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# taz.de -- Rutronik Stars in den Basketball-Playoffs: Grüne Empörkömmlinge
> Das Team aus Baden ist aus einem alternativen Projekt entstanden. Nun
> können die Rutronik Stars deutsche Basketballmeisterin werden.
Bild: Alicia DeVaughn von den Rutronilk Stars beim Freiwurf
Keltern taz | Der Anfang war schon mal nicht schlecht. Mit 77:64 gewannen
die Rutronik Stars Keltern am Freitagabend das erste Playoff-Endspiel um
die deutsche Basketballmeisterschaft der Frauen gegen den TSV Wasserburg
(das zweite war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet). Unbedingt zu
rechnen war damit nicht. Wasserburg ist schließlich so etwas wie, nun ja,
der FC Bayern München des Frauen-Basketballs in Deutschland, was nicht
zuletzt die elf Meistertitel beweisen, die der TSV gewonnen hat, die
letzten fünf davon in Serie.
Die Rutronik Stars aus Keltern bei Karlsruhe sind im Vergleich nur
Underdogs – und Emporkömmlinge. Auch hierfür gibt es Zahlen: 2011, damals
spielten sie noch als „Grüner Stern“ in der 2. Liga, standen sie noch vor
dem Aus. Im Mai 2015 stiegen sie in Liga eins auf. In der Vorsaison wurden
sie bereits Vizemeister, hinter Wasserburg natürlich. Nun können sie den
Spieß umdrehen, drei Playoffsiege braucht es zum Titel.
„Es ist eine Erfolgsgeschichte“, sagt schon jetzt Dirk Steidl, der
Vorstandsvorsitzende und Manager der Rutronik Stars. Das ist nicht von der
Hand zu weisen – und gibt sanft Hinweis darauf, wem dieser Erfolg zu
verdanken ist: ihm, Steidl, nämlich. Seit er, der zuvor Manager der
Oberliga-Fußballer des FC Nöttingen war, sich auch um die Geschäfte der
Kelterner Basketballerinnen kümmert, geht es bergauf. „Ich habe mich da
reingebissen und die Sache übernommen“, erzählt Steidl, Typ hemdsärmliger
Macher.
Im Jahr 2011 war das. Kein ganzes Jahr später wurde der „Grüne Stern“ als
Basketballabteilung in den FC Nöttingen aufgenommen. „Es ging zunächst
einmal darum, einen neuen Trainer zu suchen und professionelle Strukturen
zu schaffen“, sagt Steidl. Und Sponsoren mussten herbeigeschafft werden, so
wie Rutronik, ein Hersteller für elektronische Bauteile, dessen Namen die
1. Mannschaft seit dem Bundesligaaufstieg 2015 übernommen hat, im
Basketball ist das durchaus so üblich.
## Ein grünes Leben
Mehr noch als eine Erfolgsstory ist die Historie der Basketballerinnen aus
Keltern freilich eine Lebensgeschichte – und zwar jene von Heinrich Simon.
Simon, mittlerweile 71 Jahre alt, ist der Gründer der Sterne, ihr Macher,
ihr Förderer, ihr Mädchen für alles. Und weil er ein Grüner war, noch bevor
es die Grünen offiziell gab, handelt es sich auch um eine Grünen-Geschichte
oder doch zumindest die Geschichte über ein grünes Leben. Nicht zuletzt
deswegen sind die Sterne aus Keltern nicht irgendwelche, sondern grüne
Sterne.
Ihren Anfang nahmen sie 1978, als ein Schulhofprojekt von Simon und seiner
damaligen Frau, damals beide junge Lehrer, ausgezeichnet wurde. „Das war
der Ausgangspunkt“, erinnert sich Simon, weil nach dem Schulhofprojekt ganz
automatisch die Frage stand: Was machen wir nun? Die Antwort: Noch im
November 1978 gründeten die Simons mit fünf weiteren „pädagogisch
ambitionierten Personen“ den „Verein für Schüler- und Jugendarbeit“. De…
Satzungsziele: „Lernhilfe in Form von pädagogischen Lern- und
Spielangeboten, Hausaufgabenbetreuung, Elternberatung sowie Sport- und
Freizeitangebote.“
„Die Leute, die sich bei uns engagiert haben, stammten alle aus dem grünen
Spektrum“, erzählt Simon. Einfacher machte es das im Deutschland jener
Jahre nicht. Als Simons Verein einen alternativen Kindergarten gründen
wollte, wurde das von der Gemeinde abgebügelt.
Als es darum ging, eine Unterkunft für ein freies Jugendzentrum zu kaufen,
zog es die Gemeinde vor, das passende Gebäude, einen alten Bahnhof,
abzureißen. Als es darum ging, einen Förderverein für die Schule zu
gründen, hat der eigene Rektor das Vorhaben erschwert. Bei allem Widerstand
des konservativen Lagers: Die 25 Jahre Hausaufgabenbetreuung für
ausländische Kinder, die Simons Verein initiiert hat, sowie das Projekt
„Ganztagesbetreuung Grundschule“ konnten sie nicht verhindern.
„Das waren Lagerkämpfe damals“, blickt Simon zurück und schüttelt den Ko…
als könne er es heute noch nicht fassen. Und auch der Sport blieb davon
nicht verschont. Ursprünglich bot der „Verein für Schüler- und
Jugendarbeit“ ein buntes Sammelsurium der Sportelei an – von Leichtathletik
über Turnen bis Fuß- und Handball. Prompt beschwerten sich die etablierten
Vereine, es werde ihnen der Nachwuchs weggenommen. „Obwohl wir nur die
Kinder versorgt haben, die bei den anderen durchgefallen waren“, erzählt
Simon.
## Kein Bundestagsmandat
Was blieb, war Basketball. „Das gab es nicht rund um Keltern. Das war
alternativ“, erinnert sich Simon, als Jugendlicher selbst Basketballer. Und
um es noch alternativer zu machen, sollten Mädchen und Jungs gleichermaßen
trainieren und spielen dürfen, damals keine Selbstverständlichkeit.
Am 16. September 1981 fand das erste Training der Grünen Sterne statt. Im
selben Jahr trat Simon bei den ein Jahr zuvor gegründeten Grünen ein, vier
Jahre später saß er für sie im Kreistag. Als er für ein Bundestagsmandat
vorgeschlagen wurde, lehnte er ab. Die Grünen Sterne waren zwischenzeitlich
auf 16 Mannschaften angewachsen. „Die konnte ich doch nicht im Stich
lassen“, sagt Simon.
Stattdessen beschloss er, mit 50 den Trainerschein für die Bundesliga zu
machen. Wer ihn nach dem Warum fragte, erhielt eine einfache Antwort: „Ich
hab da ’ne U-12-Mannschaft, mit der will ich in die Bundesliga.“ Meist
erntete Simon mit seiner Antwort Kopfschütteln.
## Simon hat genug gekämpft
Sieben Jahre später, im Jahr 2007, waren die Grünen Sterne tatsächlich in
die 2. Bundesliga aufgestiegen – mit elf der 14 Spielerinnen, die schon als
Zwölfjährige zusammen gespielt hatten. Vier Spielzeiten spielten sie 2.
Liga, dann wurde der Hauptsponsor verkauft und sein Sponsoring mit
sofortiger Wirkung aufgekündigt. Die Grünen Sterne standen vor dem Aus.
Simon konnte und wollte nicht mehr, zumindest nicht an vorderster Front. Er
hatte genug gekämpft. Er war es leid. „Wenn Sie 50 Jahre alternativ gelebt
haben, dann sind Sie mit der Welt irgendwann mal am Ende“, sagt er. „Ich
habe keine Lust mehr dazu.“
Seit 2012 ist er in erster Linie für die Jugendarbeit bei den Sternen
verantwortlich, also die Basis. „Ich kümmere mich weiterhin um den Grünen
Stern“, sagt Simon. Dirk Steidl, der – Ironie des Schicksals – schon als
CDU-Kandidat für den Gemeinderat kandidiert hat, um die Rutronik Stars. Im
Prinzip sind es zwei Abteilungen, zwei Welten. Was daran noch alternativ
ist oder gar grün? „Das Profiteam muss pro Jahr 10.000 Euro für die
Jugendarbeit des Grünen Sterns bereitstellen“, antwortet Simon. Und er fügt
an: „Ich weiß nicht, ob das grün ist. Aber ich brauche das als Grund für
mich, warum ich diesen Profizirkus überhaupt mitmache.“
29 Apr 2018
## AUTOREN
Frank Ketterer
## TAGS
Basketball
Grüne
Basketball
Henning Harnisch
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