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# taz.de -- nord🐾thema: Hommage an unsere Entwicklungshelfer
> Die Industrialisierung begann – mit dem Zugpferd: Daran, wie
> Kaltblüter-Stärke die westliche Welt in die maschinenfreudige Moderne
> geschleppt hat, erinnert bis zum Herbst das Freilichtmuseum am Kiekeberg
> bei Hamburg. Aber wie geriet der Beitrag der Nutztiere zum Fortschritt in
> Vergessenheit? Diese Frage kommt in der großen Sonderausstellung
> „Zugpferde“ leider etwas zu kurz
Bild: Seltener Anblick: Nur an Touristen-Hotspots wie hier auf Hallig Hooge tri…
Von Darijana Hahn
Wer an der Hamburger Universität Soziologie studiert, der geht ein und aus
im „Pferdestall“: Das vierstöckige, imposante Institutsgebäude, in dem nur
der Name und ein Relief mit einer Pferdekutsche über dem Eingang an die
einstige Nutzung erinnern, ist ein Restant aus einer anderen Zeit. Einer
Zeit, in der die Stadt nicht ohne das Klappern der Pferdehufe und nicht
ohne den Geruch der Pferdeäpfel zu denken gewesen wäre.
Der gesamte Transport – ob Waren oder Personen – wurde von Pferden
geleistet. Wie und wo das Pferd auch jenseits des Ackers als Zugpferd zum
Einsatz kam, zeigt die derzeit im Freilichtmuseum am Kiekeberg zu sehende
Ausstellung „Zugpferde. Kulturgeschichte echter Pferdestärken“.
Das Pferdegespann mit Fassbierwagen und Prunkgeschirr der Hamburger
Holsten-Brauerei macht zu Beginn gleich klar, dass es in dieser Ausstellung
nicht darum geht, was man vielleicht in einem Freilichtmuseum erwartet:
also etwa, wie im Märzen der Bauer die Rösslein einspannte. Vielmehr steht
das Pferd als sprichwörtliches Zugpferd der Industrialisierung im
Vordergrund.
Zwar mögen die Dampfmaschine und die Lokomotive als deren Ikonen gelten,
aber ohne den „Hafermotor“ Pferd hätten die technischen Maschinen gar nicht
zum Einsatz kommen können. So wurden beispielsweise in der Sächsischen
Maschinenfabrik in Chemnitz ab 1848 Lokomotiven zwar hergestellt, doch zu
ihrem Einsatzort in Leipzig rollten die Dampflokomotiven nicht selbst,
sondern wurden, wie auf einer eindrucksvollen Fotografie zu sehen ist, von
bis zu acht Pferden gleichzeitig gezogen.
Wie überhaupt Pferde im 19. Jahrhundert unentbehrlich waren. Unentbehrlich
waren sie für den Transport von Waren – sei es unter Tage als Grubenpferd
oder feierlich geschmückt im Brauereiwesen. Und unentbehrlich waren sie für
den städtischen Nahverkehr. So brachten ab 1820 von Pferden gezogene
Omnibusse die Menschen durch die immer größer werdenden Städte. Zweispännig
gefahren bot der Pferdebus bis zu 30 Fahrgästen Platz. In Hamburg verfügte
die Basson’sche Omnibus Actien Gesellschaft über 500 Zugpferde, die in
zweistöckigen Stallungen untergebracht waren, so wie es auch in dem
heutigen Unigebäude, dem Pferdestall, der Fall war.
Nachdem aus den Pferdeomnibussen ab 1866 in Hamburg Pferdebahnen auf
Schienen geworden waren, wurde dieser Vorläufer der Straßenbahn 1894
elektrifiziert – erste Anzeichen dafür, dass das Pferd als Antriebskraft
bald ausgedient haben sollte. Denn nicht nur die Elektrifizierung machte
dem Pferd Konkurrenz, sondern vor allem die immer mehr werdenden
Automobile, die von einem Verbrennungsmotor angetrieben wurden, und die in
ihrer Anfangszeit mit Pferdeköpfen versehen waren, um scheuende Pferde
friedlich zu stimmen. Dass dieses Nebeneinander spätestens Ende der
1920er-Jahre zu einem Ende gekommen war, erzählt die Ausstellung durch die
Geschichte vom „Eisernen Gustav“. So machte sich der Berliner
Droschkenkutscher Gustav Hartmann am 2. April 1928 zusammen mit seinem
Wallach Grasmus und dem Zeitungsreporter Hans Hermann Theobald auf den Weg
in die französische Hauptstadt.
Mit seinem 2.000 Kilometer langen Protestmarsch wollte der als „Eiserne
Gustav“ bekannte Kutscher gegen die Berliner Droschkenverordnung vom 22.
Juni 1927 protestieren, die besagte, dass „eine Erlaubnis zum
Pferdedroschkenbetrieb nicht mehr erteilt wird“. Auch wenn die Aktion viel
Sympathie und Öffentlichkeit brachte, blieb es bei der Verordnung und
Gustav Hartmann verabschiedete sich in den Ruhestand.
Wie sich dann die Trennung zwischen Mensch und Pferd in den Städten
vollzog, bleibt in der Ausstellung mit ihren lebensgroßen Plastikpferden
leider ausgespart. Was passierte mit den Pferden, was machten die
Droschkenkutscher, was geschah mit den Ställen? Der 1908 am Hamburger
Allendeplatz (damals Bornplatz) errichtete Pferdestall beispielsweise wird
bereits seit 1928 von der Uni als Institutsgebäude genutzt – wie dort eine
Bildunterschrift zu einer historischen Ansicht informiert.
Dafür könnte man in der Ausstellung – wenn nicht gerade durch zu
experimentierfreudige Gäste ramponiert – am eigenen Leibe ausprobieren, was
denn nun eigentlich eine Pferdestärke bedeutet. Mittels eines Seilzuges
könnte man 75 Kilogramm schwere Kohlen einen Meter hoch ziehen, und das
Ganze binnen einer Sekunde, und man hätte die Leistung einer Pferdestärke
erbracht. Mit dieser Maßeinheit wollte der schottische Erfinder James Watt
demonstrieren, wie viel Pferde seine 1769 patentierte Dampfmaschine
ersetzen konnte.
Doch die Berechnung der Stärke eines Pferdes ist nicht allein in Zahlen zu
messen. Vielmehr gibt es in der realen Welt zahlreiche Variablen, die in
der Formel zu berücksichtigen wären, wie zum Beispiel die Zuchtlinie, sein
Alter, seine Kondition, sein Gesundheitszustand und nicht zuletzt auch die
Art und Weise, wie der Mensch mit dem Tier umgeht.
Deswegen findet Jürgen Hagenkötter die oft gestellte Frage sehr schwierig,
wie viel ein Pferd denn nun ziehen könne und dürfe. Das könne man nie
pauschal beantworten, sagt der Leiter des vor über 20 Jahren gegründeten
Zugpferdemuseums in Lütau im Kreis Herzogtum Lauenburg bei Hamburg. Aus
dieser Sammlung heraus ist die jetzt am Kiekeberg zu sehende Ausstellung
entwickelt worden, die bereits im Verkehrsmuseum Dresden und im Deutschen
Museum in München zu Gast war.
„Wir stoßen mit unserer Ausstellung offene Türen ein“, sagt Hagenkötter,
der sich über das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit und der
Wissenschaft für die „bespannte Mobilität“ freut.
Hagenkötter öffnet mit seiner Ausstellung und seinem Museum nicht nur den
Blick für eine vielfach vergessene Komponente der Geschichte. Er betrachtet
das „Fahren mit Pferden“ vielmehr als Kulturgut, das es zu bewahren und
weiterzugeben gelte. Denn dieser „ganz großartigen Einheit zwischen Pferd
und Mensch“ verdanke der Mensch seine gesamte Entwicklung. „Die Pferde
haben nicht nur Waren transportiert, sie haben beim Kulturaustausch
geholfen und haben uns mit ihrem ganzen Wesen dahingebracht, wo wir heute
sind“, sagt Hagenkötter.
Mit dieser Anerkennung ist Hagenkötter nicht allein. So hat der Leiter des
Marburger Literaturarchivs, Ulrich Raulff, vor drei Jahren dem Pferd ein
sehr empathisches Buch gewidmet: „Das letzte Jahrhundert der Pferde.
Geschichte einer Trennung“ (C. H. Beck, 461 S., 29,95 Euro, E-Book 24,99
Euro). Auch Raulff ist es ein Anliegen, dem Pferd jene Aufmerksamkeit
zukommen zu lassen, die es längst verdient und lange nicht bekommen hat.
In seiner Hommage würdigt Raulff die Verdienste des Pferdes in
wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Man denke allein an die vielen
Redensarten, die von unserem einstigen Zusammenleben mit dem Pferd stammen.
Wenn wir „ausspannen“, gönnen wir uns eine Pause. Wenn wir fürchten,
eingenommen zu werden, dann wollen wir uns nicht „vor den Karren spannen
lassen“. Und wenn einer in einer Gruppe ganz besondere Gaben hat, dann ist
er womöglich deren „Zugpferd“.
In seinem Buch weist Raulff aber auch darauf hin, dass Emotionen dem Pferd
gegenüber und Tierschutz keine Erscheinung einer Zeit sind, in der es die
echten Zugpferde immer weniger gibt. So hat beispielsweise der Philosoph
Friedrich Theodor Vischer 1838 den „Verein gegen Tierquälerei“ gegründet,
weil ihn die Misshandlung der Pferde so empörte. Für sein Mitleid mit einem
von einem groben Kutscher gemarterten Gaul ist auch Friedrich Nietzsche
bekannt, der in Turin zusammenbricht, nachdem er sich dem leidenden Tier
schluchzend und schützend um den Hals geworfen hatte.
Heutige Tierschützer wie die Organisation Peta sprechen sich gegen
Pferdekutschen aus, nicht nur, weil sie den meisten Kutschern die richtige
Behandlung der Pferde absprechen, sondern weil die Pferde nicht dafür
gemacht seien, Kutschen zu ziehen. Erst Anfang 2018 sind in Berlin aus
Tierschutzgründen kommerzielle Pferdedroschken verboten worden.
Die Tatsache, dass immer weniger Fuhrwerke auf den Straßen unterwegs sind
und die Pferde als Arbeitstiere – mit einigen Ausnahmen in der ökologischen
Forst- und Landwirtschaft sowie in Touristengegenden – ausgedient haben,
hat dazu geführt, dass die speziell als Zugpferde gezüchteten Kaltblüter
Anfang der 1990er-Jahre von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und
gefährdeter Haustierrassen auf eine Rote Liste gesetzt wurden.
Mit der beginnenden Aufmerksamkeit für die starken Pferde haben sich
zahlreiche Initiativen für deren Erhalt gegründet, europaweit die
Fédération Européenne du Cheval de Trait pour la promotion de son
Utilisation (Fectu), die sich für die Verwendung von Kaltblutpferden stark
macht und die einzelnen Partnerverbände vernetzt. Darunter ist
beispielsweise der Verein Schleswiger Pferdezüchter, dessen Bestand
mittlerweile auf 200 Stuten angewachsen ist – von 35 Anfang der
1990er-Jahre.
Dazu gehören auch die drei Kaltblutstuten, von denen die Ausstellung zwar
nichts erzählt, die aber im Freilichtmuseum am Kiekeberg leben sowie
arbeiten und solch schöne Namen haben wie Ida, Nina und Blümchen – und die
erst wenige Tage alte Matilda.
Die Sonderausstellung „Zugpferde. Kulturgeschichte echter Pferdestärken“
ist bis zum 28. Oktober im Freilichtmuseum am Kiekeberg zu sehen, Am
Kiekeberg 1, 21224 Rosengarten-Ehestorf, [1][www.kiekeberg-museum.de]Viele
echte Pferde gibt es dort am „Pferdetag“ zu sehen: 23. September, 10–18 U…
28 Apr 2018
## LINKS
[1] http://www.kiekeberg-museum.de
## AUTOREN
Darijana Hahn
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