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# taz.de -- Medien in der Türkei: Die Sorge um Seriosität
> Während die allgemeine Monopolisierung voranschreitet, bemühen sich
> regierungsnahe, englischsprachige Zeitungen um ein intellektuelles Image.
Bild: Egal welche Zeitung er sich greift – es steht immer das Gleiche drin
Der angekündigte Verkauf der Doğan-Mediengruppe an die Demirören Holding
hat in der türkischen Medienwelt ein Erdbeben ausgelöst. Teil des Deals ist
die Hürriyet, mit der nun auch die auflagenstärkste Zeitung des Landes in
das regierungsnahe Lager wechselt. Gleiches gilt für die Hürriyet Daily
News, die älteste und international einflussreichste englischsprachige
Tageszeitung des Landes. Ihre Relevanz hat jedoch in den letzten Jahren
unter der Verschiebung des politischen Mainstreams in Richtung des
Regierungskurses gelitten. Von den einst zahlreichen profilierten
Kolumnisten wie Burak Bekdil oder Cengiz Çandar liest man heute nichts mehr
in der Hürriyet Daily News. Trotzdem konnte unter Chefredakteur Murat
Yetkin bis zuletzt noch leise Kritik an Regierungsentscheidungen geübt
werden.
Die einst auflagenstärkste Zeitung im englischsprachigen Segment, Today's
Zaman, kann dies schon lange nicht mehr. Im März 2016 wurde die der
Gülen-Bewegung nahestehende Redaktion vor laufenden Kameras von der
türkischen Polizei gestürmt, die Zeitung zunächst verstaatlicht und wenig
später eingestellt. Bis es 2013 zum Schisma zwischen Gülen und Erdoğan kam,
stand die Today's Zaman dicht an Ankaras Seite. Ein Großteil der
Kolumnist*innen argumentierten damals in einem akademisch angehauchten Ton
für den Kurs der AKP. Damit war das Blatt Vorreiter für den heutigen
Branchenprimus Daily Sabah.
## Gegengewicht zur kritischen Berichterstattung
Als Reaktion auf die überwiegend kritische ausländische Berichterstattung
über die Gezi-Proteste im Sommer 2013 und nach dem Bruch mit den
Gülen-nahen Medien brachte die regierungsnahe Tageszeitung Sabah ihre
eigene englischsprachige Ausgabe auf den Markt. Die Motivation hinter Daily
Sabah machte Leservertreter Ibrahim Altay in einem frühen Editorial der
Zeitung deutlich: Sie wolle ein Gegengewicht zu dem
„Fallschirm-Journalismus“ sein, der die türkische Realität verzerrt
darstelle. Ausländische Journalist*innen, die weder ausreichend türkisch
sprächen, noch die türkische Mentalität verstünden und nur mit einer
bestimmten Elite verkehrten, bedienten mit ihren Artikeln vor allem die
nationalen Interessen ihrer Heimatländer. „Islamophobie“ sei in die großen
internationalen Medienhäuser eingezogen und verhindere einen klaren Blick
auf das Geschehen in der Türkei.
Altays Kritik an einer teils orientalistischen Türkei-Berichterstattung im
Ausland ist sicher auch im Jahr 2018 nicht von der Hand zu weisen. Die
Daily Sabah antwortete jedoch nicht mit ausgewogener journalistischer
Arbeit, sondern stellte einfach ihr eigenes Weltbild dagegen.
Wie dieses Bild aussieht, hängt maßgeblich vom aktuellen Regierungskurs ab.
Zu Hochzeiten des Wahlkampfes 2017 gab es fast täglich Meldungen über
Xenophobie und Rassismus in Deutschland und den Niederlanden. Seit Macrons
Ankündigung, die Demokratischen Kräfte Syriens unterstützen zu wollen,
erscheinen vermehrt Artikel zu streikenden französischen Arbeiter*innen und
Kolumnen über Frankreichs wachsende „Islamophobie“. Putins Russland wird
hier mal als imperialer Aggressor bezeichnet, dann wiederum wird behauptet,
dass wahrscheinlich der britische Geheimdienst hinter dem Giftanschlag auf
den ehemaligen Agenten Skripal steht.
## Mit Bourdieu auf Regierungslinie
Doch nicht alle Beiträge zeigen so plump auf die Staaten, die gerade die
Ungunst des Präsidenten spüren sollen. Abhängig von Autor*in und Thema wird
auch schon mal [1][mithilfe von Bourdieus Werken eine türkeifeindliche
Berichterstattung in Frankreich] erklärt. Die Artikel werden dabei häufig
mit Karikaturen im Stile amerikanischer Wochenzeitungen illustriert und
auch das Homepagedesign ist schlicht und aufgeräumt.
Unter den regelmäßigen Kolumnist*innen befinden sich hochrangige Berater
des Präsidenten und Wissenschaftler*innen, die sich ihre Sporen an
renommierten Universitäten im Ausland verdient haben. Durch sie bekommt man
einen Einblick in die Gedankenwelt der Regierungs-Intelligentsia. Oft
bestehen ihre Beiträge nur aus opportunistischer Bestätigung des
erratischen Regierungskurses, die sich lediglich in Eloquenz und Form vom
Rest der türkischen Medienlandschaft absetzen. Dabei ist zu
vernachlässigen, ob man vor zwei Monaten an gleicher Stelle noch eine
andere Position vertreten hat – Hauptsache der Präsident hat recht. Mit
mehr Verve widmen sich manche Autor*innen ihren Herzensthemen, so zum
Beispiel dem Zustand der muslimischen Welt und der Führungsrolle, die eine
neoosmanische Türkei darin spielen könnte.
İbrahim Kalın, offizieller Sprecher des türkischen Präsidenten und
studierter Theologe, elaboriert gern über die Ignoranz des Westens
gegenüber muslimischer Philosophie und den geistigen Errungenschaften des
Osmanischen Reiches. Mit seinem wissenschaftlichen Input und politischem
Opportunismus steht er für eine Reihe von Intellektuellen, deren Ideen in
den letzten Jahren eine größere Plattform gefunden haben.
## Die Zukunft der Hürriyet Daily News ist unklar
In die gleiche Kerbe schlagen regierungsnahe politische Thinktanks wie die
Siyaset, Ekonomi ve Toplum Araştırmaları Vakfı (SETA), die im Windschatten
von Erdoğans täglichem Gepolter ausgebaut werden. Sie liefern mit eigenen
Publikationen und Konferenzen einen ideologischen Unterbau, auf den sich
die Medien stützen können. Gerade veröffentlichte SETA zum Beispiel einen
Bericht über „Islamophobie“ in Europa. Bei der Vorstellung der Publikation
begrüßten Außenminister Mevlüt Cavuşoğlu und Daily Sabah-Kolumnist
Burhanettin Duran die geladenen Gäste.
Mit weniger subtilen Mitteln arbeitet die Tageszeitung Yeni Şafak, die seit
einigen Jahren täglich eine Auswahl ihrer Artikel auf englisch und arabisch
übersetzt. Hier wird jede noch so abgedroschene Verschwörungstheorie
bedient, um das politische Weltgeschehen zu deuten. Dabei geht es weniger
darum, den Regierungskurs zu verteidigen, als offen Ressentiments gegen die
USA, Israel, Griechenland und eigentlich alles, was nicht der
redaktionellen Definition von „türkisch“ entspricht, zu schüren. Bei
Analysen der Hrant-Dink-Stiftung zu Hatespeech in der türkischen Presse
wird die Yeni Şafak regelmäßig als Negativbeispiel angeführt.
Wie sich die Hürriyet Daily News in Zukunft zwischen Revolverblatt und
Regierungspostille mit seriösem Anstrich positionieren wird, ist noch
unklar. Zuletzt ließ der Journalist Faruk Bildirici in einer Kolumne
erahnen, dass die Luft für andere Positionen dünn wird. In seinem Beitrag
geht er auf die Kritik eines Lesers ein, der die Hofberichterstattung der
Hürriyet über den geplanten Bau eines Atomkraftwerks in Akkuyu bemängelt
hatte. Bildirici gibt ihm etwas resignierend recht und verweist auf einen
Artikel der Hürriyet aus dem Jahr 2015, in dem noch ausgewogen über die
Planungen berichtet worden war. 2018 scheint dies verdammt lange her.
18 Apr 2018
## LINKS
[1] https://www.dailysabah.com/feature/2018/01/18/notes-from-bourdieu-to-anti-e…
## AUTOREN
Dénes Jäger
## TAGS
taz.gazete
Politik
Medien
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