenen Freibeuter drehen soll. Über dessen Leben
weiß man wenig bis gar nichts Genaues, bekannt ist der Pirat eigentlich nur
für seinen Tod – Kopf ab und ein paar letzte Schritte an den Kameraden
vorbei, Sie wissen schon. Doch das macht gar nichts, denn in der
Inszenierung von Regisseur Peter Jordan wird die Piratengestalt ohnehin zum
Mythos verklärt. Mal wieder. Der Mann dahinter bleibt blass.
Doch vielleicht sind die Erwartungen einfach zu hoch. Immerhin geben sich
alle Figuren redlich Mühe, Spannung zu erzeugen. Bevor der Pirat zum ersten
Mal stolzen Schrittes auf die Bühne stiefelt, wird ausgiebig über ihn
geredet: Die Mitglieder des Hamburger Rates wissen nicht, was sie mit ihm
anstellen sollen, und zerstreiten sich in dieser Frage, so lange, bis auch
der letzte Zuschauer verstanden hat, dass dieser Störtebeker ein sehr
gefährlicher Kerl sein muss. Einer, der auf Konventionen pfeift und Regeln
bricht, in jedem Fall so ganz anders ist als die versteiften Handelsleute
und Politiker. Hui!
Auch in der nächsten Szene reden ein paar von Störtebekers Männern,
allesamt recht trottelige Kerle, ehrfürchtig über ihren Chef. Doch als der
endlich erscheint, schießt dem Zuschauer vor allem ein Gedanke durch den
Kopf: „Ach nee, der Typ?!“ Das rosa Hemd ist bis zum Bauchnabel
aufgeknöpft, die blonde Perücke hängt steif herunter, die Augen blicken
permanent versonnen in die Ferne. Störtebeker wirkt wie ein halbstarker
Macker, der seine Pose lange unter Deck vorm Spiegel geübt hat.
Immerhin trägt er kein Goldkettchen. Und weil das Ganze nun mal ein Musical
ist, schmettert der Pirat zur Einstimmung einen Heavy-Metal-Song, der sich
auch auf einer Kuschelrock-CD sehr gut machen würde. Und die Windmaschine
lässt die Perücke wehen.
Was soll man nun anfangen mit diesem Störtebeker? Wenn er spricht, dann in
Phrasen. „Wir sind Piraten, da gibt’s nur eine Art, sich anzupassen:
unsere!“, sagt er etwa mit rauchig-tiefer Stimme, wohl mehr zu sich selbst
als zu den Kameraden. Er wirkt weder besonders charismatisch noch
intelligent, ist keiner, dem man gern zuhört, geschweige denn, sein Leben
anvertrauen würde.
Unverständlich bleibt, warum allein sein Name erwachsene Männer verstummen
lassen soll, warum ihm seine Leute angeblich so treu ergeben sind. Der
grummelige Michels, der Kamerad, der noch zum Judas wird und Störtebeker an
die Hanse verrät, hat mehr Ausstrahlung. Und die starke Friesentochter
Teta, der sich Störtebeker wie ein tumber Pick-up-Artist annähert, hat
sowieso mehr Wumms.
Andererseits: Was erwartet man schon? Das Stück will den Piratenmythos ganz
offensichtlich nicht neu auslegen, es ist ein einziges Spiel mit Klischees.
Derbe Kalauer finden sich in nahezu jeder Szene, die Dialoge sind gespickt
mit Lokalkolorit, wirken dabei oft wie ein einziges Hamburg-Bingo. Sogar
Aale-Dieter hat seinen Auftritt.
## Maskottchen für die Stadt
Immerhin gibt es den vorsichtigen Versuch, eben jene Marketingmaschine aufs
Korn zu nehmen, unter deren Räder auch Störtebeker längst geraten ist. Man
könne sich den Piraten doch zunutze machen, um Touristen in die Stadt zu
locken, überlegt der Hamburger Rat in einer Szene. Und bevor Störtebeker
hingerichtet wird, macht ihm der Kaufmann Simon von Utrecht ein letztes
Angebot: Er darf weiterleben, wenn er künftig für die Hanse arbeitet und
Gästen und Handelspartner von seinen Abenteuern erzählt. Womit Störtebeker
nicht mehr wäre als eine Art Maskotten für die Stadt – also das, was er
heute für Hamburg ist.
In manchen Momenten kommen der Pirat und seine Männer, die „Likedeeler“,
also Gleichteiler, sogar wie verfrühte Sozialisten daher – eine steile
These, klar, aber immerhin eine These. Doch all diese Anspielungen und
Verweise in die Gegenwart sind nie mehr als ein Augenzwinkern, kritischer
wird das Stück nicht.
Der Pirat lehnt das Angebot des Kaufmanns selbstredend ab. Ein paar letzte
Worte – „Ich soll leben wie ein Hund, der sitz macht, wenn Ihr es so wollt?
Ich bin Pirat, lieber sterbe ich, als so zu leben!“ –, dann fügt sich
Störtebeker in sein Schicksal. Sein Tod ist einem dann auch irgendwie egal:
Hier stirbt ein Held, der keiner ist.
Letzte Aufführung: Sa, 5. Mai, 19.30 Uhr, St. Pauli-Theater
5 May 2018
## AUTOREN
Annika Lasarzik
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