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# taz.de -- Wahlen in der Türkei: Der meistgehasste Widersacher
> Mit seiner erwarteten Kandidatur möchte sich Selahattin Demirtaş
> lautstark in der politischen Arena zurückmelden – obwohl er in Haft
> sitzt.
Bild: Er möchte es wieder tun: Demirtaş wird Recep Tayyip Erdoğan vermutlich…
Selahattin Demirtaş erhielt bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2014
fast vier Millionen Stimmen. Jetzt bereitet er sich der Ex-Co-Vorsitzende
der prokurdisch-linken HDP darauf vor, am 24. Juni erneut gegen Erdoğan
anzutreten. Allerdings nicht auf Plätzen und Kundgebungen, sondern von
einer Gefängniszelle in der westtürkischen Stadt Edirne aus.
Bisher verkündete die HDP noch nicht offiziell, wen sie als
Präsidentschaftskandidaten nominiert. Wenn aber keine radikale Kehrtwende
mehr eintritt, wird es wohl Demirtaş werden. In der Partei scheint Konsens
über seine Kandidatur zu herrschen. Der neue Ko-Vorsitzende Sezai Temelli
sagte, Demirtaş sei der Kandidat, auf den sich alle geeinigt hätten und
erklärte: „Bei der Vorstandssitzung am 2. Mai liegen uns sämtliche Berichte
vor, am Tag darauf verkünden wir unseren Kandidaten.“
Der Erfolg, den Demirtaş bei den Präsidentschaftswahlen 2014 erzielte,
wirkte sich positiv auf die folgenden Wahlergebnisse der HDP aus. Demirtaş,
ein vortrefflicher Politiker, der zudem die Vorteile eines Jungpolitikers
zu nutzen weiß, erreichte immer auch Kreise, die dem Kampf der Kurd*innen
gegenüber reserviert gegenüberstehen. Und er fand stets Antworten auf die
politischen Schachzüge der AKP. Obwohl er seit dem 4. November 2016
inhaftiert ist, konnte er seinen Einfluss auf die Politik in der Türkei
aufrechterhalten und weiter ausbauen.
## Verhinderer der Alleinherrschaft
Im März 2015 rief Demirtaş Erdoğan zu: „Wir werden dich nicht zum
Präsidenten machen!“ Bei den Parlamentswahlen vom 7. Juni holte er später
13 Prozent für seine Partei. Damit verhinderte er, dass die AKP allein
regieren konnte – und machte Erdoğans Präsidentschaftsträume vorerst
zunichte.
Seit Juni 2015 ist sehr viel passiert. Derzeit sitzen neun HDP-Abgeordnete,
darunter auch Demirtaş, fast zehntausend einfache und leitende
Parteimitglieder und rund einhundert Bürgermeister*innen der HDP im
Gefängnis. Elf Parlamentsabgeordneten der HDP wurde der Abgeordnetenstatus
entzogen.
Gegen Demirtaş, der seit dem 4. November 2016 inhaftiert ist, erstellten
Staatsanwälte 103 Einzeldossiers. 31 der Dossiers wurden zu einem
Hauptprozess zusammengefasst, der als Vorwand benutzt wird, um ihn in Haft
zu halten. In seiner 127 Seiten langen, beeindruckenden Verteidigungsrede,
die er bei den Verhandlungstagen am 11., 12. und 13. April in Istanbul
hielt, legte Demirtaş mit der Sorgfalt eines Juristen dar, dass er einzig
aus politischen Gründen inhaftiert sei. Was ihm zur Last gelegt werde,
beziehe sich allein auf Reden, die er als Politiker hielt.
In dieser Verteidigung, die er bereits im April vorgetragen hatte, ließ
sich Demirtaş darüber aus, dass so viele Anklagepunkte gegen ihn erhoben
werden: „Manche Staatsanwälte glauben wohl, je mehr Dossiers sie gegen mich
erstellen, umso mehr würden sie mit Beförderungen belohnt. Denn ich bin ein
rentabler Klient! Weil ich der politische Widersacher des Staatspräsidenten
war. Weil ich einer von drei Präsidentschaftskandidaten war. Weil ich einer
der Politiker war, die er am wenigsten mochte.“
## Rede bei Newroz-Feiern als Vorwand
Einer der zahlreichen Prozesse gegen Demirtaş stützt sich auf seine Rede
bei den Newroz-Feiern am 17. März 2013 in Istanbul. Vorgeworfen wird ihm
dabei „Propaganda für eine illegale Organisation“. Am letzten
Verhandlungstag am Montag, bei der Demirtaş selbst aus gesundheitlichen
Gründen nicht anwesend war, kam in dieser Sache noch kein Urteil. Der
Staatsanwalt forderte jedoch eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Der
nächste Verhandlungstag wurde für den 8. Juni angesetzt. Somit kann
Demirtaş weiterhin für das Präsidialamt kandidieren. Ein Urteil zuungunsten
von Demirtaş würde die Kandidatur vermutlich verhindern. Diese Gefahr
besteht weiterhin: Würde Demirtaş am 8. Juni verurteilt werden, und würde
das türkische Parlament das Urteil anschließend anerkennen, dann könnte er
nicht mehr kandidieren, weil somit auch ein Politikverbot für ihn verhängt
wäre.
Solange es dazu nicht gekommen ist, gilt: Falls die HDP am 3. Mai nicht
überrascht, und doch noch einen anderen Kandidaten nominiert, sieht es ganz
danach aus, dass Demirtaş Erdoğan nach vier Jahren erneut herausfordern
wird.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
30 Apr 2018
## AUTOREN
İrfan Aktan
## TAGS
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Politik
Schwerpunkt Türkei
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