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# taz.de -- Erinnerung ans andere Ich
> Die Hamburger Sängerin und Bağlama-Spielerin Derya Yıldırım verpasst
> türkischer Folklore mit ihrer Band Grup Şimşek ein zeitgenössisches
> Gewand. Damit ist sie in ganz Europa erfolgreich
Bild: Plötzlich ganz romantische Gefühle: Wenn sie die Laute spiele, gehe in …
Von Annika Lasarzik
Düster ist der Himmel über Hamburgs Stadtteil Wilhelmsburg, aber Derya
Yıldırım sitzt auf einer Bank vor der Kneipe „Deichdiele“ im
Reiherstiegviertel und strahlt. „Ach“, ein Seufzer, „meine Hood“, sagt …
und muss selbst über ihre Wortwahl lachen. Die 23-Jährige ist um die Ecke,
auf der Veddel, als Kind eines türkischen Gastarbeiters aufgewachsen. Und
so fühlt sich alles auf den Elbinseln im Hamburger Süden vertraut an: Die
alten Backsteinbauten, das Hintergrundrauschen des Hafens, das Gemisch der
vielen Nationen, die hier mit- und nebeneinander leben. Heute wohnt
Yıldırım in Berlin, eine Stadt, mit der sie nie so recht warm geworden ist.
Warum sie trotzdem hingezogen ist? Na, der Musik wegen. Selbstverständlich.
In der Hauptstadt studiert sie die Bağlama, die verbreitetste Form der
Langhalslaute. Das Instrument bildet den Schwerpunkt ihres
Lehramtsstudiums. Ob sie später wirklich als Lehrerin arbeiten wird, weiß
sie nicht. Doch wenn sie über das Spiel auf der Laute spricht, die in der
Türkei so verwurzelt ist wie in Spanien die Gitarre, wird ihre Stimme
weich. Dann sagt Yıldırım, die sich sonst nicht so romantisch ausdrückt,
Sätze wie diesen: „Wenn ich die Bağlama höre, geht in mir eine Blume auf.�…
Dazu öffnet sie die Hände wie zwei Knospen.
Dass diese junge Frau erst Anfang 20 ist, überrascht, wenn man ihren
Werdegang zurückverfolgt. Seit sie vor Jahren – sie muss 15 oder 16 gewesen
sein, das weiß sie selbst nicht mehr so genau – zum ersten Mal beim
Stadtteilmusik-Festival „48h Wilhelmsburg“ aufgetreten ist, taucht ihr Name
immer wieder auf den Line-ups hiesiger Spielstätten auf. Mal gibt sie
Solokonzerte, mal spielt sie zusammen mit ihren Geschwistern in Klubs,
Kneipen, auf Straßenfesten. Oder sie steht mit dem Hamburger Ensemble
Resonanz auf der Bühne, zuletzt im Februar sogar in ungewohnt wuchtiger
Kulisse: in der Elbphilharmonie.
Bei ihren Konzerten strahlt sie eine lässige Ruhe aus, ganz so, als nehme
sie gar nicht wahr, wie sich die Blicke auf sie richten und sich die Köpfe
heben, wenn ihre tiefe, kraftvolle Stimme erklingt. Mit geschlossenen Augen
singt sie dann Lieder, die sie schon lange kennt: anatolische Folk- und
Popsongs, in der Türkei längst Klassiker und hierzulande den meisten fremd.
Für europäische Ohren klingt es oft ungewohnt, wenn sich die türkischen
Melodien mit dem Klang europäischer Streicher mischen. Doch Yıldırım mag
es, wenn verschiedene kulturelle Einflüsse aufeinanderprallen und Synergien
ergeben.
So wie bei ihrer Band, der Grup Şimşek, mit der sie im Mai durch Europa
tourt. Beim Versuch, den Stil der Gruppe in eine Schublade zu packen, kann
man eigentlich nur scheitern – er bewegt sich irgendwo zwischen Psychedelic
Rock, Pop und anatolischer Folklore. In den Rezensionen zur ersten EP, die
vor einem Jahr erschienen ist, ist von „anatolischem Psych-Pop“ die Rede.
Wenn Yıldırım selbst Worte finden soll, legt sich ein Schmunzeln auf ihr
Gesicht. „Die Leute suchen immer sofort nach einer Kategorie, das ist okay.
Ohne geht’s wahrscheinlich nicht.“
Labels sind nicht ihr Ding, einen Hang zur Selbstdarstellung kann man ihr
nicht nachsagen. „Das hat sich einfach so ergeben“, ist so ein Satz, den
sie oft sagt, wenn sie von sich erzählen soll. Viel lieber spricht sie über
die Musiker, die sie inspiriert haben. Selda Bağcan oder Barış Manço, jene
großen Stars der 1970er-Jahre in der Türkei, deren Songs bei den Yıldırıms
früher rauf und runter liefen. Deryas Eltern waren Fans und so sind
Kindergeburtstage in ihrer Erinnerung verwoben mit türkischen Musikvideos,
die im Hintergrund auf dem Fernseher laufen, oder mit dem Bild des Vaters,
der die Laute spielt.
„Eigentlich war die Musik schon immer da“, sagt sie. Die musikalische
Begeisterung der Eltern griff schnell auf die Erstgeborene über, eine Zeit
lang ging sie nach der Schule jeden Nachmittag zur Musikschule in
Wilhelmsburg, lernte Klavier, Gitarre, Oud, Bağlama und Saxofon spielen,
sang im Chor.
Musikalische Früherziehung – so was kann schnell zur lästigen Pflicht
werden. Derya Yıldırım aber gerät noch heute ins Schwärmen, wenn sie über
den Unterricht spricht. Sie liebt es, die Instrumente zu ergründen, die
schon ihre Vorfahren gespielt haben, mag „das Gefühl, das dabei
mitschwingt“. Die Musik erinnere sie an ihr „anderes Ich“, das stark mit
der türkischen Kultur verknüpft sei.
Die Musik zum Beruf zu machen war nie ein fester Plan, und in der
Retrospektive klingt dann auch alles wie ein schöner Zufall. 2014 suchte
der Wilhelmsburger DJ Booty Carrell für „New Hamburg“, ein Theaterprojekt
des Hamburger Schauspielhauses auf der Veddel, nach lokalen Musikern und
brachte Derya Yıldırım für einen Konzertabend mit einer Handvoll anderer
Kreativer zusammen. Die Geburtsstunde ihrer Band, einer Art Supergroup
bestehend aus der Schlagzeugerin Greta Eacott vom G-Bop Orchestra und
Antonin Voyant, Graham Mushnik und Andrea Piro vom L’Orchestre du
Mont-Plaisant.
Anfangs coverten die fünf noch türkische Popsongs, inzwischen haben sie
auch eigene Stücke im Repertoire. Proben und Konzerte sind nur alle paar
Monate drin, weil die Bandmitglieder über ganz Europa verstreut leben, in
Dänemark, England, Frankreich.
Das Ensemble funktioniert gut zusammen – auch wenn es für den Rest der Band
erst nicht leicht war, sich an anatolische Melodien und Klangabfolgen zu
gewöhnen. „Inzwischen klappt es auch mit den Vierteltönen“, sagt Yıldır…
Doch die ausschließlich türkischen Songtexte kann nur sie verstehen – oder?
Sie hält kurz inne, wägt ihre Worte genau ab. „Ich glaube, man begreift mit
dem Herzen, was ich singe.“
Und ja, wer aufmerksam zuhört, kann zumindest erahnen, dass es in den Songs
um die ganz großen, die zeitlosen Themen geht. Sie erzählen von Liebe und
Schmerz, von Unterdrückung und Widerstand, der Grundton ist Melancholie.
Und immer wieder geht es um Sehnsucht, „nach einem besseren Leben, nach der
Heimat“, wie Derya sagt.
Auf der EP sticht besonders der Song „Gurbet“ hervor – er steht für ein
ganzes Genre, das Mitte der 1970er besonders populär war: „Gurbet
Türküleri“, das heißt so viel wie „Lieder für die, die in der Fremde
leben“. „Die“, das sind Männer wie Deryas Großvater und Vater, die als
Gastarbeiter alles hinter sich ließen und sich in Deutschland, in der
Fremde, neu zurechtfinden mussten
Dabei ist „Gurbet“ eines dieser Wörter, die sich kaum ins Deutsche
übersetzen lassen, es braucht die Umschreibung. „Ich lebe gerade auch im
Gurbet, weil ich mich eigentlich in Hamburg heimisch fühle“, sagt Derya.
Die Erfahrung ihrer Familie und das Gefühl, noch heute zwischen den
Kulturen zu leben, sei auch ein großer Teil ihrer Identität.
Orientalische Einflüsse mit europäischen Harmonien zu mischen, dieser Trend
ist natürlich nicht neu. „Vielleicht ist so eine Art Weltmusik gerade
einfach cool“, sagt Derya, „vielleicht treffen Bands wie wir aber auch
einen Nerv.“ Denn inmitten hitzig geführter Debatten über Integration und
interkulturelles Zusammenleben schaffe die Musik einen „zwanglosen Raum für
Dialog“ und die Annäherung an die Kultur des jeweils anderen.
Derya Yildirim spielt gemeinsam mit der Hamburger Musikerin Fee Kürten in
der Impro-Musik-Reihe „4fakultät“: Sa, 18. 4., 21 Uhr, Künstlerhaus Fakto…
Hamburg
28 Apr 2018
## AUTOREN
Annika Lasarzik
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