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# taz.de -- Radikal und zeitgenössisch
> Der Physiker, Soziologe und Journalist Marco d‘Eramo ist mit seinem neuen
> Buch „Die Welt im Selfie: Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters“
> zu Gast auf dem taz lab: Seien Sie dabei!
Bild: Marco d’Eramo bei der Arbeit
Von Ambros Waibel
Vor ein paar Wochen wurde der Physiker, Soziologe und Journalist Marco
d’Eramo in einem Radiointerview gefragt, welches Buch, welches Musikstück
und welchen Film er mit auf eine einsame Insel nehmen würde. „Verzeihen
Sie“, antwortete er, „aber die Frage ist antiquiert. Wir leben im Zeitalter
der Tablets und der Solarbatterie. Ich kann heute Tausende von Büchern,
Sinfonien und Filmen mit auf die berühmte einsame Insel nehmen.“
Dass Marco d’Eramo dann im Weiteren auf die Frage der Moderatorin doch noch
freundlich einging – Montaignes „Essais“ wären das Buch –, das gehört
genauso zu seinem Wesen wie die stets etwas gehetzte Redeweise: Der
menschliche Sprachapparat scheint schlicht zu antiquiert für den Sturzbach
seiner Gedanken und Assoziationen.
D’Eramo denkt radikal zeitgenössisch, er ist schrecklich neugierig, er ist
ungeduldig und kann auch ungehalten werden, seine erste Reaktion im
Gespräch ist meist ein Widerspruch – aber er behält dabei immer etwas
zutiefst Humanes, was bei ihm im Besonderen bedeutet: etwas zutiefst
Italienisches.
Auf dem taz lab wird es um d’Eramos neues Buch gehen, „Die Welt im Selfie:
Eine Besichtigung des touristischen Zeitalters“. Dass sich ein umtriebiger
Mensch und gebürtiger Römer, der von seiner Dachterrasse aus auf eine der
Hauptattraktionen der globalen Reiseindustrie – auf das Kolosseum – blickt,
mit Wahn und Wunder des Tourismus auseinandersetzt, verwundert nicht.
D’Eramos Versuch über den Tourismus startet als historische Untersuchung
und somit quasi selbstverständlich als Kritik des (Massen-)Tourismus: Denn
Ziele und Weisen des Reisens dienten immer der sozialen Distinktion. Der
Adlige, der auf Grand Tour in der Kutsche durch das klassische Europa
schaukelte, sah auf den Bürger im Eisenbahnabteil herab, wie dieser dann
auf den Socken in Sandalen tragenden Mallorca-Proleten im Mietwagen. Sich
diesem Teufelskreis der Herabsetzungen zu entziehen und tatsächlich einmal
zu erforschen, wieso die touristische, die nomadische Lebensweise die
eigentlich zeitgenössische geworden ist – darum geht es in d’Eramos elegant
geschriebenem Buch, das dieser Tage bei Suhrkamp in deutscher Übersetzung
erscheint. Wenn Marco d’Eramo schon mal in der Stadt ist, können wir es
aber nicht beim Sprechen über Tourismus belassen. D’Eramo ist der Sohn der
Schriftstellerin Luce d’Eramo, deren autobiografisches Hauptwerk „Der
Umweg“ zu den wahrhaftigsten Büchern über Faschismus und Krieg gehört.
Geboren 1925, ging Luce d’Eramo 1944 als überzeugte Faschistin nach
Deutschland, kam wegen ihres Engagements für eine menschenwürdige
Behandlung der ZwangsarbeiterInnen ins KZ Dachau, entfloh, lebte in
Nazideutschland im Untergrund und verunglückt 1945 beim Versuch,
Verschüttete aus einem zerbombten Haus zu retten so schwer, dass sie
seitdem auf den Rollstuhl angewiesen war: Erfahrungen und
Schicksalsschläge, die auch ihr einziges Kind, den 1947 geborenen Marco,
prägten.
Der promovierte zunächst in Physik, kam dann aber zur Soziologie, studierte
bei Pierre Bourdieu in Paris, war ein aktiver 68er, wurde Korrespondent in
Frankreich und schließlich für die von ihm mitgegründete Schwesterzeitung
der taz, il manifesto, in den USA. D’Eramo hat zum Begriff des Populismus
geforscht und Kluges zu Trump wie zur aktuellen Lage in Italien zu sagen.
Kein Wunder, dass man sich in Italien einig ist: Marco d’Eramo ist als
Mensch, als Soziologe, als Journalist, als Zeitgenosse und nicht zuletzt
als Fußballexperte ein Ereignis.
14 Apr 2018
## AUTOREN
Ambros Waibel
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